Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für Haftungsfreistellung nach §§ 636, 637 Abs. 1 RVO (a.F.)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit i.S.d. § 637 Abs. 1 RVO ist objektiv zu bestimmen. Eine betriebliche Tätigkeit liegt nur vor, wenn sie unmittelbar mit dem Zweck der betrieblichen Beschäftigung zusammenhängt und dem Betrieb dienlich ist.

2. Ein Schaden, den der Schädiger bei Gelegenheit seiner Arbeit im Betrieb durch eine gefahrenträchtige Spielerei verursacht, wird von der Haftungsfreistellung des § 637 Abs. 1 RVO nicht erfasst.

 

Normenkette

BGB §§ 636, 637 Abs. 1, 4, § 828 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Neuruppin (Urteil vom 13.01.1998; Aktenzeichen 2 O 356/96)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das Urteil des LG Neuruppin vom 13.1.1998 – 2 O 356/96 – wird zurückgewiesen.

Der Beklagte zu 1) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten zu 1) bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin gegen Leistung einer Sicherheit i.H. v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, soweit nicht die Klägerin vor ihrer Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Jede Partei kann Sicherheitsleistung durch die schriftliche, selbstschuldnerische, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines Kreditinstitutes erbringen, das seinen Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat hat und dort als Zoll-, Steuer- oder Prozessbürge zugelassen ist.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil beschwert den Beklagten mit 39.748,04 Euro.

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt Ersatz immaterieller und materieller Schäden wegen eines Unfalles vom 30.7.1993.

Sie befand sich an diesem Tag gegen 10:10 Uhr mit dem Erstbeklagten und dem früheren Zweitbeklagten in Ufernähe eines Sees auf einem Steg, von dem sie ins flache Wasser stürzte. Hierbei erlitt sie eine traumatische Kompressionsfraktur des 5. Halswirbelkörpers mit Rückenmarkkompressionen und einem inkompletten Querschnittssyndrom.

Wegen der ärztlichen Behandlungen und der damit einhergehenden Diagnosen, Feststellungen und Einstufungen verweist der Senat auf die Darstellungen im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung.

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte zu 1) habe sie gemeinsam mit dem Beklagten zu 2) absichtlich und gegen ihren Willen in das an der Unfallstelle nur 50 cm tiefe Wasser geworfen.

Sie hat, neben materiellen Schäden, gestützt auf die von ihr behauptete Befindlichkeit ein Schmerzensgeld von mindestens 70.000 DM und eine monatliche Rente von 200 DM begehrt und beantragt, die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 9.399,54 DM nebst 4 % Zinsen ab Klagezustellung sowie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen.

Die Beklagten und deren Streithelfer haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten, die am Unfalltage einen Unfallbericht unterschriftlich bestätigt hatten, wonach sie die Klägerin in das Wasser geworfen haben, wo sie eigenartige Bewegungen gemacht habe, aufgrund derer ihr sofort erste Hilfe zuteil geworden und sodann ein Rettungswagen herangeholt worden sei (vgl. K 1, 7 GA), haben behauptet, die Klägerin habe ohne ihr Zutun einen Kopfsprung in den Nichtschwimmerbereich versucht, der ihr missglückt sei (vgl. 36 GA). Weiterhin haben sie die Kausalität des zur Wasserberührung führenden Geschehens für die klägerischen Verletzungen bestritten. Den Unfallbericht vom Unfalltage hätten sie unter Schock unterschrieben.

Der Beklagte zu 1) hat sich auf einen Haftungsausschluss gem. §§ 636, 637 RVO berufen (155 GA) unter Hinweis auf seinen – unstr. – Status als Gruppenhelfer und den der Klägerin als Gruppenleiterin für den Streithelfer der Beklagten.

Der Beklagte zu 2) hat die Verjährungseinrede erhoben.

Nach Beweisaufnahme zum Unfallhergang hat das LG den Beklagten zu 1) mit der angefochtenen Entscheidung verurteilt, an die Klägerin 60.000 DM Schmerzensgeld, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 200 DM sowie 5.740,40 DM Schadensersatz zu zahlen. Die Beklagten hätten die Klägerin in das Wasser geworfen, wie sich aus dem schriftlichen Unfallbericht vom Unfalltage ergebe. Dieser kehre die Beweislast zu Ungunsten des Beklagten zu 1) um, und er habe die Unrichtigkeit der von ihm selbst unterzeichneten Darstellung nicht bewiesen. Anhaltspunkte für eine schockbedingte Herabsetzung des Beweiswertes seien nicht ersichtlich. Der Beklagte zu 1) habe als jugendlicher Helfer die Gefährlichkeit seiner Handlung erkennen und nach dieser Erkenntnis handeln müssen. Ein Haftungsausschluss aus § 637 RVO scheitere an einer fehlenden betrieblichen Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt.

Das LG hat 60.000 DM Schmerzensgeld für angemessen erachtet und eine monatliche Rente von 200 DM mit einem Kapitalwert von 45.386,40 DM.

Die Klage gegen den Beklagten zu 2) hat es wegen Verjährung abgewiesen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte zu 1) seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Unter Ergänzungen seines erstinstanzlichen Vorbringens bestreitet er sein...

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