Entscheidungsstichwort (Thema)

Neue Erkenntnisse iS von § 551 Abs 2 RVO

 

Orientierungssatz

Es ist ausgeschlossen, eine Erkenntnis als neu iS des § 551 Abs 2 RVO zu werten, wenn der Verordnungsgeber diese Krankheit und ihre arbeitsbedingten Ursachen geprüft, aber deshalb nicht in die Anlage 1 zur BKVO aufgenommen hat, weil dafür kein Bedürfnis besteht.

 

Normenkette

RVO § 551 Abs 2; BKVO Anl 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 11.04.1990; Aktenzeichen L 3 U 1253/87)

 

Gründe

Die im Jahre 1929 in Schönsee/Ukraine geborene Klägerin ist mit ihrem Begehren, Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen verschiedener Erkrankungen zu erhalten, die sie sich ua bei ihrer Zwangsarbeit in Sibirien als Putzmaurerin ab Mai 1946 zugezogen habe, ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 27. August 1981, Widerspruchsbescheid vom 18. März 1982; Urteile des Sozialgerichts -SG- Frankfurt am Main vom 20. Oktober 1987 - S 8 U 86/82 -und des Hessischen Landessozialgerichts -LSG- vom 11. April 1990 - L 3 U 1253/87 -).

Ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten gesetzlichen Form. Die Beschwerde war deshalb entsprechend § 169 SGG und mit der Kostenfolge entsprechend § 193 SGG zu verwerfen.

Nach der ständigen Rechtsprechung erfordert § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47, 54, 58). Daran fehlt es der Beschwerde.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zur ausreichenden Bezeichnung des Verfahrensmangels, der darin erblickt wird, daß das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist, muß substantiiert dargelegt werden, aufgrund welcher Rechtsauffassung des LSG Tatfragen klärungsbedürftig erscheinen und es zu einer genau darzulegenden Sachaufklärung drängen mußten (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34). Daran fehlt es der Beschwerde.

Auszugehen ist von den tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (s § 163 SGG). Sie gehen ua dahin, daß es für die Art der Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin und für den Zeitpunkt, wann sie erstmals aufgetreten sind, keine Belege durch objektive ärztliche Befunde gibt. Das LSG hält die Behauptungen der Klägerin für nicht nachgewiesen, daß die ersten Rückenbeschwerden schon in den Jahren 1946 und 1947 aufgetreten seien, und damit zu einer Zeit, in der bei ihr ein stark reduzierter Kräfte- und Ernährungszustand mit Elastizitätsverlust der bindegewebigen Verbindung in dem fehlangelegten Bogen des vierten Lendenwirbelkörpers (LWK) bestanden hat und vor allem die Wachstums- und Entwicklungsphase noch nicht abgeschlossen gewesen ist. Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellung fehlt der Beschwerde die schlüssige Darlegung, warum sich das LSG hätte gedrängt sehen müssen, dem von der Beschwerde bezeichneten Beweisantrag zu folgen. Zweck dieser Beweiserhebung sollte es nach der Beschwerdebegründung sein, ein Gutachten über die Frage einzuholen, ob schwere körperliche Arbeiten, wie sie die Klägerin während ihrer Verschleppung ua in sibirischen Zwangslagern habe verrichten müssen, während der Wachstumsphase der Klägerin geeignet gewesen seien, das bei ihr festgestellte Wirbelgleiten und die darauf beruhende Degeneration der Wirbelsäule in der Entwicklung wesentlich zu begünstigen. Das aber könnte - abgesehen von weiteren Voraussetzungen - nur dann beweiserheblich sein, wenn - wie Dr. B.      es in dem Versorgungsverfahren nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) unterstellt hat - die ersten Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin schon in den Jahren 1946/47 aufgetreten sind. Gerade das hat das LSG aber nicht als erwiesen angesehen, ohne daß die Beschwerdeführerin dagegen Verfahrensrügen erhoben hat.

Ausgehend von dieser negativen tatsächlichen Feststellung fehlt der Beschwerde auch die Darlegung, warum der bezeichnete Beweisantrag nach der Rechtsmeinung des LSG beweiserheblich gewesen sein soll. Das LSG hat die Meinung vertreten, für die geltend gemachte Berufskrankheitenentschädigung scheide § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) als Anspruchsgrundlage aus. Dafür könne höchstens § 551 Abs 2 RVO in Betracht kommen. Aber auch diese Norm sei als Anspruchsgrundlage auszuschließen, weil keine neuen Erkenntnisse vorlägen, daß die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO erfüllt seien. Es komme dabei zuerst einmal darauf an, daß die generelle Geeignetheit der arbeitsbedingten Einwirkungen auf die Entstehung oder Verschlimmerung der geltend gemachten Krankheit in der medizinischen Wissenschaft allgemein anerkannt sei. Daran schon fehle es nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, wie auch die Tatsache erweise, daß der Verordnungsgeber die geltend gemachten Erkrankungen bis zur letzten Fassung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 22. März 1988 (BGBl I 400) nicht in die Anlage 1 zur BKVO als Berufskrankheiten aufgenommen habe.

Ausgehend von dieser Rechtsmeinung des LSG ist der Beschwerde auch nicht zu entnehmen, warum sich das LSG hätte gedrängt fühlen müssen, dem Beweisantrag zu folgen. Denn neu sind Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO nur, wenn sie erst nach Erlaß der letzten Anlage 1 zur BKVO bekannt geworden oder erst danach gewonnen worden sind oder sich erst nach diesem Zeitpunkt zur Berufskrankheitenreife verdichtet haben (BSGE 59, 295, 300 mwN). Danach ist es ausgeschlossen, eine Erkenntnis dieser Art - wie sie Dr. B.      in dem Versorgungsverfahren für den Einzelfall der Klägerin angenommen hat - als neu iS des § 551 Abs 2 RVO zu werten, wenn - wie es die Beschwerdeführerin meint - der Verordnungsgeber diese Krankheit und ihre arbeitsbedingten Ursachen geprüft, aber deshalb nicht in die Anlage 1 zur BKVO aufgenommen hat, weil dafür kein Bedürfnis besteht.

Schließlich hat die Beschwerdeführerin auch nicht dargelegt, daß es durch die beantragte Beweiserhebung gelungen wäre, den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen zeitlichen Überwachung derartiger Krankheitsbilder zu erbringen, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erst den Schluß zulassen, daß die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (BSGE aaO S 298).

Das von der Klägerin persönlich ohne Mitwirkung ihres Prozeßbevollmächtigten eingereichte Schreiben vom 11. September 1990 zu ergänzenden Beschwerdebegründung, beim BSG eingegangen am 14. September 1990, konnte vom Senat nicht berücksichtigt werden, weil die Klägerin die Postulationsfähigkeit gemäß § 166 Abs 1 SGG fehlt und weil im übrigen die Beschwerdebegründungsfrist gemäß § 160a Abs 2 Satz 1 SGG bereits am 29. August 1990 abgelaufen war.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650443

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge