Verfahrensgang

SG Meiningen (Entscheidung vom 04.10.2018; Aktenzeichen S 16 KR 2012/17)

Thüringer LSG (Urteil vom 21.07.2022; Aktenzeichen L 6 KR 1382/18)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 21. Juli 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um einen Auskunftsanspruch der Klägerin zu Art und Umfang der Aufwendungen für versicherungsfremde Leistungen und deren Auswirkungen auf die Beitragshöhe sowie um die Rückerstattung gegebenenfalls überzahlter Beiträge zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV).

Die Klägerin ist seit dem 1.7.2015 als Selbständige freiwilliges Mitglied der zu 1. beklagten Krankenkasse (im Folgenden: Beklagte) und bei der zu 2. beklagten Pflegekasse pflichtversichert. Nach Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und einer Erhöhung des Beitragssatzes zur sPV setzte die Beklagte ab dem 1.1.2017 die Beiträge zur GKV und - im Namen der Beklagten zu 2. - zur sPV auf insgesamt 774 Euro monatlich fest (Bescheid vom 11.1.2017). Mit ihrem Widerspruch bat die Klägerin ua um Mitteilung, inwieweit sich "versicherungsfremde Leistungen, z.B. für die Versorgung von Asylbewerbern und Flüchtlingen" auf die Beitragshöhe auswirkten. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 2.1.2018).

Die hiergegen erhobene sowie auf Auskunftserteilung und Erstattung gegebenenfalls überzahlter Beiträge gerichtete Klage ist vor dem SG (Gerichtsbescheid vom 4.10.2018) und dem LSG erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein Auskunftsanspruch gemäß § 15 Abs 1 SGB I sei schon deshalb nicht gegeben, weil die Beklagte nicht zur Auskunft imstande sei. Der Beitragssatz werde vom Gesetzgeber festgelegt; die zugrunde liegende Kalkulation gehöre nicht zu den Aufgaben der Beklagten. Zudem gebe es keine einheitliche Definition der "versicherungsfremden Leistungen". Unabhängig davon stehe die Beitragshöhe nicht in einem mathematischen Bezug zu "versicherungsfremden Leistungen". Die Finanzierung bundesgesetzlich normierter Leistungen durch die GKV sowie die sPV begegne grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Abgrenzung "versicherungsfremder" Leistungen sei nicht verfassungsrechtlich vorgegeben, sondern politischer Natur und vom Gesetzgeber zu treffen. Dieser habe nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG sowie des BSG eine weitgehende sozialpolitische Gestaltungsfreiheit. Die Sozialversicherung werde gerade durch den sozialen Ausgleich und das Solidarprinzip geprägt (Urteil vom 21.7.2022).

Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit ist darzulegen, inwieweit sich weder aus den gesetzlichen Bestimmungen noch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben. Auch wenn eine Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich entschieden worden ist, so ist sie als geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6). Ein erneuter oder gegebenenfalls über bereits ergangene Entscheidungen hinausgehender Klärungsbedarf ist in der Beschwerdebegründung aufzuzeigen. Die Darlegung eines erneuten Klärungsbedarfs erfordert Ausführungen, die substantiiert aufzeigen, dass der Entscheidung in nicht geringem Umfang widersprochen wird oder neue Entwicklungen in der Rechtsprechung oder im Schrifttum eine erneute Klärung erforderlich machen (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2019 - B 3 P 17/18 B - juris RdNr 9 mwN).

Die Klägerin wirft die Frage auf, "ob dem Versicherten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 15 SGB I gegenüber dem Versicherer ein Auskunftsanspruch über Art und Umfang für versicherungsfremde im Sinne von 'gesamtgesellschaftliche' Leistungen und deren Auswirkungen auf die Beitragshöhe zusteht und die insoweit erhobenen Beiträge gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gem. Art. 3 I GG verstoßen".

Sie führt aus, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG "die Beitragserhebung nicht erfolgreich damit angegriffen werden könne, bestimmte Aufgaben seien der Rentenversicherung fremd und nicht von den Beitragszahlern zu finanzieren (etwa BVerfG 10.5.1960, BVerfGE 11, 105; 8.4.1987, BVerfGE 75, 108; 7.7.1992, BVerfGE 87, 1)". Dabei werde übersehen, "dass die Kompetenznormen der Art. 70 ff. GG lediglich Aussagen darüber treffen, ob innerhalb des bundesstaatlichen Systems eine Regelungskompetenz dem Bund oder den Ländern zufällt", aber nichts darüber besagten, "ob auch die Art und Weise, wie er (der Gesetzgeber) sie geregelt hat, mit dem Grundgesetz in Einklang steht". Jedes Bundesgesetz müsse sich an den Grundrechten, auch an Art 3 GG, messen lassen, weshalb es verfassungsrechtlichen Bedenken begegne, wenn der Gesetzgeber der Sozialversicherung Aufgaben überantworte, "für die aber die Beitragszahler keine spezifische Verantwortung tragen, die es rechtfertigt, ihnen - und nicht der Gesamtheit der Steuerzahler - die daraus resultierenden Lasten aufzuerlegen". Auch die Auffassung des BSG, "für einen weitergehenden Vergleich der Belastung" der Beitragszahler einerseits und der "Mitglieder der Gesamtgesellschaft" andererseits "sei Art. 3 I GG 'kein Maßstab' (BSG Urt. v. 29.01.1998, B 12 KR 35/95)", sei unzutreffend.

Die Klärungsbedürftigkeit der gerügten Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung wegen versicherungsfremder Leistungen wird damit nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere zeigt die Klägerin keine Gesichtspunkte auf, aus denen sich ein über die von ihr zitierten Entscheidungen des BVerfG sowie des BSG hinausgehender oder gegebenenfalls erneuter Klärungsbedarf ergeben könnte. Dazu hätte substantiiert aufgezeigt werden müssen, dass den zitierten Entscheidungen in nicht geringem Umfang widersprochen wird oder neue Entwicklungen in der Rechtsprechung oder im Schrifttum eine erneute Klärung erforderlich machten. Mit der Behauptung, die Rechtsprechung der genannten Obergerichte sei "unzutreffend, denn sie vermengt in unzulässiger Weise zwei völlig verschiedene Verfassungsnormen" und Art 70 ff GG regelten "ausschließlich die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen", beanstandet die Klägerin im Kern deren inhaltliche Richtigkeit. Das zeigt aber noch keinen erneuten oder weiteren Klärungsbedarf auf. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen der Beschwerdebegründung zu Art 3 Abs 1 GG. Insoweit mangelt es nicht nur an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des BVerfG zu diesem Grundrecht (vgl zB BVerfG Beschluss vom 7.4.2022 - 1 BvL 3/18 - BVerfGE 161, 163 RdNr 239 ff mwN), die Klägerin legt auch nicht dar, dass insoweit neue Entwicklungen Anlass zu einer erneuten Klärung der aufgeworfenen Frage geben würden.

Auch die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage ist nicht hinreichend dargelegt. Denn der Beschwerdebegründung lässt sich nicht hinreichend entnehmen, welche Auskunft in Bezug auf "versicherungsfremde" Leistungen die Klägerin überhaupt begehrt. Zwar führt die Klägerin aus, der unbestimmte Rechtsbegriff der "versicherungsfremden Leistungen" werfe Auslegungszweifel auf und das BSG habe sich bisher nicht mit Auskunftsansprüchen des Beitragszahlers zu versicherungsfremden Leistungen und einem Verstoß der insoweit erhobenen Beiträge gegen Art 3 Abs 1 GG befasst. Der Begriff "versicherungsfremde Leistungen" wird aber sehr unterschiedlich verstanden. Er ist nicht gesetzlich normiert und die Klägerin legt nicht hinreichend dar, was sie selbst darunter versteht. Der Vergleich der von ihr im Rahmen des Widerspruchsverfahrens beispielhaft für eine versicherungsfremde Leistung aufgeführten "Versorgung von Asylbewerbern und Flüchtlingen" mit den Leistungen, die nach der vom LSG zitierten Anlage zu § 2 Abs 1 der Verordnung über die Verteilung der pauschalen Abgeltung für Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen durch den Bund und zur Änderung der Risikostrukturausgleichsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 26.4.2004 als "versicherungsfremde Leistungen" gelten, veranschaulicht eine große Diskrepanz. Soweit die Klägerin von "versicherungsfremden im Sinne von gesamtgesellschaftlichen Leistungen" spricht, "für die aber die Beitragszahler keine spezifische Verantwortung tragen", bleibt offen, welche Leistungen die Sozialversicherung umfasst und welche den gesamtgesellschaftlichen Aufgaben zugeschrieben werden sollen oder müssen. Dass eine nähere Konkretisierung des geltend gemachten Auskunftsanspruchs unmöglich oder ausnahmsweise entbehrlich sein könnte, zeigt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht auf.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Heinz

Padé

Waßer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16180455

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