Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 28.01.2022; Aktenzeichen L 14 R 472/20)

SG Detmold (Entscheidung vom 01.04.2020; Aktenzeichen S 17 R 274/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob die mit Bescheid vom 4.9.2001 festgestellte Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) für die Tätigkeit des Klägers bei dem Beigeladenen fortbesteht.

Der Kläger war ab dem 1.8.2001 als Rechtsanwalt/Steuerassistent bei einer Aktiengesellschaft angestellt. Seinem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der GRV für diese Tätigkeit entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 4.9.2001. Mit weiterem Bescheid vom 3.12.2001 befreite die Beklagte den Kläger antragsgemäß auch für seine zeitlich befristete Beschäftigung vom 1.2.2001 bis zum 31.7.2001 als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Zum 15.5.2002 nahm der Kläger eine Tätigkeit als Syndikusanwalt bei dem Beigeladenen auf. Den 2015 gestellten Antrag auf Feststellung der Fortgeltung der Befreiung gemäß Bescheid vom 4.9.2001 auch über den 31.12.2014 hinaus lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 24.3.2015; Widerspruchsbescheid vom 24.2.2017).

Aufgrund der im März 2016 gestellten Anträge des Klägers auf (rückwirkende) Befreiung entsprechend den durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte eingeführten neuen Bestimmungen befreite ihn die Beklagte zunächst für die hier in Rede stehende Tätigkeit bei dem Beigeladenen von der Versicherungspflicht für die Zeit ab 7.7.2016 (Bescheid vom 16.9.2016) und rückwirkend für die Zeit vom 15.5.2002 bis zum 6.7.2016 (Bescheid vom 30.11.2016) von der Rentenversicherungspflicht für die Beschäftigung bei dem Beigeladenen. Das SG hat die Klage auf Feststellung des Fortbestehens der früheren Befreiung abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 1.4.2020), das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger habe zwar wegen Wiederholungsgefahr ein hinreichend berechtigtes (künftiges) Interesse an dem Feststellungsbegehren. Dieses sei aber unbegründet, weil sich die mit Bescheid vom 4.9.2001 erteilte Befreiung nicht auf den Beruf als solchen, sondern auf die konkret ausgeübte Beschäftigung beziehe. Ein schutzwürdiges Vertrauen sei dadurch nicht begründet worden (Urteil vom 28.1.2022).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Wird geltend gemacht, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann eine Beschwerde nur gestützt werden, wenn sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

Der Kläger rügt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) sowie seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das LSG habe seine Beweisantritte im Schriftsatz vom 24.7.2017 nicht berücksichtigt. Eine Mitarbeiterin des zuständigen Versorgungswerks habe ihm im Mai 2002 erklärt, dass es wegen des Wechsels seines Arbeitgebers keines neuen Antragsverfahrens zur Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht bedürfe. Hätte das LSG die Mitarbeiterin als Zeugin vernommen, wäre bewiesen worden, dass die Beklagte durch Einschaltung des Versorgungswerks einen Entscheidungsprozess beginne und enden lasse, der es ihm nicht als erforderlich dargestellt habe, einen neuen Antrag zu stellen. Das LSG habe auch nicht die Beweisantritte im Schriftsatz vom 24.7.2017 berücksichtigt, dass die Beklagte die zuständige Krankenkasse bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Befreiung einschalte und dadurch den Rechtsschein gesetzt habe, dass diese Krankenkasse für die Beklagte verbindliche Erklärungen zur Fortgeltung des Befreiungsbescheids abzugeben berechtigt sei. Durch die Nichtaufklärung dieses Sachvortrags sei der von der Beklagten gesetzte Rechtsschein unberücksichtigt geblieben.

Für eine zulässige Sachaufklärungsrüge fehlt es insoweit bereits an der Bezeichnung eines bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG. Das Übergehen eines Beweisantrags ist nur dann ein Verfahrensfehler, wenn das LSG vor seiner Entscheidung darauf hingewiesen wurde, dass der Beteiligte die Amtsermittlungspflicht des Gerichts noch nicht als erfüllt ansieht (vgl zur Warnfunktion des aufrechterhaltenen Beweisantrags für das Gericht zB BSG Beschluss vom 5.1.2022 - B 1 KR 15/21 B - juris RdNr 5 mwN). Insoweit ist darzulegen, dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag in der abschließenden mündlichen Verhandlung bis zuletzt aufrechterhalten oder gestellt worden ist (vgl dazu zB BSG Beschluss vom 22.1.2020 - B 9 SB 46/19 B - juris RdNr 9 mwN). Dass der Kläger an seinen mit Schriftsatz vom 24.7.2017 bezeichneten Beweisangeboten bis zuletzt festgehalten und diese in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll wiederholt habe, geht aus der Beschwerdebegründung hingegen nicht hervor. Der Senat ist nicht verpflichtet, den Kläger vor einer Entscheidung auf Mängel oder Ergänzung der Beschwerdebegründung hinzuweisen (vgl BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - juris RdNr 7).

Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge können auch nicht dadurch umgangen werden, dass der Vorhalt unzureichender Sachaufklärung zugleich in der Gestalt einer Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs geltend gemacht wird (vgl BSG Beschluss vom 14.12.2020 - B 12 R 29/20 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - juris RdNr 12). Andernfalls liefen die Beschränkungen, die § 160 Abs 2 Nr 3 SGG iVm § 103 SGG für die Sachaufklärung normiert, im Ergebnis leer. Abgesehen davon wird aus der Beschwerdebegründung des Klägers auch nicht ersichtlich, dass es sich bei den zitierten Äußerungen aus einem Schriftsatz vom 24.7.2017, der offenbar noch vor der erstinstanzlichen Entscheidung datiert, um den wesentlichen Kern seines Vortrags vor dem Berufungsgericht gehandelt haben sollte. Ein Gericht muss nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden; ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falls ergibt (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 27.5.2016 - 1 BvR 1890/15 - juris RdNr 14 f). Dass in dieser Hinsicht das rechtliche Gehör des Klägers verletzt sein könnte, lässt sich seinem Beschwerdevortrag aber nicht entnehmen. Denn es fehlt bereits an jeglichen Äußerungen zum Umfang seines Vorbringens vor dem LSG.

Soweit der Kläger geltend macht, das LSG habe bei der Interpretation des Befreiungsbescheids gegen Denkgesetze der Logik und die Regeln der Auslegung verstoßen, indem es die im Befreiungsbescheid gewählten Formulierungen falsch gewürdigt habe, macht er im Kern die inhaltliche Fehlerhaftigkeit des angegriffenen LSG-Urteils geltend. Gleiches gilt für den Vorwurf, die Entscheidung beruhe auf der fehlerhaften Würdigung, dass er nicht vertrauensschutzwürdig sei, weil er die Notwendigkeit eines neuen Befreiungsantrags nicht gerichtlich habe klären lassen. Die Behauptung, das Urteil sei inhaltlich falsch, ist von vornherein nicht geeignet, zur Zulassung der Revision zu führen (vgl BSG Beschluss vom 17.12.2020 - B 12 R 23/20 B - juris RdNr 13 mwN). Ebenso wenig kann die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Rüge der Beweiswürdigung gestützt werden (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

2. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist.

Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN).

Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger hat schon keine abstrakten Rechtsfragen zur Auslegung und zum Anwendungsbereich einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) oder zu deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert. Die Bezeichnung einer bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Allein der Hinweis, dass eine Vielzahl anderer Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nur ein einziges Mal von der Beklagten einen Befreiungsbescheid erhalten und - ohne einen neuen Befreiungsantrag für Folgearbeitgeber bzw Folgebeschäftigungsverhältnisse zu stellen - jahrzehntelang Rentenversicherungsbeiträge an das zuständige Versorgungswerk gerichtet hätten, reicht zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht aus.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Heinz

Beck

Bergner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15615675

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