Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung. Vereinbarkeit einer Vorschrift mit dem GG

 

Orientierungssatz

Soweit eine Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus einer Verletzung von Normen des GG ableitet, muss sie die angebliche Verfassungswidrigkeit näher substantiieren, indem sie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG darlegt, aus welchen Gründen die beanstandete Norm verfassungswidrig sein soll. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich das BSG bereits mit der Verfassungsmäßigkeit der gerügten oder einer vergleichbaren Norm auseinandergesetzt hat (vgl BSG vom 5.8.2003 - B 12 RA 5/03 B, vom 22.4.1997 - 11 BAr 3/97 = SozR 3 1500 § 160a Nr 23 und BVerfG vom 8.6.1982 - 2 BvR 1037/81 = SozR 1500 § 160a Nr 45).

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB 6; GG

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 06.12.2010; Aktenzeichen L 2 R 149/09)

SG Koblenz (Gerichtsbescheid vom 18.02.2009; Aktenzeichen S 10 R 699/08)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 25.01.2012; Aktenzeichen 1 BvR 1873/11)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Dezember 2010 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin R. beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 6.12.2010 hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch des Klägers auf Erwerbsminderungsrente wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin R. beantragt.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

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das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

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ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 160a RdNr 41). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,

ob die Regelung des § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI im Falle von Strafgefangenen, deren während ihrer Haftzeit verrichtete Arbeit keine rentenrechtliche Berücksichtigung findet, im Einklang mit höherrangigem Recht steht.

Es kann offen bleiben, ob er hiermit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage formuliert hat. Jedenfalls hat er versäumt, die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage ausreichend darzutun.

Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; s hierzu auch Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 160a RdNr 41 mwN). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap IX RdNr 183 mwN). Soweit die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus einer Verletzung von Normen des GG ableitet, muss sie die angebliche Verfassungswidrigkeit näher substantiieren, indem sie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG darlegt, aus welchen Gründen die beanstandete Norm verfassungswidrig sein soll. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich das BSG bereits mit der Verfassungsmäßigkeit der gerügten oder einer vergleichbaren Norm auseinandergesetzt hat (vgl BSG 5.8.2003 - B 12 RA 5/03 B - Juris mit Hinweis auf BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 23 und BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 45).

Hieran fehlt es. Die Beschwerdebegründung versäumt die nötige Auseinandersetzung mit der von der Vorinstanz zitierten Rechtsprechung des BSG vom 26.5.1988 (5/5b RJ 20/87 - SozR 2200 § 1246 Nr 157) sowie des BVerfG vom 8.4.1987 (1 BvR 64/84 ua - SozR 2200 § 1246 Nr 142) und 14.11.2000 (1 BvL 9/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 64). In seinem Urteil vom 26.5.1988 (aaO) hat das BSG - unter Beachtung des Beschlusses des BVerfG vom 8.4.1987 (aaO) - bereits die Verfassungsmäßigkeit der mit § 43 Abs 2 Nr 2 SGB VI inhaltsgleichen §§ 1246 Abs 2a, 1247 Abs 2a RVO im Hinblick auf Strafgefangene bejaht. Mit Beschluss vom 14.11.2000 (aaO) hat das BVerfG zu der aufgeworfenen Frage eine Richtervorlage nach Art 100 Abs 1 GG mangels hinreichender Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG sowie unzureichender Darlegung der Verfassungswidrigkeit der inhaltsgleichen §§ 1246 Abs 2a, 1247 Abs 2a RVO in Bezug auf Strafgefangene zurückgewiesen. Hiervon ausgehend hätte der Kläger aufzeigen müssen, welcher weitere Klärungsbedarf gleichwohl noch besteht. Dies ist indessen nicht geschehen.

Soweit der Kläger durch § 43 Abs 2 Nr 2 SGB VI den Art 14 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) iVm Art 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK als verletzt ansieht, hat er eine Klärungsbedürftigkeit ebenfalls nicht dargetan. Aus der Beschwerdebegründung wird nicht deutlich, inwieweit der von der EMRK gewährte Schutz des Eigentums über die Grundrechtsgarantie des Art 14 Abs 1 GG hinausgeht und wie etwaige Konflikte zwischen den Regelungen der EMRK und den innerdeutschen Vorschriften zu lösen wären (vgl BSG Beschluss vom 25.1.2006 - B 5 RJ 81/05 B). Der Kläger verweist vielmehr auf seine Ausführungen zu Art 14 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG - ohne eine eigenständige Bedeutung des Art 14 EMRK iVm Art 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK darzulegen.

Die Begründung geht darüber hinaus nicht ansatzweise darauf ein, welchen Sachverhalt das LSG festgestellt hat und ob sich gerade im Blick hierauf die von ihr aufgeworfene Frage überhaupt stellt bzw notwendig zu beantworten ist.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG).

Unabhängig von der Frage der Glaubhaftmachung der Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe aufgrund der fehlenden Unterschrift des Klägers auf dem amtlichen Prozesskostenhilfevordruck ist dem Kläger für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG jedenfalls wegen der fehlenden hinreichenden Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin R. nicht zu gewähren (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI8700153

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