Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzthaftung in der ehemaligen DDR: Ansprüche der Eltern bei Schädigung eines Neugeborenen während der Entbindung in einer Klinik; anwendbares Verjährungsrecht

 

Normenkette

BGBEG Art. 232 § 1; ZGB DDR § 82 Abs. 1; ZGB DDR § 92 Abs. 1; ZGB DDR § 332; ZGB DDR § 474 Abs. 1 Nr. 3; BGB § 852 Abs. 1 Fassung: 1980-01-01

 

Verfahrensgang

LG Potsdam (Urteil vom 29.07.2010; Aktenzeichen 11 O 148/08)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers zu 2) wird das am 29.7.2010 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Potsdam, Az.: 11 O 148/08, teilweise abgeändert und insgesamt klarstellend wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,

1.) dem Kläger zu 1) den bei seiner Geburt am ... 9.1988 im ehemaligen Bezirkskrankenhaus B. erlittenen Geburtsschaden, insbesondere

a) die Kosten der Heilung und Linderung wie u.a.

  • die Kosten von Therapien,
  • die Kosten für Arztbesuche,
  • die Kosten für orthopädische Hilfsmittel und Sonderanfertigungen,
  • die Kosten für Arzneimittel,
  • die Kosten für Pflegeleistungen,
  • die Kosten für Krankengymnastik,

b) das entgehende Arbeitseinkommen und sonstige Erwerbsminderungen wie u.a.

  • das Einkommen während einer Berufsausbildung,
  • das Arbeitseinkommen aus der Berufsausübung,
  • das Renteneinkommen,
  • die Leistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung bei Krankheit, Unfall etc.,

c) die Mehraufwendungen durch die Behinderung wie u.a.

  • den personellen Pflegeaufwand,
  • den sachlichen Pflegeaufwand,
  • die Anschaffung behindertengerechter Fahrzeuge,

soweit die diesbezüglichen Schadenspositionen nicht durch anderweitige Zahlungen gedeckt sind,

d) die Kosten der anwaltlichen Vertretung zur Durchsetzung der Schadenersatzansprüche,

zu ersetzen,

2.) dem Kläger zu 2) den Schaden, den er wegen der Geburtsschädigung des Kläger zu 1) erleidet, insbesondere

  • den pflegebedingten Verdienstausfall,
  • die pflegebedingt entgehenden Leistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung (Krankheit, Unfall, Pflege etc.),
  • die Kompensation der mit dem Verdienstausfall einhergehenden Rentenminderung,
  • den Haushaltsführungsschaden,
  • die Kosten der anwaltlichen Vertretung zur Durchsetzung der Schadenersatzansprüche,

zu ersetzen.

II. Die Berufung der Beklagten wird verworfen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithelfer hat die Beklagte zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger bzw. die Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger zu 2) eigene Schadenersatzansprüche und an ihn abgetretene Schadenersatzansprüche seiner Frau weiter, nachdem ihr Sohn T., der Kläger zu 1), während seiner Geburt am ... 9.1988 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR eine schwere körperliche und geistige Behinderung erlitten hat. Mit dem angefochtenen Urteil ist die Haftung der Beklagten als Rechtsnachfolgerin des Bezirkskrankenhauses B. gegenüber dem Kläger zu 1) festgestellt worden. Zwar ist bei guter Betreuung seine Lebenserwartung nicht eingeschränkt, er ist indes vollständig hilflos und bedarf ganztätig umfassender Pflege. Eine Besserung seines Zustandes ist nicht zu erwarten. Die Parteien streiten darum, ob über die Schadenersatzansprüche des Klägers zu 1) hinaus auch eigene Schadenersatzansprüche des Klägers zu 2) und der Mutter des Klägers zu 1) bestehen, die noch unverjährt sind und für die die Beklagte einzustehen hat. Mit der Berufung der Beklagten erstrebt diese eine für sie günstigere Kostenquote im Verhältnis zum Kläger zu 2). Wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das LG hat die Klage des Klägers zu 2) abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger zu 2) sei zwar in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages, der zwischen der Mutter des Klägers zu 1) und dem Bezirkskrankenhaus B. zustande gekommen sei, einbezogen worden. Die Ansprüche des Klägers zu 2) seien jedoch verjährt. Nach der Wiedervereinigung habe zunächst gem. Art. 231 § 6 EGBGB und § 195 BGB a.F. eine 30-jährige Verjährungsfrist gegolten. Seit der Schuldrechtsmodernisierung habe die Verjährungsfrist gem. Art. 229 § 6 Abs. 1, Abs. 4 EGBGB mit Lauf ab dem 1.1.2002 drei Jahre betragen. Eine Verjährungsunterbrechung durch tatsächliche Zahlung an den Kläger zu 2) sei trotz eines Hinweises der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 27.5.2010 nicht substantiiert dargestellt worden. Da die Schreiben der Staatlichen Versicherung der DDR vom 19.10.1989 und vom 1.9.1989 sich nicht auf Ansprüche des Klägers zu 2) bezögen und auch nicht ersichtlich sei, warum eine frühere Geltendmachung eigener Ansprüche des Klägers zu 2) nicht habe erfolgen können, erscheine die Berufung auf die Einrede der Verjährung auc...

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