Entscheidungsstichwort (Thema)

Anhörungsmitteilung

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Erlass eines Beschlusses nach § 153 Abs. 4 SGG ohne Vorhandensein eines Nachweises für die vorherige Zustellung einer Anhörungsmitteilung stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und damit einen Verfahrensmangel dar.

 

Normenkette

SGG §§ 62, 153 Abs. 4 S. 2; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Thüringer LSG (Beschluss vom 06.08.2002)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird der Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 6. August 2002 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I

Mit Beschluss vom 6. August 2002, der Klägerin zugestellt am 22. August 2002, hat das Thüringer Landessozialgericht (LSG) in einem Verfahren um die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 6. Februar 2001 ohne mündliche Verhandlung auf der verfahrensrechtlichen Grundlage des § 153 Abs 4 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit der am 16. September 2002 eingelegten und begründeten Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, denn das erst später informativ übermittelte Hinweisschreiben des LSG vom 17. Juni 2002, wonach eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung beabsichtigt sei, sei ihr vor Erlass des Beschlusses nicht zugegangen. Wäre dies geschehen, hätte sie sofort eine bereits als Entwurf vorbereitete Stellungnahme zu einem ärztlichen Sachverständigengutachten eingereicht und sich vorbehalten, ergänzend vorzutragen, denn für die endgültige Stellungnahme sei noch weiteres Studium der Fachliteratur zum Schmerzsyndrom und eine Anfrage an die Schmerzärztin Dr. U. … beabsichtigt gewesen. Es sei nicht auszuschließen, dass durch den weiteren Vortrag und die beabsichtigten Beweisanträge ihr Verfahren einen anderen Ausgang genommen hätte.

Die Beklagte hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist zulässig und begründet, denn der gerügte Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz), das in der Regelung des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG seinen besonderen Ausdruck gefunden hat, liegt vor, und es ist nicht auszuschließen, dass das LSG nach dem beabsichtigten Vortrag der Klägerin oder nach mündlicher Verhandlung zu Gunsten der Klägerin entschieden hätte.

Nach ihrem Vortrag ist der Klägerin die sog Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG, mit der kundgetan werden muss, dass das Gericht beabsichtigt, ohne mündliche Verhandlung im Beschlussverfahren zu Ungunsten der Klägerin zu entscheiden, nicht zugegangen. Ein Zustellungsnachweis für das entsprechende Schreiben, verfügt am 17. Juni 2002, nach einem Vermerk der Geschäftsstelle des LSG gefertigt und mit einfachem Brief abgesandt am 18. Juni 2002, befindet sich nicht in der Akte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin vor Zugang des Beschlusses vom 6. August 2002 auf andere Weise Kenntnis von der Anhörungsmitteilung erlangt hätte. Unter diesen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass die Klägerin die Anhörungsmitteilung nicht erhalten hat. Wenigstens hätte das LSG vor Erlass der ohne mündliche Verhandlung ergehenden Entscheidung, zB durch einen Anruf beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin, sich Gewissheit darüber verschaffen müssen, dass allen Beteiligten das Anhörungsschreiben zugegangen ist (vgl mwN BSG Urteil vom 21. Juni 2000 – B 4 RA 71/99 R – SozR 3-1500 § 153 Nr 11).

Es kann (ebenso wie in der Entscheidung des 4. Senats vom 21. Juni 2000, aaO) offen bleiben, ob wegen der in der Anhörungsmitteilung gesetzten richterlichen Frist zur Äußerung nach § 63 Abs 1 SGG ohnehin eine formelle Zustellung erforderlich gewesen wäre (bejahend zB BVerwG vom 17. November 1994 – 1 B 42/94 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr 11, Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 153 RdNr 21).

Da die Zulassung der Revision nur zu einer weiteren Verfahrensverzögerung und zu weiteren Kosten führen würde, macht der Senat von der durch § 160a Abs 5 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Dieses wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176678

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