Leitsatz (amtlich)

1. Der Betriebsrat eines Unternehmens ist im sozialgerichtlichen Verfahren wegen fehlender Beteiligungsfähigkeit nicht beizuladen, wenn er hinsichtlich des Streitgegenstandes nicht zur Geltendmachung von Rechten und Pflichten befugt ist.

2. Die Beiladung eines Nicht-Beteiligungsfähigen ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen aufzuheben.

 

Normenkette

SGG § 70 Nr 2, § 75 Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.02.1988; Aktenzeichen L 15 Kn 128/86)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 03.10.1986; Aktenzeichen S 21 Kn 23/85)

 

Gründe

Die Klägerin und die Beklagte streiten darüber, ob die Klägerin oder die Beklagte die gesetzliche Sozialversicherung der Arbeitnehmer der Beigeladenen zu 1. durchzuführen hat.

Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat durch Beschluß vom 12. März 1986 die im Rubrum des Beschlusses näher bezeichneten Beteiligten gemäß § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beigeladen.

Die Beiladung des Betriebsrates der Ruhrkohle Oel und Gas GmbH - Beigeladene zu 2. - ist aufzuheben, weil sie unzulässig war.

Da die Beiladung im Sozialgerichtsprozeß sowohl dem Beigeladenen dient - er kann in dem Prozeß seine Interessen wahrnehmen - als auch eine prozeßökonomische Funktion hat - die Entscheidung erwächst auch dem Beigeladenen gegenüber in Rechtskraft (§ 141 SGG) -, setzt sie auch voraus, daß der Beizuladende fähig ist, diese sich aus der Beiladung folgenden Rechte wahrzunehmen oder die sich aus ihr ergebenden Rechtsfolgen zu tragen; der Beizuladende muß daher beteiligungsfähig (§ 70 SGG) sein. Diese Frage darf auch nicht offen bleiben, weil sonst der Umfang der Rechtskraft des Urteils unklar bliebe (Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, RdNr 1 zu § 70).

Die Beteiligungsfähigkeit ist in § 70 SGG erschöpfend abgegrenzt. Der Beigeladene zu 2. könnte allenfalls den nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen im Sinne des § 70 Nr 2 SGG zugeordnet werden. Er ist jedoch schon deshalb keine solche Personenvereinigung, weil er nicht auf einem freiwilligen Zusammenschluß bestimmter Personen beruht, sondern ein Betriebsverfassungsorgan ist, dessen Funktionen im wesentlichen arbeitsrechtlicher Natur sind. Auch soweit er im Bereich des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens mitwirkungsbefugt ist (vgl zB § 1552 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung -RVO-; § 8 Abs 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG-), handelt er in seiner Funktion als Betriebsverfassungsorgan. Überdies ist seine Beteiligung auch dann grundsätzlich auf das Verwaltungsverfahren - für das die Beteiligtenfähigkeit in § 12 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) gesondert und weiter abgegrenzt ist als in § 70 SGG für das gerichtliche Verfahren - beschränkt. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Betriebsrat, soweit er am Verwaltungsverfahren beteiligt sein kann oder zur Geltendmachung von Rechten der Arbeitnehmer befugt ist, beteiligungsfähig im Sinne des Sozialgerichtsgesetzes (so BSG 38, 98; BSG SozR 1500 § 75 Nr 4; a.A. Lückehe, BB, 1962, 227; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 234e f mwN), denn in dem hier zu entscheidenden Zuständigkeitsstreit im Sinne des § 55 Abs 1 Nr 2 SGG obliegt dem Betriebsrat keine Mitwirkungsfunktion, die es rechtfertigen könnte, ihm ausnahmsweise die Beteiligtenstellung im Sinne des § 70 Nr 2 SGG zuzuerkennen. Dies kommt insbesondere auch nicht deshalb in Betracht, weil wie - die Klägerin, Beklagte und Beigeladene zu 2. übereinstimmend meinen -, die Beiladung des Betriebsrats zweckmäßig wäre, um die Arbeitnehmer wegen der Unmöglichkeit ihrer Beiladung (vgl dazu BSG SozR 1500 § 75 Nr 56) wenigstens indirekt am Verfahren teilnehmen zu lassen. Den vorgenannten Beteiligten ist darin zuzustimmen, daß auch dem einzelnen Arbeitnehmer in den Fällen, in denen seine Beiladung wegen der Zahl der Beizuladenden nicht sinnvoll durchführbar ist (BSG aaO), mit seiner Stellvertretung in Form der Beiladung gedient sein kann; die Bestellung eines solchen Interessenvertreters ist weder durch eine Auslegung der Vorschriften der §§ 70, 75 SGG noch durch die Analogie zu der erschöpfenden Regelung in § 70 Nr 2 SGG möglich, sondern nur dadurch, daß der Gesetzgeber den Katalog der Beteiligungsfähigen erweitert.

Fehlt dem Betriebsrat mithin jedenfalls für diesen Streit die Beteiligtenfähigkeit im Sinne des § 70 SGG, ist er damit zwangsläufig auch nicht beiladungsfähig, so daß in einem solchen Fall die Unterscheidung zwischen der notwendigen Beiladung und der sogenannten einfachen Beiladung ohne Bedeutung ist.

Der Senat hält in Fortführung der Rechtsprechung des 12. Senats (BSG SozR 1500 § 75 Nr 27) auch die Aufhebung des hinsichtlich des Beigeladenen zu 2. fehlerhaften Beiladungsbeschlusses des SG Gelsenkirchen vom 12. März 1986 im Revisionsverfahren für erforderlich. Zwar dürften jedenfalls in den Fällen der Beiladung eines Nicht-Beteiligungsfähigen dessen Verfahrenshandlungen unwirksam sein und insoweit zur Aufhebung eines Urteils führen können, wie das Urteil auf einem derartigen Verfahrensmangel beruht. Jedoch kann ein nicht beteiligungsfähiger Beigeladener Verfahrenshandlungen faktisch weiterhin vornehmen, solange er infolge des gerichtlichen Hoheitsaktes der Beiladung die verfahrensrechtliche Stellung eines Beteiligten (§ 69 Nr 3 SGG) hat. Deshalb ist ein fehlerhafter Beiladungsbeschluß in einem solchen Fall in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen aufzuheben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660382

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