Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.05.1998; Aktenzeichen L 11 KA 22/98)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Mai 1998 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beklagten deren Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger ist als Chirurg niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit seinem Begehren nach einer höheren Vergütung für seine Leistungen der ambulanten Operationen in den Quartalen II/1993, III/1994 und I bis III/1995 ist er in den Verwaltungs- und Gerichtsinstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) macht er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Mängel des berufungsgerichtlichen Verfahrens geltend (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 3 SozialgerichtsgesetzSGG ≫).

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, denn ihre Begründung genügt den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Sie ist aber insgesamt unbegründet.

Verfahrensmängel, auf denen das Berufungsurteil beruhen könnte (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), liegen nicht vor.

Die Rüge, das Berufungsgericht habe gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG verstoßen, indem es in den Entscheidungsgründen seines Urteils überwiegend aus einem anderen, das einen anderen Kläger betraf, zitiert habe, greift nicht durch.

Bezugnahmen auf andere Urteile sind zulässig, soweit diese veröffentlicht (vgl BGH NJW 1991, 2761, 2762 unter II 1 a) oder zuvor im Verfahren den Beteiligten zugeleitet worden sind (so zB der Fall BFHE 170, 129, 130 = BStBl II 1993, 722, 723).

Das LSG hatte den Kläger bzw seinen Prozeßbevollmächtigten zuvor darüber informiert, daß die streitigen Rechtsfragen bereits entschieden waren, und ihm die Kopie eines der Urteile vom 14. Januar 1998 zugesandt (Schreiben des LSG vom 17. März 1998). Die Bezugnahme im Berufungsurteil auf das andere Urteil ist trotz ihres großen Umfanges nicht zu beanstanden. Das andere Urteil betrifft dieselbe Problematik, nämlich dieselben Vergütungsregelungen für Leistungen des ambulanten Operierens. Die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils sind auch nicht, wie der Kläger meint, aufgrund der Bezugnahme nicht nachvollziehbar. Die Ausführungen des anderen Urteils machen das Berufungsurteil nicht unverständlich. Der dem anderem Urteil zugrunde liegende Fall ist dem des Klägers vergleichbar. Obgleich in den zitierten Ausführungen ein anderer als „Kläger” bezeichnet wird, ist das Berufungsurteil verständlich. Beginn und Ende des Zitats sind nämlich deutlich gekennzeichnet.

Ein Rechtsverstoß liegt auch nicht darin, daß in dem hereingenommenen Text aus dem anderen Urteil Gesichtspunkte erörtert werden (zB betreffend ein Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit), die im Verfahren des Klägers nicht vorgebracht worden sind. Daraus ergibt entgegen der Ansicht des Klägers nicht etwa ein Verstoß gegen § 128 Abs 2 SGG, wonach das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Durch die Übersendung vom 17. März 1998 hat das LSG ihn über die darin abgehandelten Gesichtspunkte informiert, so daß er sich zu ihnen hat äußern können. Dies hat er im übrigen auch getan. In seiner Berufungsbegründung ist er auf einige in dem Urteil genannte Gesichtspunkte eingegangen (Schriftsatz vom 27. April 1998, zB S 4/5 mit Nennung der sog Brenner-Studie).

Der Umstand, daß nicht alle vom Kläger vorgebrachten Gesichtspunkte in den Entscheidungsgründen behandelt worden sind, führt nicht zu einer Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 2 SGG. Als Angabe der für die richterliche Überzeugung leitenden Gründe reicht die Darlegung der wesentlichen Gesichtspunkte aus. Es braucht nicht der gesamte Beteiligtenvortrag und jede Einzelheit behandelt zu werden (BSGE 1, 91, 94; Pawlak in: Hennig, SGG, § 128 RdNr 136 mwN).

Die Ansicht des Klägers, das Berufungsurteil sei auf den Gesichtspunkt, daß wegen der niedrigen Vergütung der Leistungen des ambulanten Operierens die vertragsärztliche Versorgung in diesem Bereich nicht mehr gewährleistet sei, nicht ausreichend eingegangen, greift nicht durch. Weitere Ausführungen wären nur veranlaßt gewesen, wenn der Kläger konkrete Anhaltspunkte für eine echte Gefährdung der Versorgung vorgebracht hätte. Dies ist aber nicht der Fall. Der vorgetragene Zusammenbruch von Praxen (worauf des Berufungsurteil – S 23 – ausdrücklich eingeht) belegt das nicht, solange die übrigen zugelassenen Chirurgen den vertragsärztlichen Versorgungsbedarf in diesem Bereich weiterhin im wesentlichen abdecken.

Ebenso geht seine Ansicht fehl, es verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör – § 62 SGG und Art 103 Abs 1 Grundgesetz –, daß das Berufungsurteil nicht in dem von ihm gewünschten Umfang auf seine Argumente eingegangen ist.

Ein Verstoß gegen § 128 Abs 1 Satz 2 SGG ergibt sich ferner nicht aus seinem Vorbringen, der Berufungsrichter argumentiere in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 18. Mai 1998 anders als im Erörterungstermin am 30. April 1998. Ungeachtet der Frage, ob diese Behauptungen tatsächlich zutreffen, ist für die Entscheidung der Zeitpunkt ihres Erlasses maßgebend, so daß auch damit gerechnet werden muß, daß sich in der Zeit zwischen Erörterung und Entscheidung die richterliche Überzeugung wieder ändern kann. In dem Erörterungstermin haben der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigte sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Sitzungsniederschrift vom 30. April 1998). Dadurch haben sie in Kauf genommen, daß er von einer eventuellen Änderung der richterlichen Überzeugung nicht mehr vor Abfassung des Urteils erfahren werde. Daß neue rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte die Entscheidung des LSG vom 18. Mai 1998 beeinflußt hätten, auf die der Kläger hinzuweisen gewesen wäre, haben sie nicht vorgetragen.

Kein Verfahrensverstoß liegt schließlich darin, daß im Einverständnis mit den Beteiligten der Berichterstatter anstelle des Senats entschieden hat (§ 155 Abs 3 iVm Abs 4 SGG), die Entscheidungsgründe aber nur die Bezeichnung „der Senat” enthalten. Erkennbar ist damit der Richter gemeint, der an die Stelle des Senats getreten ist. Auch wenn man diese Terminologie als fehlerhaft ansähe, ergäbe dies keinen Verfahrensverstoß.

Der Kläger dringt auch nicht damit durch, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeu-tung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG habe.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage, die klärungsbedürftig und in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist.

Die Voraussetzung der Klärungsbedürftigkeit ist nicht erfüllt. Ihr Fehlen ergibt sich allerdings nicht schon daraus, daß die Rechtssache ausgelaufenes Recht betrifft, die streitige Regelung in dem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) nämlich nur bis zum Quartal III/1995 galt. Zwar werden in solchen Fällen besondere Anforderungen in der Weise gestellt, daß noch über eine erhebliche Anzahl gleichartiger Streitfälle zu entscheiden sein oder die Rechtsfrage aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung haben muß (BSG SozR 1500 § 160a Nr 19 und zB Senatsbeschlüsse vom 24. Juni 1994 – 6 BKa 5/94 – und vom 5. November 1997 – 6 BKa 17/97 –). Hieran scheitert die Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht. Denn es ist noch über eine erhebliche Anzahl derartiger Fälle zu entscheiden; auch sind hier mehrere Revisions-Nichtzulassungsbeschwerden erhoben worden.

Die Klärungsbedürftigkeit ist indessen deshalb zu verneinen, weil die Antworten auf die Rechtsfragen sich der Rechtsprechung des Senats entnehmen lassen. Neue grundsätzliche Fragen, die einen Bedarf nach erneuter Befassung begründen könnten (vgl BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f), sind nicht zu erkennen.

Zur Möglichkeit, für Leistungen des ambulanten Operierens Honorartöpfe zu bilden, hat der Senat in seinen Urteilen vom 7. Februar 1996 Stellung genommen. Er hat die Bildung separater Teilbudgets für Leistungen des ambulanten Operierens – ohne Zuschläge und ohne die Garantie von gestützten Mindest- oder festen Punktwerten – für die Jahre 1993 und 1994 als rechtens angesehen (BSGE 77, 279 = SozR 3-2500 § 85 Nr 10, betr MKG-Chirurg in Niedersachsen; BSG SozR aaO Nr 12, betr Augenarzt in Südwürttemberg, und BSG, Urteil vom 28. Januar 1998 – B 6 KA 86/96 R –, betr Anästhesist in Nordwürttemberg).

Der Senat hat ausgeführt, daß bis dahin – trotz des Absinkens der Punktwerte – noch keine Pflicht zu nachbessernden Regelungen bestanden hat (vgl BSG SozR aaO Nr 12 S 79 ff). Die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) hat wegen der Besonderheiten des Systems der Vergütung ambulanter Operationen mit einer Neuregelung warten können. Zum einen waren die Regelungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für Ärzte (EBM-Ä) iVm § 85 Abs 3a Satz 6 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) auf zunehmende Steigerung des Vergütungsvolumens für das ambulante Operieren angelegt (wobei der Gesetzgeber die zunächst für 1994 und 1995 vorgesehene Erhöhung um jeweils 10 % in der Weise vorgezogen hat, daß schon für 1994 eine Erhöhung um 20 % erfolgt ist). Zum anderen war nicht abschätzbar, wie die angestrebte Verlagerung von Operationen aus dem stationären in den ambulanten Bereich sich auf die Krankenhausambulanzen und die niedergelassenen Ärzte verteilen würde. Aussagekräftige Daten für die Entwicklung ab 1993 – im Sinne einer habhaften Grundlage für die Schaffung adäquater Regelungen – haben erst 1995/96 zur Verfügung gestanden (vgl BSG SozR aaO Nr 12 S 81 f).

In grundsätzlicher Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung hat der Senat auch in seinen Urteilen vom 9. September 1998 den KÄVen zugebilligt, mit Neuregelungen zu warten, bis die Datenlage den Punktwertverfall deutlich macht (B 6 KA 55/97 R und 61/97 R, betr Honorartopf für CT-/MRT-Leistungen in Hessen).

Aus den Ausführungen des Senats vom 7. Februar 1996, daß aussagekräftige Daten zur Lage bei den ambulanten Operationen für die Zeit ab 1993 erst 1995/96 vorlagen (SozR 3-2500 § 85 Nr 12), läßt sich ohne weiteres ableiten, daß die KÄVen noch bis zum Quartal III/1995 nicht zur Nachbesserung verpflichtet waren. Erst dann nämlich waren die Daten vorhanden, wie sich aus den Hinweisen in dem Senatsurteil (aaO S 82) auf das erst seit dem dritten Quartal des Jahres 1995 vorliegende Gutachten 1995 des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen sowie auf eine Abhandlung von Clade (DÄ 1996 C- 62) ergibt.

Erfolglos ist auch der Hinweis, die KÄV hätte schon aufgrund der 1992 erschienenen sog Brenner-Studie „Wirtschaftliche und medizinische Aspekte des ambulanten Operierens”, hrsg vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland) nachbessernde Regelungen vornehmen müssen. Dem ist entgegenzuhalten, daß – wie das LSG (Urteil S 10 f) zutreffend ausgeführt hat – deren Daten nur 1991/92 betrafen, aber nicht die Entwicklung und die andersartige Situation ab 1993.

Ein Bedarf nach grundsätzlicher Klärung folgt weiterhin nicht aus dem Vorbringen des Klägers, die Leistungen des ambulanten Operierens würden nicht kostendeckend vergütet, wofür er zahlreiche Beispiele aus seiner Praxistätigkeit anführt. Das BSG hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß sich aus den Vorschriften der § 72 Abs 2, § 85 Abs 3 SGB V kein subjektiver Rechtsanspruch des einzelnen Arztes auf Vergütung jeder einzelnen Leistung in einer bestimmten Höhe ableiten läßt und das vertragsärztliche Honorar nicht notwendig für jede Einzelleistung kostendeckend sein muß (zB Urteil vom 13. Mai 1998 – B 6 KA 34/97 R –; vgl auch Urteil vom 9. September 1998 – B 6 KA 55/97 R –).

Auch das Vorbringen des Klägers, die Angemessenheit der Vergütung sei hier aber deshalb näher zu überprüfen, weil aufgrund der niedrigen Vergütung die Versorgung der Kassenpatienten nicht mehr gewährleistet sei, greift nicht durch. Bedeutsam könnte dieser Gesichtspunkt nur sein, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine echte Gefährdung der Versorgung vorgetragen würden. Dies ist aber nicht der Fall. Der Hinweis, es seien auf ambulante Operationen ausgerichtete Praxen bereits zusammengebrochen, reicht dafür jedenfalls dann nicht aus, wenn die übrigen zugelassenen Chirurgen den vertragsärztlichen Versorgungsbedarf in diesem Bereich weiterhin im wesentlichen abdecken.

Nach alledem ist die Nichtzulassungsbeschwerde mit der Kostenfolge entsprechend § 193 Abs 1 und 4 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175767

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