Leitsatz (amtlich)

Für das Prozeßkostenhilfeverfahren kann Prozeßkostenhilfe nicht gewährt werden.

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg

LG Hamburg

 

Tenor

Der Antrag des Beklagten, ihm unter Beiordnung seiner zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten Prozeßkostenhilfe für das beabsichtigte Verfahren zur Bewilligung der Prozeßkostenhilfe zu gewähren, wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte beantragt, ihm Prozeßkostenhilfe für das Verfahren zur Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Revisionsverfahren zu gewähren und ihm dafür seine zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten beizuordnen. Nach Bewilligung beabsichtigt er, Prozeßkostenhilfe für seine Rechtsverteidigung in der Revisionsinstanz und für eine unselbständige Anschlußrevision zu beantragen.

II.

1.

Unter der Geltung des Armenrechts und auch nach Einführung der Prozeßkostenhilfe war und ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob im Prozeßkostenhilfe- (bzw. im Armenrechts-) Bewilligungsverfahren Prozeßkostenhilfe (bzw. Armenrecht) gewährt werden kann (vgl. ablehnend: OLG Schleswig SchlHA 1978, 75; OLG Hamburg FamRZ 1978, 936; OLG Bremen JurBüro 1979, 447; OLG Karlsruhe AnwBl 1980, 198; OLG Düsseldorf JurBüro 1981, 773; OLG Nürnberg NJW 1982, 288; OLG Hamm FamRZ 1982, 623; KG FamRZ 1982, 831; Schneider MDR 1981, 793; Pentz NJW 1982, 1269; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl. § 114 Anm. 1; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl. § 114 Rdn. A II; Zöller/Schneider, ZPO, 13. Aufl. Anm. I 1 b; ders. Vorbem. § 114 Anm. III; bejahend: OLG Köln OLGZ 1969, 33, 35; OLG Celle Nds Rpfl 1977, 190; OLG Köln MDR 1980, 407; OLG Hamm NJW 1982, 287; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 41. Aufl. § 114 Anm. 2 B i, § 119 Anm. 1 C e; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl. § 118 a Rdn. 14). Der Bundesgerichtshof hat diese Streitfrage bisher nicht entschieden; er hat sie in seinem Beschluß vom 28. Januar 1956 - IV ZR 225/55 (= LM ZPO § 119 Nr. 3) ausdrücklich offen gelassen.

2.

Der überwiegenden Auffassung, nach der für das Prozeßkostenhilfeverfahren grundsätzlich keine Prozeßkostenhilfe gewährt werden kann, ist zuzustimmen. Das Gesetz sieht Prozeßkostenhilfe für das Bewilligungsverfahren nicht vor (so auch OLG Schleswig SchlHA 1978, 75, 76; OLG Bremen JurBüro 1979, 447; OLG Düsseldorf JurBüro 1981, 773, 774; OLG Nürnberg, NJW 1982, 288; OLG Hamm FamRZ 1982, 623). Nach § 114 ZPO kann Prozeßkostenhilfe für die "Prozeßführung" gewährt werden. Hierunter ist das eigentliche Streitverfahren zu verstehen, nicht aber das Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren, in welchem lediglich über die Gewährung staatlicher Hilfe für den Antragsteller zu befinden ist (vgl. OLG Hamm FamRZ 1982, 623). Dagegen weisen diejenigen, die Prozeßkostenhilfe für das Prüfungsverfahren befürworten, darauf hin, im Prozeßkostenhilfeverfahren werde zwar unmittelbar über staatliche Fürsorgeleistungen entschieden, gleichzeitig erfolge jedoch eine vorläufige rechtliche Prüfung durch den Richter, in deren Rahmen die Beteiligten ihre Rechte verfolgten. Das Bewilligungsverfahren sei deshalb dem streitigen Prozeßverfahren eng verwandt (OLG Köln OLGZ 1969, 33, 35, 36; vgl. auch OLG Köln MDR 1980, 407).

Einer solchen ausdehnenden Auslegung bedarf es nach Sinn und Zweck der Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe jedoch nicht. Der armen Partei soll ermöglicht werden, ihr Recht vor Gericht zu verfolgen oder sich in einem Rechtsstreit zu verteidigen. Die Partei wird nicht dadurch benachteiligt, daß ihr für das Bewilligungsverfahren keine Prozeßkostenhilfe gewährt, insbesondere kein Rechtsanwalt beigeordnet wird. Bedarf der Antragsteller, bevor er einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe stellt, der Beratung über die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, so findet das Beratungshilfegesetz Anwendung, das unter den Voraussetzungen des § 1 Rechtsberatung durch Anwalt oder Gericht außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens ermöglicht (vgl. OLG Nürnberg NJW 1982, 288; Schneider MDR 1981, 793, 794; Zöller/Schneider, ZPO, 13. Aufl. § 119 Anm. I 1 b und Vorbem. § 114 Anm. III; für die Anwendbarkeit des Beratungshilfegesetzes zugunsten des Antragsgegners, weil für diesen das Prozeßkostenhilfeverfahren kein gerichtliches Verfahren sei, Pentz NJW 1982, 1269, 1270; a.A. auch für den Antragsgegner: OLG Hamm NJW 1982, 287). Ziel des Beratungshilfegesetzes ist es, sicherzustellen, daß die rechtliche Betreuung finanziell hilfsbedürftiger Bürger auch im vor- und außergerichtlichen Bereich gewährleistet ist (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung und Stellungnahme des Bundesrates in BR-Drucks. 404/79, Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) in BT-Drucks. 8/3695). Hierzu gehört die Beratung der armen Partei über ein beabsichtigtes Prozeßkostenhilfeverfahren, insbesondere die für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe maßgeblichen Erfolgsaussichten der vorgesehenen Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, die im vorliegenden Falle vom Gericht zwar nicht hinsichtlich der Rechtsverteidigung des Beklagten als Rechtsmittelgegner (vgl. § 119 Satz 2 ZPO), wohl aber hinsichtlich der beabsichtigten Anschlußrevision zu prüfen wären. Auch für eine solche Beratung im Vorfeld des Prozeßkostenhilfeverfahrens muß die staatliche Betreuung der armen Partei gewährleistet sein. Denn der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte würde - wie jeder neu eingeschaltete Rechtsanwalt - für diese Tätigkeit eine besondere Auskunftsgebühr nach § 20 BRAGebO erhalten (Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGebO, 3. Aufl. § 20 Rdn. 16).

Der Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe als solcher kann sodann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden (§ 117 Abs. 1 ZPO); Anwaltszwang besteht nach § 78 Abs. 2 ZPO auch in der Revisionsinstanz nicht. Dabei ist der Urkundsbeamte verpflichtet, den Antragsteller über die Antragserfordernisse des § 117 ZPO sachgemäß zu beraten (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 42. Aufl. § 117 Anm. 2 B).

Der armen Partei, der für das Bewilligungsverfahren Prozeßkostenhilfe nicht gewährt wird, entstehen auch keine Kostennachteile. Das Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 42. Aufl. § 118 Anm. 5 A; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl. § 118 Anm. 3 a). Dem Gegner werden außergerichtliche Kosten, die ihm im Bewilligungsverfahren entstehen, nicht erstattet (§ 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Auch für etwaige Auslagen nach § 118 Abs. 1 Satz 5 ZPO muß der Antragsteller keinen Vorschuß leisten. Sie werden zunächst von der Staatskasse getragen und nach Abschluß des Rechtsstreits der unterlegenen Partei als Gerichtskosten auferlegt (Baumbach/Lauterbach/Hartmann aaO; Thomas/Putzo aaO).

3.

Da die Rechtsberatung der armen Partei durch das Beratungshilfegesetz gewährleistet ist und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle für einen vollständigen und sachgemäßen Antrag der Partei sorgen muß, ist die Chancengleichheit der armen Partei im Vergleich zu finanziell gut gestellten Rechtssuchenden gewahrt. Die restriktive Auslegung des Begriffes "Prozeßführung" in § 114 ZPO verstößt daher nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (so auch OLG Bremen JurBüro 1979, 447). Auch ist dem Erfordernis des Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör) Rechnung getragen (so auch OLG Nürnberg NJW 1982, 288). Denn das Grundgesetz verlangt nicht, daß das rechtliche Gehör gerade durch Vermittlung eines Anwalts wahrgenommen wird (BVerfG NJW 1971, 2302).

4.

Das Oberlandesgericht Hamm hat in seinem Beschluß vom 10. November 1981 dem Antragsgegner für das Prozeßkostenhilfeverfahren Prozeßkostenhilfe mit der Begründung gewährt, die Neufassung des § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO nötige unter den Voraussetzungen des § 114 ZPO zur Bewilligung der Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts, weil danach das Interesse einer Partei an anwaltlicher Vertretung immer dann beachtlich sei, wenn auch die andere Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten sei (NJW 1982, 287, 288). Dem kann nicht gefolgt werden. Denn § 121 ZPO regelt lediglich, ob der Partei, der Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, auch ein Rechtsanwalt beigeordnet werden muß. Dieser Vorschrift kann umgekehrt aber nicht entnommen werden, daß dem - armen - Gegner einer anwaltlich vertretenen Partei immer Prozeßkostenhilfe bewilligt und ein Anwalt beigeordnet werden muß.

5.

Da die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach alledem nicht vorliegen, kann offen bleiben, ob der gestellte Antrag nicht schon deshalb zurückgewiesen werden müßte, weil dem Beklagten im Falle der Bewilligung der nachgesuchten Prozeßkostenhilfe seine zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten nach § 121 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht beigeordnet werden könnten. Hierdurch entstünden nämlich zusätzliche Kosten. Das Prozeßkostenhilfeverfahren zählt zum Gebührenrechtszug des Verfahrens, auf das es sich bezieht (Riedel/Sußbauer/Keller, BRAGebO, 3. Aufl. § 51 Rdn. 13), hier also zur Revisionsinstanz. Das bedeutet, daß die im Prozeßkostenhilfeverfahren verdienten Gebühren auf die im Rechtsstreit entstehenden angerechnet werden (Riedel/Sußbauer/Keller aaO). Die Vertretung der Partei im Prozeßkostenhilfeverfahren durch einen beim Revisionsgericht nicht zugelassenen Rechtsanwalt würde daher die Anrechnung verhindern. Dieses Ergebnis soll durch § 121 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausgeschlossen werden. Ohne die Beiordnung seiner zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten hätte die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Prozeßkostenhilfeverfahren für den Beklagten indessen kein erkennbares Interesse.

6.

Ob über die Frage der Gewährung von Prozeßkostenhilfe für das Bewilligungsverfahren anders zu entscheiden wäre, wenn im Rahmen des Prozeßkostenhilfeverfahrens ein Vergleich geschlossen werden soll (vgl. hierzu OLG Schleswig SchlHA 1978, 75, 76; Pentz NJW 1982, 1269, 1270), kann hier dahinstehen, da ein solcher Fall nicht vorliegt.

 

Fundstellen

BGHZ 91, 311 - 315

NJW 1984, 2106 (Volltext mit amtl. LS)

ZIP 1984, 1141

ZIP 1984, 1141-1143

MDR 1984, 931-932 (Volltext mit amtl. LS)

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