Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 04.08.1992; Aktenzeichen L 5 U 136/90)

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht Prozeßkostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt R. B. … beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. August 1992 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, Hinterbliebenenleistungen nach ihrem verstorbenen Ehemann zu erhalten, ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 2. Juli 1987 und Widerspruchsbescheid vom 18. April 1988; Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 2. August 1990 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 4. August 1992). Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch im wesentlichen mit der Begründung verneint, es habe sich nicht feststellen lassen, daß der am 10. November 1986 verstorbene Versicherte an einer Asbestose oder durch Asbest verursachten Pleuraerkrankung gelitten habe; insbesondere habe sich nicht feststellen lassen, daß der Versicherte nachweislich bei seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Asbeststaub exponiert gewesen wäre.

Zur Begründung ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, das Urteil des LSG beruhe auf Verfahrensfehlern. Als Verfahrensfehler werde die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, auf ein faires Verfahren im Rechtsstaatssinne und iS der Menschenrechtskonvention gerügt. Diesen Verfahrensfehler sieht die Klägerin darin, daß das LSG einen Terminsverlegungsantrag ihres Prozeßbevollmächtigten vom 20. Juli 1992 abgelehnt habe, obwohl erhebliche Gründe – nämlich die Verhinderung ihres Prozeßbevollmächtigten wegen einer Terminswahrnehmung beim SG Speyer -für den Vertagungsantrag angeführt worden seien. Außerdem sei das LSG verfahrensfehlerhaft ihrem Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens darüber, daß der von Prof. Dr. W. … in seinem Gutachten vom 14. April 1992 festgestellte Befund nicht dem einer Normallunge entspreche, ohne hinreichende Begründung nicht nachgekommen. Zugleich beantragt die Klägerin, ihr unter Beiordnung ihres Prozeßbevollmächtigten Prozeßkostenhilfe zu gewähren.

Prozeßkostenhilfe kann der Klägerin nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫ iVm § 114 der Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫). Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 SGG liegen nicht vor.

Die Rüge der Klägerin, das LSG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes ≪GG≫) dadurch verletzt, daß es ihrem Antrag auf Verlegung des Termins nicht nachgekommen sei, führt nicht zur Zulassung der Revision. Nach dem gem § 202 SGG auch im Verfahren der Sozialgerichte anwendbaren § 227 Abs 1 Satz 1 der ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben und verlegt oder eine Verhandlung vertagt werden. Die Entscheidung darüber liegt im Ermessen des Vorsitzenden bzw des Gerichts; doch hat das Gesetz Maßnahmen dieser Art zur Straffung des Verfahrens an erhebliche Gründe geknüpft. Es stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs und damit einen wesentlichen Mangel des Verfahrens dar, wenn ein Antrag auf Terminsverlegung trotz des Vorliegens erheblicher Gründe abgelehnt wird (BSGE 1, 277, 279; 17, 44, 47; BSG SozR 1750 § 227 Nrn 1 und 2). Entgegen der Auffassung der Klägerin war im vorliegenden Fall ein derartiger erheblicher Grund für eine Verlegung des Verhandlungstermins am 4. August 1992 nicht gegeben.

Auch im sozialgerichtlichen Verfahren kann ein Beteiligter grundsätzlich darauf verwiesen werden, einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung des angesetzten Termins zu beauftragen, wenn hierzu sein Prozeßbevollmächtigter nicht in der Lage oder nicht willens ist (BSG Beschluß vom 31. Mai 1990 – 11 BAr 153/89 –). Das vorliegende Verfahren weist auch nach dem Streitgegenstand keine Besonderheiten auf, die eine Vertretung im Termin zur mündlichen Verhandlung durch einen anderen Rechtsanwalt ausgeschlossen hätten. Solange eine anderweitige Vertretung möglich erscheint, ist ein Gericht unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs nicht verpflichtet, einen anberaumten Termin wegen Verhinderung eines Prozeßbevollmächtigten aufzuheben, gleichgültig, ob dessen Verhinderung auf dem Jahresurlaub (BVerfGE 14, 195) oder einem anderweitigen Termin (BVerwGE 42, 288) beruht. Bei einer plötzlichen Verhinderung des Prozeßbevollmächtigten kann jedoch eine Ablehnung der Verlegung des Termins den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen (BSG SozR 1750 § 227 Nr 2 mwN). Die Rechtsprechung hat daher auch in den Fällen, in denen der Prozeßbevollmächtigte unvermeidbar verhindert war, einen Verhandlungstermin wahrzunehmen, entscheidend darauf abgestellt, ob bei Eintritt des Verhinderungsgrundes genügend Zeit verblieb, einen anderen Rechtsanwalt zu finden (BSG Beschluß vom 31. Mai 1990 – 11 BAr 153/89 – mwN). Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich auch nichts anderes aus § 3 Abs 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Nach dieser Vorschrift hat jedermann im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften das Recht, sich in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen. (Jessnitzer, Bundesrechtsanwaltsordnung, 5. Aufl, § 3 RdNr 9 mwN). Ein allgemeines Recht darauf, daß der Rechtsanwalt der eigenen Wahl den Gerichtstermin auch persönlich wahrnehmen kann, ist dieser Vorschrift nicht zu entnehmen.

Nach den für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erschien – wie das LSG zutreffend ausgeführt hat – hier eine anderweitige Vertretung der Klägerin möglich und zumutbar. Bereits bei Empfang der Terminsmitteilung am 18. Juli 1992 mußte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit der Möglichkeit rechnen, auf die Einschaltung eines Vertreters zur Wahrnehmung des Termins verwiesen zu werden. Ausdrücklich ist er hierauf mit Schreiben des Vorsitzenden des Senats vom 23. Juli 1992 hingewiesen worden. Unter Berücksichtigung der verbliebenen Zeitspanne bis zum 4. August 1992, des vom LSG festgestellten eingeschränkten Umfangs der Sache und ihres eher mittleren Schwierigkeitsgrades verblieben der Klägerin und ihrem Prozeßbevollmächtigten noch hinreichend Gelegenheit, für die Sitzung einen anderen Rechtsanwalt heranzuziehen.

Auf eine Verletzung des § 103 SGG kann der Verfahrensmangel nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Das ist dann der Fall, wenn das LSG aus seiner rechtlichen Sicht sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX RdNr 134). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Klägerin hat zwar beantragt, ein weiteres Sachverständigengutachten zum Lungenbefund des Versicherten einzuholen. Entgegen ihrer Ansicht hätte sich das LSG jedoch nicht gedrängt fühlen müssen, ein weiteres Sachverständigengutachten darüber einzuholen, ob der von Prof. Dr. W. … in seinem Gutachten vom 14. April 1992 festgestellte Befund dem einer Normallunge entspreche. Zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte nur dann zwingende Veranlassung bestanden, wenn nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln, insbesondere den im Verwaltungsverfahren und im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten Fragen zum medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offen geblieben wären (s ua Beschluß des Senats vom 4. August 1992 – 2 BU 46/92 –). Davon kann hiervon nicht gesprochen werden. Das LSG hat vielmehr eine hinreichende Begründung dafür gegeben, warum es keinen Anlaß sah, noch ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Das LSG hat sich dabei in gehöriger Form mit sämtlichen Beweismitteln auseinandergesetzt und ist dabei auf dem Wege der im Beschwerdeverfahren nicht nachprüfbaren Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt, daß entsprechend den Feststellungen von Prof. Dr. W. … auch der medizinische Befund keinen Anhaltspunkt für eine beruflich bedingte Asbestexposition des Versicherten ergibt. Das LSG hat hierzu auf die lichtmikroskopische Untersuchung von Prof. Dr. B. … hingewiesen, bei der keine Asbestkörperchen gefunden wurden. Nach der Beurteilung von Prof. Dr. W. … zeigte die Auswertung des analytischen rastertransmissionselektronenmikroskopischen Prüfverfahrens einen Befund, der sich nicht von demjenigen von Normallungen unterscheidet. Auch daraus vermochte das LSG keine Hinweise für eine relevante berufsbedingte Asbestfaserstaubgefährdung abzuleiten. Schließlich hat das LSG auf den pathologisch-anatomischen Lungenbefund des Versicherten hingewiesen, der, wie Prof. Dr. W. … hervorgehoben hat, mangels Pleuraverdickungen oder Pleuraplaques nicht für eine Asbesteinwirkung spreche.

Die übrigen Rügen der Klägerin betreffen eine nach ihrer Ansicht unzutreffende Bewertung und Würdigung der vorhandenen Beweismittel (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), insbesondere des Gutachtens von Prof. Dr. W. … vom 14. April 1992. Auf diese Verfahrensrüge kann die Beschwerde jedoch nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe war mangels Erfolgsaussicht abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173410

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