Entscheidungsstichwort (Thema)

Abänderung einer einseitig errichteten Jugendamtsurkunde

 

Leitsatz (amtlich)

Die noch nicht abschließend geklärte Rechtsfrage, ob der Unterhaltsschuldner, der einseitig eine Jugendamtsurkunde errichtet hat, ohne jede Bindung an die Urkunde Abänderung des Unterhaltstitels und Bemessung des Unterhalts allein nach den zum jeweiligen Zeitpunkt bestehenden Verhältnissen verlangen kann, darf im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten der bedürftigen Partei beantwortet werden.

 

Normenkette

ZPO § 323

 

Verfahrensgang

AG Eberswalde (Beschluss vom 21.06.2005; Aktenzeichen 3 F 72/05)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die gem. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden. Seine Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO. Er hat nicht substantiiert dargelegt, dass Gründe für eine Abänderung der Jugendamtsurkunden vom 17.4.2003 vorliegen.

Gemäß § 323 Abs. 4 ZPO finden die Vorschriften über die Abänderung des Urteils im Falle der wesentlichen Änderung der maßgeblichen Verhältnisse auf andere Schuldtitel des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, also auch auf vollstreckbare Urkunden, zu denen Jugendamtsurkunden gem. §§ 59, 60 SGB VIII gehören, Anwendung (vgl. BGH v. 30.5.1984 - VIII ZR 298/83, MDR 1984, 931 m. Anm. Waldner = FamRZ 1984, 997; Wendl/Thalmann, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 8 Rz. 168; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 323 Rz. 47 f.). Allerdings gelten die Vorschriften des § 323 Abs. 2 und 3 ZPO bei der Abänderung dieser Titel nicht (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 323 Rz. 45 ff.). So können die genannten Schuldtitel wegen des Wegfalls der Zeitschranke des § 323 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch für die Zeit bis zur Klageerhebung abgeändert werden (Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf/Schael, § 1 Rz. 398). Auf den Zeitpunkt, in dem der Gläubiger mit einem Verzicht auf seine Rechte in Verzug gekommen ist, kommt es nicht an (vgl. BGH v. 11.4.1990 - XII ZR 42/89, MDR 1990, 1008 = FamRZ 1990, 989 [990]; Graba, Die Abänderung von Unterhaltstiteln, 3. Aufl., Rz. 427). Bei der Anpassung ist der beklagte Unterhaltsschuldner durch §§ 242, 1613 BGB, der beklagte Unterhaltsgläubiger durch §§ 242, 818 Abs. 3 BGB geschützt (BGH v. 4.10.1982 - GSZ 1/82, MDR 1983, 189 = FamRZ 1983, 22 [23]; v. 11.4.1990 - XII ZR 42/89, MDR 1990, 1008 = FamRZ 1990, 989 [990]; FamVerf/Schael, § 1 Rz. 398). Wonach sich die Abänderbarkeit einer solchen Jugendamtsurkunde richtet und inwieweit eine Bindungswirkung besteht, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, da eine Erfolgsaussicht für die Abänderungsklage hier unabhängig davon nicht gegeben ist.

Bei Prozessvergleichen, durch welche die Unterhaltspflicht geregelt ist, ist für die Beantwortung der Frage, welche Verhältnisse zur Grundlage des Vergleichs gehören und wie die Parteien sie bewerten, allein auf den Parteiwillen abzustellen. Ob und in welchem Umfang eine Veränderung der Verhältnisse zur Abänderung eines Prozessvergleichs führt, bestimmt sich nicht nach § 323 Abs. 1 ZPO, sondern nach den vormals aus § 242 BGB hergeleiteten und nun in § 313 BGB normierten Grundsätzen über Veränderung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage (BGH v. 4.10.1982 - GSZ 1/82, MDR 1983, 189 = FamRZ 1983, 22 [24]; FamVerf/Schael, § 1 Rz. 400). Bei Abänderung einer Jugendamtsurkunde, die auf einer Vereinbarung der Parteien beruht, ist es wegen der Ähnlichkeit mit einer gerichtlichen oder notariellen Vereinbarung gerechtfertigt, die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ebenfalls anzuwenden (BGH v. 2.10.2002 - XII ZR 346/00, BGHReport 2003, 278 = FamRZ 2003, 304 [306]). Jedenfalls die Abänderungsklage des Verpflichteten kann in einem solchen Fall nicht frei von den Grundlagen des abzuändernden Titels erfolgen. Hat sich dagegen der Unterhaltsschuldner einseitig durch Jugendamtsurkunde zur Unterhaltszahlung verpflichtet, liegt dem also keine Vereinbarung der Parteien zugrunde, hat der Unterhaltsgläubiger, der die Zahlung höheren Unterhalts erreichen möchte, die Wahl, ob er im Wege der Erstklage nach § 258 ZPO, der sog. Zusatz- oder Nachforderungsklage (vgl. FamVerf/Schael, § 1 Rz. 389), oder im Wege der Abänderungsklage nach § 323 ZPO vorgehen will (BGH v. 16.1.1980 - IV ZR 115/78, MDR 1980, 385 = FamRZ 1980, 342 [343]; v. 30.5.1984 - VIII ZR 298/83, MDR 1984, 931 m. Anm. Waldner = FamRZ 1984, 997; v. 23.11.1988 - IVb ZR 20/88, MDR 1989, 339 = FamRZ 1989, 172 [174]). Wählt der Unterhaltsgläubiger die Abänderungsklage, so kann er eine Neufestsetzung des Unterhalts nach den gesetzlichen Vorschriften verlangen, weil sich weder aus der Urkunde selbst noch nach dem Parteivortrag für beide Parteien verbindliche Vereinbarungen über die Grundlage der Unterhaltsbemessung entnehmen lassen. In diesen Fällen der Abänderungsklage besteht materiell keine Bindung an die tatsächlichen Verhältnisse zur Ze...

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