Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfung einer Verfahrensrüge durch BSG. mündliche Erläuterung eines Gutachtens

 

Orientierungssatz

1. Der gesetzliche Ausschluß einer auf § 128 Abs 1 S 1 SGG gestützten Verfahrensrüge als Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde hindert das Bundessozialgericht nicht an der von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG für Sachaufklärungsrügen (§ 103 SGG) vorgeschriebenen Prüfung, ob das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (BSG vom 19.4.1983 5b BJ 334/82 = SozR 1500 § 160 Nr 49).

2. Grundsätzlich steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es einen Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens laden will. Die Ermessensentscheidung unterliegt jedoch revisionsrechtlicher Überprüfung dahin, ob das Berufungsgericht sein Ermessen rechtsfehlerhaft gebraucht hat. Die mündliche Erörterung ist jedenfalls dann geboten, wenn sie zur Klärung von Zweifeln oder zur Beseitigung von Unklarheiten unumgänglich ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn Widersprüche im Gutachten aufgezeigt werden.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 3, §§ 103, 118 Abs 1; ZPO § 411 Abs 3; SGG § 160a Abs 2 S 3 Alt 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.06.1988; Aktenzeichen L 14 J 196/87)

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) vom 24.Juni 1988 ist unzulässig, weil der Kläger die Beschwerde nicht substantiiert begründet hat. Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Divergenz oder Verfahrensfehler - zugelassen werden. Der Kläger hat sich auf Verfahrensfehler berufen. In der Beschwerdebegründung muß jedoch der Verfahrensmangel "bezeichnet" werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Das hat der Kläger nicht getan.

Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann nicht darauf gestützt werden, daß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (also der Grundsatz der freien Beweiswürdigung) verletzt sei. Auf eine Verletzung des § 103 SGG (Ermittlungsgrundsatz) kann die Nichtzulassungsbeschwerde nur gestützt werden, wenn der gerügte Verfahrensmangel sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der Frage, ob das LSG die von ihm eingeholten Gutachten richtig gewürdigt hat, kann das Revisionsgericht daher nicht nachgehen. Eine Verletzung des § 103 SGG wegen Übergehens eines Beweisantrages liegt nur dann vor, wenn das Tatsachengericht sich von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den angebotenen Beweis zu erheben (BSG SozR Nrn 7 sowie 40 zu § 103 SGG). Zur Begründetheit einer auf § 160 Abs 1 Nr 3 iVm § 103 SGG gestützten Nichtzulassungsbeschwerde gehört es demnach, daß das LSG seine Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG verletzt hat, indem es eine Beweiserhebung, die der Beschwerdeführer beantragt hat, nicht durchgeführt hat, obwohl es sich aus seiner materiell-rechtlichen Sicht hätte gedrängt fühlen müssen, diesen Beweis zu erheben. Der gesetzliche Ausschluß einer auf § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützten Verfahrensrüge als Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde hindert das Bundessozialgericht (BSG) nicht an der von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG für Sachaufklärungsrügen (§ 103 SGG) vorgeschriebenen Prüfung, ob das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 49). Der Kläger hat in der letzten mündlichen Verhandlung beantragt, den Sachverständigen Dr. Janzik vor dem Senat zu hören, ihm hilfsweise die Ausführungen im Schriftsatz vom 20. Juni 1988 zur schriftlichen Stellungnahme zuzuleiten.

Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich aber nicht, inwiefern das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, diesem Antrag nachzukommen. Es ist Sache des Klägers darzutun, inwiefern das LSG von einer erneuten Äußerung des Sachverständigen neue Erkenntnisse erwarten mußte.

Nach §§ 118 Abs 1 SGG iVm 411 Abs 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann das Gericht das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Grundsätzlich steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es einen Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens laden will. Die Ermessensentscheidung unterliegt jedoch revisionsrechtlicher Überprüfung dahin, ob das Berufungsgericht sein Ermessen rechtsfehlerhaft gebraucht hat. Die mündliche Erörterung ist jedenfalls dann geboten, wenn sie zur Klärung von Zweifeln oder zur Beseitigung von Unklarheiten unumgänglich ist (BGH NJW 1981, 2009, 2010; NJW 1982, 2875; vgl BGH VersR 1981, 576, 577, NJW 1981, 2578). Das ist insbesondere der Fall, wenn Widersprüche im Gutachten aufgezeigt werden. Solche das LSG zwingenden Gründe, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden, hat der Kläger nicht dargetan.

Nach den §§ 118 SGG, 402, 397 ZPO kann der Prozeßbeteiligte auch den Antrag stellen, daß der Sachverständige geladen wird, um ihm Fragen vorlegen zu können. In diesem Fall muß der Sachverständige geladen werden (§§ 118 SGG, 402, 397 ZPO; BGH VersR 1972, 927; NJW 1983, 340, BB 1981, 54). Daß der Kläger dem Sachverständigen bestimmte Fragen vorlegen wollte, geht aus seinem Vorbringen indessen nicht hervor.

Die Beschwerde des Klägers ist daher unzulässig und durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 202 SGG iVm § 574 ZPO und § 169 SGG analog; vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG aaO Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653648

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