Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.05.2001)

 

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Mai 2001 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) vom 1. April bis 20. Mai 1999; die Beteiligten streiten darüber, ob der Anspruch während dieser Zeit wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Zahlung einer Entlassungsentschädigung geruht hat.

Der 1940 geborene Kläger war seit 1979 bis zum 31. März 1999 als Maschinenschlosser bei der D. … M. … F. … GmbH beschäftigt. Nach dem Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden (MTV) war das Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 53. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von mindestens drei Jahren nur noch aus wichtigem Grund kündbar (§ 4.4 MTV). Das Arbeitsverhältnis endete durch Arbeitgeberkündigung vom 30. Juli 1998 zum 31. März 1999. Der Kläger erhielt eine Abfindung von 35.400 DM.

Diese Regelung erfolgte wegen der Schließung der D. … M. … F. … GmbH und dem damit verbundenen Abbau aller 158 Arbeitskräfte. Eine Betriebsvereinbarung 02/98 vom 9. März 1998, die einen Interessenausgleich/Sozialplan vom 15. Oktober 1993 ablöste, sah ua nach Pensionierungsmaßnahmen und dem Abschluß von Aufhebungsverträgen betriebsbedingte Kündigungen als letztes Mittel des Personalabbaus vor. Ein als Firmentarif geschlossener Zusatztarifvertrag zum MTV vom 5. Juni 1997 regelte für Mitglieder der IG Metall – wie den Kläger –, daß § 4.4 MTV nicht anzuwenden sei, sondern die ordentlichen Kündigungsfristen des § 4.5 MTV. Von dieser Lösungsmöglichkeit hat die frühere Arbeitgeberin des Klägers Gebrauch gemacht.

Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) lehnte den Antrag auf Alg für die Zeit vom 1. April bis 20. Mai 1999 ab, weil das Arbeitsverhältnis nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung kündbar gewesen sei, so daß unabhängig von dem Zusatztarifvertrag eine fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr gelte (Bescheid vom 17. Mai 1999; Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1999). Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) ist davon ausgegangen, die Kündigungsmöglichkeit der Arbeitgeberin nach dem Zusatztarifvertrag sei rechtlich nicht zu beanstanden. Gleichwohl gelte die fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr, weil für die Frage, ob der Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung kündbar sei, nach dem Zweck des Gesetzes eine konkrete Betrachtungsweise geboten sei. Das Gesetz wolle den Doppelbezug von Arbeitsentgelt und Alg verhindern und zugleich Manipulationen zur Umgehung des Gesetzes erschweren. Dies sei nicht gewährleistet, wenn schon die abstrakte Möglichkeit einer Kündigung ohne Abfindung die Anwendung der Ruhensvorschrift ausschließe (BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 15). Nicht entscheidend sei es deshalb, ob der Zusatztarifvertrag gerade im Hinblick auf den Sozialplan eine Kündigungsmöglichkeit geschaffen habe oder ob der Sozialplan, der den Anspruch auf die Entlassungsentschädigung begründe, vor oder nach Abschluß des Zusatztarifvertrages vereinbart worden sei. Im konkreten Fall sei eine durch Abschluß des Zusatztarifvertrages zugelassene ordentliche Kündigung nur bei Zahlung einer Abfindung möglich gewesen. Die Voraussetzungen für eine kürzere fiktive Kündigungsfrist lägen nicht vor. Den Ruhenszeitraum habe die BA mit 50 Tagen zutreffend berechnet. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.

Mit der Beschwerde macht der Kläger die Zulassungsgründe grundsätzliche Bedeutung der Sache und Abweichung von Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG) geltend. Die Beschwerdebegründung führt aus, das LSG verkenne Wortlaut und Zweck des § 143a Abs 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III). Es sei mit der nach der Gesetzesbegründung offenkundigen Absicht des Gesetzgebers nicht vereinbar, wenn das LSG die fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr bereits dann annehme, wenn eine Kündigung ausgesprochen und eine Entlassungsentschädigung aufgrund eines Sozialplans gezahlt werde. Das LSG verkenne in diesem Zusammenhang die Vorschriften der §§ 111 bis 113 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Die Ansicht des LSG führe zu unlösbaren Wertungswidersprüchen bei Kündigung von Arbeitnehmern in einem Unternehmen mit weniger als 21 wahlberechtigten Arbeitnehmern. Sie führe zu einer Verletzung des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Insoweit sei die Rechtslage der Entscheidung des BVerfG vom 12. Mai 1976 (BVerfGE 42, 176 = SozR 4100 § 117 Nr 1) vergleichbar. Das LSG stelle Arbeitnehmer, für die ein Sozialplan im Rahmen einer Betriebsänderung geschlossen worden sei, ohne sachlichen Grund schlechter als Arbeitnehmer, denen eine Abfindung aufgrund einer einzelvertraglichen Vereinbarung oder im Rahmen des § 113 BetrVG zustände. In allen Fällen erhielten Arbeitnehmer Entlassungsentschädigungen zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen Besitzstandes. Das LSG verkenne auch die Grundsätze der Entscheidung des BSG vom 5. Februar 1998 (SozR 3-4100 § 117 Nr 15) und die vom BSG geforderte „konkrete Betrachtungsweise”. Klärungsbedürftig sei – auch im Hinblick auf weitere anhängige Verfahren – die Rechtsfrage, ob der Gesetzgeber im Rahmen des § 143a Abs 1 Satz 4 SGB III die Zahlung einer Entlassungsentschädigung als Voraussetzung für den Ausspruch der Kündigung verstanden wissen wolle. Der vom LSG aufgestellte Rechtssatz, im Rahmen dieser Vorschrift sei die Zahlung einer Entlassungsentschädigung nicht notwendig Wirksamkeitsvoraussetzung einer ordentlichen Kündigung, sei noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidung gewesen. Mit seiner Entscheidung weiche das LSG von den erwähnten Entscheidungen des BVerfG und BSG ab.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist nicht zulässig, denn in der Beschwerdebegründung sind die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dargelegt bzw bezeichnet.

1. Die grundsätzliche Bedeutung der Sache läßt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt (BSGE 40, 40, 42 = SozR 1500 § 160a Nr 4; BSG Beschluß vom 29. März 2001 – B 11 AL 47/01 B – stRspr), deren Klärung über den entschiedenen Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung im Allgemeininteresse erforderlich ist (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsverfahren zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit) (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 7, 59 und 65 – stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 8). Dabei hat die Beschwerdebegründung insbesondere auszuführen, inwiefern sich eine Antwort auf die Rechtsfrage nicht bereits aus der vorliegenden Rechtsprechung des BSG ergibt. Die Behauptung, das BSG habe die Frage noch nicht entschieden, ob eine Entlassungsentschädigung die fiktive Jahresfrist iS des § 143a Abs 1 Satz 4 SGB III nur auslöse, wenn sie rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung sei, reicht nicht aus, um die Klärungsbedürftigkeit darzulegen. Auch wenn das BSG die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich behandelt hat, zur Auslegung der einschlägigen Vorschrift aber schon Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Antwort auf die als grundsätzlich herausgestellte Rechtsfrage enthalten, steht die Antwort praktisch außer Zweifel, so daß eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 116, 117).

Die Beschwerdebegründung versäumt es, sich mit den Ausführungen des BSG (SozR 4100 § 117 Nr 15) zu Inhalt, Entstehungsgeschichte und Zweck des § 117 Abs 2 Satz 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) = § 143a Abs 1 Satz 4 SGB III auseinanderzusetzen. Auf diesen Erwägungen baut die Entscheidung BSGE 87, 250 = SozR 3-4100 § 117 Nr 22 auf. Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, inwiefern diese Ausführungen nicht eine Antwort auf die aufgeworfene Rechtsfrage enthalten. Dies gilt um so mehr, als das BSG sich für das Verständnis des § 117 Abs 2 Satz 4 AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) auch mit der Entscheidung BSGE 50, 121 = SozR 4100 § 117 Nr 3), die einen ähnlichen Sachverhalt wie den vorliegenden zum Gegenstand hatte, auseinandergesetzt und begründet hat, weshalb gerade die Zielsetzung der jetzigen Gesetzesfassung ein Ruhen des Alg rechtfertigt. Der Kläger gehört nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG zu den nach § 4.4 MTV nicht mehr kündbaren Arbeitnehmern. Von dieser Regelung macht der Zusatztarif lediglich im Interesse der Betriebsänderung eine Ausnahme, nachdem wegen Auslaufen der Produktion der Baureihe 226 zunächst der Interessenausgleich/Sozialplan vom 15. Oktober 1993 geschlossen worden war, den die Betriebsvereinbarung 02/98 vom 9. März 1998, die auf den Kläger anzuwenden war, ersetzt hat. Unabhängig von der Fassung des Zusatztarifs ist die Annahme der Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung an sich tariflich nicht kündbarer Arbeitnehmer ohne die im Interessenausgleich/Sozialplan vorgesehene Entlassungsentschädigung wirklichkeitsfremd. Unter diesen Umständen ist schon zweifelhaft, ob sich die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage ernsthaft stellt. Das kann auf sich beruhen, denn die Beschwerdebegründung enthält keine Ausführungen, nach denen diese Rechtsfrage trotz der Ausführungen des BSG im Urteil vom 5. Februar 1998 (SozR 3-4100 § 117 Nr 15) noch klärungsbedürftig ist. Die Beschwerdebegründung begnügt sich mit Behauptungen, die den sachlichen Zusammenhang mit den tariflichen und betrieblichen Regelungen und dem Zweck des § 143a Abs 1 Satz 4 SGB III vermissen lassen. Dazu ist ergänzend klarzustellen, daß Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde nicht die Richtigkeit der Entscheidung des LSG in der Hauptsache, sondern die Nebenentscheidung zur Nichtzulassung der Revision ist. Auch Bezugnahmen auf Verfassungsrecht oder Entscheidungen des BVerfG sind ohne nähere inhaltliche Darstellung und Folgerungen für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung darzulegen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 23; Kummer aaO RdNr 146). Die Bezugnahme auf BVerfGE 42, 176 = SozR 4100 § 117 Nr 1 ist hier unbehelflich, weil die Abgeltung des sozialen Besitzstandes durch die Entlassungsentschädigung im vorliegenden Falle trotz der Ruhensvorschrift gewährleistet ist. Allerdings läßt sich trotz höchstrichterlicher Rechtsprechung die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage darlegen, wenn gegen diese Rechtsprechung bedenkenswerte Einwände erhoben werden. Der Beschwerdebegründung selbst sind diese nicht zu entnehmen. Die Bezugnahme auf Ausführungen von Gagel reicht zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht aus. Eine kritische Rezensionsabhandlung zu der Entscheidung BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 15 ergibt, daß Gagel der Rechtsprechung des BSG in dem hier maßgeblichen Punkt zustimmt (Gagel NZS 2000 327, 328).

2. Eine Abweichung von den Entscheidungen BVerfGE 42, 176 = SozR 4100 § 117 Nr 1 und BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 15 ist in der Beschwerdebegründung nicht bezeichnet. Die Beschwerdebegründung macht zwar deutlich, welche Aussage in dem Urteil des LSG eine Abweichung enthalten soll. Sie stellt aber nicht die Aussagen in den in Bezug genommenen Entscheidungen des BVerfG und des BSG der tragenden rechtlichen Aussage des LSG gegenüber, was für die Bezeichnung einer Abweichung unerläßlich ist. Die Behauptung, die angefochtene Entscheidung sei mit höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht vereinbar, enthält noch nicht die Bezeichnung einer Abweichung. Diese setzt voraus, daß die Rechtsprechung im angefochtenen Urteil in Frage gestellt wird, was nicht der Fall ist, wenn höchstrichterliche Entscheidungen in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall vom LSG verkannt sein sollten (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; BSG Beschluß vom 27. Februar 2001 – B 11 AL 221/00 B –). Unter diesen Umständen kann auf sich beruhen, daß die Beschwerdebegründung selbst davon ausgeht, einschlägige höchstrichterlichen Rechtsprechung liege nicht vor. Im übrigen hat das LSG der Entscheidung BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 15 wesentliche Anhaltspunkte für sein Urteil entnommen.

3. Da ihre Begründung nicht den prozessualen Anforderungen genügt, ist die Beschwerde entsprechend § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG entsprechend.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175195

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