Leitsatz (redaktionell)

Abweichung von einer Entscheidung: 1. Der Beschwerdeführer muß nicht nur die Abweichung von einer bestimmten Entscheidung behaupten, sondern außerdem angeben, worin diese bestehen soll. Er muß mithin ausführen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das vordergerichtliche Urteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Darlegungen enthalten ist.

 

Normenkette

SGG § 160a Fassung: 1974-07-30

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. April 1975 - Az.: L 1 U 56/74 - wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin - als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes - macht mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde zunächst geltend, die Rechtssache sei von grundsätzlicher Bedeutung. Sie führt dazu u. a. aus, es sei zu prüfen, wie das Urteil des erkennenden Senats vom 20. März 1973 - 8/7 RU 11/70 - bezüglich von Härtefällen ausgelegt werden soll. Der Senat hatte in diesem Urteil - veröffentlicht in BSG 35, 267 ff - ausgeführt, der § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) solle als Ausnahmevorschrift etwaige Härten beseitigen und den besonderen Umständen eines "Einzelfalles" Rechnung tragen und zwar auch in dem Sinne, daß eine individuell gegebene besonders ausgeprägte Empfindlichkeit zu berücksichtigen sei. Das schließe allerdings nicht aus, daß eine Reihe von Einzelfällen gleich behandelt würden. Der Versicherungsträger solle unter Würdigung dieser Umstände und etwaiger "neuer Erkenntnisse" prüfen, ob im Einzelfall eine Entschädigung "am Platze ist". Die Erkenntnisse müßten zwar "neu" sein; "neue Erkenntnisse" lägen aber auch dann vor, wenn "alte" oder "frühere" nunmehr zu einem solchen - neuen - Erkenntnisstand geführt hätten, daß eine Entschädigung nach dem Sinn und Zweck der neuen Vorschrift des § 551 Abs. 2 RVO nicht versagt werden solle. Von dieser Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts (BSG) ist die angefochtene Entscheidung ausgegangen. Sie hat sie nur auf den Einzelfall angewandt, so daß insoweit die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG n. F. (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) nicht vorliegen. Eine grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nämlich nur dann gegeben, wenn erwartet werden kann, daß die Entscheidung des Revisionsgerichts geeignet ist, in künftigen Verfahren die Rechtseinheit zu erhalten, zu sichern oder die Fortbildung des Rechts zu fördern (Beschluß des BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75) bzw. wenn die angefochtene Entscheidung eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten wäre (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - in Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG 310 § 132 Nrn. 1 und 16 sowie 235.16 § 5 LBesG Niedersachsen). Daran fehlt es hier. Es liegt im übrigen in der Natur der Sache, daß der Begriff des "Härtefalls" oder - wie das BSG selbst gesagt hat - des "Einzelfalls" im wesentlichen nur auf die individuellen Gegebenheiten des spezifischen Sachverhalts abstellen kann. Dies um so mehr, als die Soll-Vorschrift des § 551 Abs. 2 RVO dem Träger der Unfallversicherung ein - wenn auch eng begrenztes - Ermessen einräumt (BSG 35, 267, 271).

Die Klägerin macht als Beschwerdeführerin weiter geltend, das angefochtene Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) weiche von der bereits genannten Entscheidung des BSG vom "20. März 1973 - Az.: 8/7 RM 11/70 -" ab. Die Zulässigkeit dieser Rüge scheitert nicht daran, daß der Beschwerdeführer nicht die Fundstelle der erwähnten Entscheidung angegeben hat. Nach der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes muß das Urteil, von dem das Tatsachengericht abweicht, ohne große Schwierigkeiten auffindbar sein. Dies ist im allgemeinen dann der Fall, wenn Datum und Aktenzeichen (evtl. Parteien) oder die Fundstelle der Entscheidung genannt werden (BFH 99, 25, 26; 101, 44, 45; BAG 1, 10, 12). Der Beschwerdeführer hat hier zwar das Datum der Entscheidung richtig angegeben, das Aktenzeichen hingegen nur zum Teil. Statt "RM" muß es nämlich richtig "RU" heißen. Das schadet jedoch nicht, da mit Rücksicht auf die Bezeichnung des Senats und die Datumsangabe sofort zu erkennen war, wie die richtige Bezeichnung lauten mußte. Nach alledem sieht der Senat die Voraussetzungen der "Bezeichnung" insoweit als erfüllt an.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes "bezeichnet werden" könnte man annehmen, daß die Bezeichnung der Divergenzentscheidung als solche ausreiche. Das ist jedoch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht der Fall. Weyreuther (Revisionszulassungs- und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte 1971 Rdnr. 220) weist zutreffend darauf hin, eine derartige Beschränkung sei unsinnig. Allein mit dem Hinweis auf eine Entscheidung sei für den Zulassungsgrund selbst noch wenig gewonnen. Die Abweichung "von einer Entscheidung" bestehe notwendig in der Abweichung von bestimmten Aussagen einer Entscheidung. Dieser Einsicht entspreche es, daß in die Bezeichnungslast die Darlegung der Abweichung eingeschlossen sei. Dem stimmt der Senat zu. Das bedeutet, der Beschwerdeführer muß nicht nur die Abweichung von einer bestimmten Entscheidung behaupten, sondern außerdem angeben, worin diese bestehen soll (vgl. BVerwG DVBl 1961, 382, 383 = Buchholz 310 § 132 Nr. 9; BGHZ 15, 5, 9; BAG 1, 10, 12). Das hat zur Folge, daß der Beschwerdeführer ausführen muß, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Darlegungen enthalten ist (BSG, Beschluß v. 18.6.1975 - 1 BA 31/75).

An diesen Voraussetzungen mangelt es im vorliegenden Fall, denn es ist nicht hinreichend dargetan, inwiefern das LSG aus dem Alter des Klägers auf einen für die hier streitige Berufskrankheit wesentlichen neuen" Erkenntnisstand nach den in der Entscheidung vom 20. März 1973 enthaltener. Grundsätzen hätte schließen müssen. Darüber hinaus ist eine Abweichung von dieser BSG-Entscheidung auch nicht erkennbar, weshalb die Beschwerde auch insoweit keinen Erfolg haben kann.

Verfahrensmängel hat der Beschwerdeführer nicht bezeichnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647118

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