Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwerrente. letzter wirtschaftlicher Dauerzustand

 

Leitsatz (amtlich)

Wird der "Unterhalt der Familie" auch aus Steuererstattungen bestritten, so hat derjenige Ehegatte diese Beträge aufgewendet, der zuvor die Steuern entrichtet hatte.

 

Orientierungssatz

Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand ist auch dann rückwirkend vom Tod der Versicherten zu errechnen, wenn dem Tod eine Zeit der Erkrankung mit einer dadurch verursachten Verschlechterung der Unterhaltslage vorausgegangen ist. Auch eine solche Erkrankung kann, insbesondere wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt hat und ohne den Tod der Versicherten wahrscheinlich fortbestanden hätte, den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand prägen und deshalb bei dessen Bestimmung nicht generell außer Betracht bleiben. Lediglich im Einzelfall kann es dann, wenn die Erkrankung in verhältnismäßig kurzer Zeit zum Tode geführt und somit gleichermaßen die "Vorstufe des Todes" dargestellt hat, aus Billigkeitsgründen gerechtfertigt sein, die durch sie bewirkte Verschlechterung der Unterhaltslage nicht als Prüfungsmaßstab für die Voraussetzungen der Witwerrente anzulegen und stattdessen das Ende des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes auf dem Beginn der zum Tod führenden Krankheit festzulegen (vgl BSG 1980-04-24 1 RA 3/79 = SozR 2200 § 1266 Nr 15).

 

Normenkette

RVO § 1266 Fassung: 1957-02-23; AO § 37, 1977, § 44, 1977; BGB § 428 Fassung: 1896-08-18, § 430 Fassung: 1896-08-18

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 19.04.1983; Aktenzeichen L 5 Ar 407/81)

SG Nürnberg (Entscheidung vom 30.06.1981; Aktenzeichen S 10 Ar 326/80)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Witwerrente.

Der Kläger war mit der 1978 verstorbenen Versicherten H. R. verheiratet. Die Versicherte war teilzeitbeschäftigt und führte daneben im wesentlichen allein den Haushalt. Die noch im Haushalt lebenden Kinder waren der Versicherten dabei teilweise zum Wochenende behilflich. Aufgrund einer Erkrankung beteiligte sich der Kläger nicht an den Haushaltsarbeiten. Am 29. März 1978 wurde die Versicherte arbeitsunfähig krank. Nach Wegfall der Lohnfortzahlung Anfang Mai 1978 erhielt sie Krankengeld. Am 3. September 1978 verstarb sie. Der Kläger hatte Ende Juni 1977 einen geringen Arbeitsverdienst erzielt (143,- DM brutto), im übrigen in der Zeit vom 1. April 1977 bis März 1978 Krankengeld erhalten.

Das Bareinkommen der Versicherten belief sich in der Zeit vom 1. April 1977 bis 31. März 1978 auf 10.279,45 DM nach Abzug von Steuern, das des Klägers auf 16.484,- DM. Den Eheleuten floß in dieser Zeit Kindergeld in Höhe von 3.000,- DM zu. Am 15. März 1978 erhielten sie eine Steuerrückzahlung von 3.579,22 DM.

Den Antrag des Klägers auf Witwerrente vom 28. September 1978 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 31. Oktober 1979; Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 1980). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Zahlung von Witwerrente verurteilt (Urteil vom 30. Juni 1981). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 19. April 1983 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Der Wert der Haushaltstätigkeit der Versicherten sei in der Zeit vom 1. April 1977 bis 31. März 1978 mit 8.657,28 DM anzunehmen. Als Anhalt sei von den Anlagen 1 und 7 zu § 22 Fremdrentengesetz (FRG) auszugehen. Die Haushaltstätigkeit der Kinder werde mit 961,92 DM bewertet. Diese Leistung und das Kindergeld seien von keinem der Ehepartner aufgebracht worden. Dem Haushalt hätten daher in der maßgebenden Zeit (1. April 1977 bis 31. März 1978) insgesamt 42.962,34 DM zur Verfügung gestanden, von denen 20.726,43 DM von der Versicherten, 18.274,01 DM von dem Kläger und 3.961,92 DM von Dritten (staatliches Kindergeld, Arbeitsleistung der Kinder) hergerührt hätten. Die Versicherte habe daher mit weniger als der Hälfte zum Familienunterhalt beigetragen.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1266 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Er ist der Auffassung, daß bei gemeinsamer Veranlagung von unselbständig tätigen Eheleuten die Steuerrückzahlung entsprechend der gezahlten Steuern bzw entsprechend dem versteuerten Einkommen auf die Ehegatten aufzuteilen ist. Dann entfielen auf die Versicherte 3.525,17 DM als eigenes Einkommen aus der Steuerrückzahlung, auf ihn, den Kläger, nur 54,05 DM. Der Anteil der Versicherten am Familienunterhalt habe damit in der maßgebenden Zeit 22.461,99 DM ausgemacht, sein Anteil 16.538,45 DM.

Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Juni 1981 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet. Ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Witwerrente hat, läßt sich aufgrund der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht abschließend entscheiden.

Gemäß § 1266 Abs 1 RVO erhält Witwerrente der Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau, wenn die Verstorbene den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat. Diese Vorschrift ist vorerst noch mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG SozR 2200 § 1266 Nr 2). Unter "Unterhalt der Familie" ist alles zu verstehen, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushaltes zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen (§ 1360a Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-; Bundessozialgericht -BSG- SozR 2200 § 1266 Nr 21 mwN). Die Versicherte hat den Unterhalt der Familie "überwiegend bestritten", wenn ihr Unterhaltsbeitrag unter Einschluß der Hausarbeit mehr als die Hälfte der gesamten Unterhaltsleistungen ausgemacht hat (BSG SozR 2200 § 1266 Nr 14 S 55 mwN).

Für die entsprechende Prüfung ist der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode der Versicherten maßgebend. Er beginnt mit der letzten wesentlichen Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Familienmitgliedes mit Dauerwirkung und endet im Regelfall mit dem Tode der Versicherten (BSG SozR 2200 § 1266 Nr 9 S. 41; Nr 15 S 59; Nr 18 S 69 jeweils mwN). Das LSG hat nicht die Zeit vor dem Tod der Versicherten (3. September 1978) seiner Betrachtung zugrunde gelegt, sondern die Zeit vom 1. April 1977 bis 31. März 1978; es hat also den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand etwa fünf Monate vor dem Tod der Versicherten enden lassen. Wie das BSG jedoch mehrfach entschieden hat, ist der letzte wirtschaftliche Dauerzustand auch dann rückwirkend vom Tod der Versicherten zu errechnen, wenn dem Tod eine Zeit der Erkrankung mit einer dadurch verursachten Verschlechterung der Unterhaltslage vorausgegangen ist. Auch eine solche Erkrankung kann, insbesondere wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt hat und ohne den Tod der Versicherten wahrscheinlich fortbestanden hätte, den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand prägen und deshalb bei dessen Bestimmung nicht generell außer Betracht bleiben. Lediglich im Einzelfall kann es dann, wenn die Erkrankung in verhältnismäßig kurzer Zeit zum Tode geführt und somit gleichermaßen die "Vorstufe des Todes" dargestellt hat, aus Billigkeitsgründen gerechtfertigt sein, die durch sie bewirkte Verschlechterung der Unterhaltslage nicht als Prüfungsmaßstab für die Voraussetzungen der Witwerrente anzulegen und stattdessen das Ende des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes auf dem Beginn der zum Tod führenden Krankheit festzulegen (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1266 Nrn 9, 13, 15 mwN). Dem Anschein nach hat das LSG aus solchen Erwägungen die Zeit ab 1. April 1978 bis zum Tode der Versicherten am 3. September 1978 außer Betracht gelassen. Das LSG hat jedoch in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt, daß die Versicherte an der Krankheit gestorben ist, die sie ab 29. März 1978 arbeitsunfähig machte.

Sollte die insoweit noch erforderliche Prüfung ergeben, daß der Zeitraum vom 1. April 1978 bis 3. September 1978 vom LSG zu Recht außer Acht gelassen werden kann, so ist nicht zu beanstanden, daß das LSG als Zeitraum seiner Beurteilung das Jahr vor der Ende März 1978 beginnenden Arbeitsunfähigkeit der Versicherten zugrundelegt. Auch gegen die Errechnung des Bareinkommens der Eheleute, die Errechnung des Wertes der Haushaltsleistungen der Versicherten und der Kinder und die rechtliche Würdigung der Kindergeldzahlungen bestehen keine Bedenken und werden mit der Revision auch nicht vorgetragen. Das LSG ist in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, daß der Kläger aus Krankheitsgründen Hausarbeiten nicht leisten konnte. Unter diesen Umständen durften seine Leistungen im Haushalt, zu denen er sonst verpflichtet wäre, außer Acht gelassen werden. Ob das auch gilt, wenn ein anderer Zeitraum der Beurteilung zugrunde gelegt werden sollte, wird das LSG gegebenenfalls zu prüfen haben. Den Geldwert der halbtägigen Versorgung des Haushaltes durch die Versicherte hat das LSG in Anlehnung an die Einkünfte einer Hausangestellten ermittelt, wie sie in den Anlagen zu § 22 FRG niedergelegt sind. Das ist eine Form der Tatsachenfeststellung, die ebenfalls nicht zu beanstanden ist.

Jedoch durfte das LSG nicht ohne weitere Anhaltspunkte davon ausgehen, daß die Steuerrückzahlung den Eheleuten jeweils zur Hälfte zustand. Steuerrückzahlungen stehen nach § 37 Abs 2 Abgabenordnung (AO 1977) dem zu, der die Steuern geleistet hat. In dem Zeitraum, den das LSG zugrunde gelegt hat (1. April 1977 bis 31. März 1978) bezog der Kläger nahezu nur Krankengeld, das nach § 3 Nr 1 a Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei ist. Die Versicherte hatte dagegen Lohneinkommen. Wenn ihre Steuern zurückgezahlt wurden, so war sie insoweit die Berechtigte für die Steuerrückzahlung. Durch die vom LSG festgestellte Zusammenveranlagung der Eheleute werden diese allerdings Gesamtschuldner (§ 44 Abs 1 Satz 1 AO 1977). Erhalten Gesamtschuldner Steuern zurück, so empfangen sie diese Rückzahlung als Gesamtgläubiger. Denn die Gesamtgläubigerschaft ist die Kehrseite der Gesamtschuld (Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und zur Finanzgerichtsordnung, § 44 RdNr 40). Nach § 430 BGB sind Gesamtgläubiger im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen berechtigt, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Etwas anderes bestimmt kann sein durch Vertrag unter den Gesamtgläubigern. Aber auch die Umstände - Natur der Sache und Zweck des Rechtsverhältnisses (vgl Staudinger, Kommentar zum BGB 10./11. Aufl § 430 RdNr 15) - können ergeben, daß eine andere Verteilung unter den Gesamtgläubigern gelten soll. Nach der Steuerrechtsprechung kommt es insoweit auch bei zusammen veranlagten Ehegatten darauf an, wer die Steuer zuvor gezahlt hat. Er ist erstattungsberechtigt (BFHE 98, 9 = BStBl 1970 II, 351 mwN). Obwohl entsprechend dem Gesamtgläubigerverhältnis bei zusammen veranlagten Ehegatten die Auszahlung der Steuererstattung an einen Ehegatten auch gegenüber dem anderen wirkt (§ 36 Abs 4 S 3 EStG, § 428 BGB) ist jeder Ehegatte im Verhältnis der von ihm geleisteten Zahlungen erstattungsberechtigt (Sonnenschein, NJW 80, 257, 260; AG Schweinfurt NJW 1983, 2508, 2509). Daß im Regelfall zwischen den Eheleuten auch keine andere Vereinbarung getroffen werden wird, ergibt sich aus folgendem: Auch der Ehegatte, der nichts oder wenig verdient, ist dem anderen gegenüber verpflichtet, seine Zustimmung zur gemeinsamen Veranlagung zu geben, damit der Verdienende in den Genuß der Splittingvorteile kommt. Er kann nicht verlangen, an den Vorteilen teilzuhaben, den der andere, verdienende Ehegatte, damit erzielt (BGH NJW 1977, 378; NJW 1983, 1545). Es entspricht demnach auch der Billigkeit, daß die Steuerersparnis demjenigen Ehegatten zugute kommt, der den Unterhaltsaufwand der Familie bestreitet.

Das LSG wird - wenn die Eheleute nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart hatten - daher auch zu prüfen haben, ob die Steuerrückzahlung nicht der Versicherten ganz oder mehrheitlich zugestanden hat, weil sie diejenige war, die die Steuer erbracht hatte. Beim normalen (nicht pauschalierten) Abzug der Lohnsteuer ist Steuerschuldner und Steuerzahler der Arbeitnehmer, nicht der Arbeitgeber. Der Arbeitgeber wird beim Abzug der Lohnsteuer lediglich für das Finanzamt - fordernde Behörde - und für den Arbeitnehmer - zahlenden Schuldner - tätig (Schmidt, Kommentar zum EStG 2. Aufl, § 38 Anm 2).

Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662355

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