Verfahrensgang

LG Neuruppin (Entscheidung vom 25.04.2005)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten zu 2. wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Neuruppin vom 25. April 2005 aufgehoben.

Die dem Angeklagten zu 2. aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen für Dolmetscherkosten werden auf 746,69 EUR festgesetzt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse.

Der Beschwerdewert beträgt 746,69 EUR.

 

Gründe

I.

Gegen den der deutschen Sprache nicht uneingeschränkt mächtigen Angeklagten zu 2. ist derzeit bei dem Landgericht Neuruppin ein Strafverfahren wegen des Tatvorwurfs des schweren Raubes anhängig Die Strafkammer hat dem Angeklagten zu 2. Rechtsanwalt zum notwendigen Verteidiger bestellt; der Angeklagte hat darüber hinaus zwei weitere Verteidiger gewählt.

Der (Wahl-) Verteidiger zu 2. des Angeklagten zu 2. führte mit diesem am 18. November 2004 und 29. Dezember 2004 Mandantengespräche, für die er jeweils von ihm gewählte Dolmetscher hinzuzog. Die Anträge des Angeklagten zu 2., ihm die hierdurch entstandenen Auslagen in Höhe von 342,08 EUR (für das Gespräch vom 18. November 2004) und 404,61 EUR (für das Gespräch vom 29. Dezember 2004) aus der Landeskasse zu erstatten, hat die zuständige Rechtspflegerin mit dem angefochtenen (Kostenfestsetzungs-) Beschluss abgelehnt, da es sich um keine notwendigen Auslagen handele; zwar gewähre Art. 6 EMRK dem der Gerichtssprache nicht kundigen Angeklagten grundsätzlich einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers; die Rechte des Angeklagten zu 2. würden jedoch dadurch hinreichend gewahrt, dass dieser mit dem ihm bestellten Pflichtverteidiger kostenfrei kommunizieren dürfe.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte zu 2. mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.

Der Einzelrichter des Strafsenats hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat zur Entscheidung in der im GVG vorgeschriebenen Besetzung übertragen (§ 568 S. 2 Nr. 2 ZPO, 464b S. 3 StPO).

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Dem Angeklagten zu 2. sind die für die Inanspruchnahme eines frei gewählten Dolmetschers zur Führung von Mandatsgesprächen mit seinem Wahlverteidiger entstandenen Auslagen insgesamt zu ersetzen.

Art. 6 Abs. 3 Lit. e EMRK garantiert jedem Angeklagten, der der Gerichtssprache nicht hinreichend mächtig ist, die unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher. Der fremdsprachige Angeklagte soll nach dieser Regelung demjenigen Angeklagten gleichgestellt werden, der die Gerichtssprache beherrscht; mangelnde Sprachkenntnisse soll den erstgenannten nicht in seiner Verteidigung beeinträchtigen; auch das erhöhte Kostenrisiko soll ihn nicht an der Zuziehung eines Dolmetschers hindern (vgl. BVerfGE 64, 145). Nach innerstaatlichem Verfassungsrecht folgt der vorstehend skizzierte Anspruch eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten auf kostenfreie Zuziehung eines Dolmetschers aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG: Allein wegen mangelnder Sprachkenntnisse darf niemand schlechter gestellt werden als andere, mit solchen Kosten nicht belastete Beschuldigte (vgl. BVerfG NJW 2004, 50; grundlegend auch BGHSt 46, 178 f, 184).

In Ausfüllung dieser Maßstäbe ist anerkannt, dass der fremdsprachige Angeklagte zum Ausgleich seiner sprachbedingten Nachteile in jedem Verfahrenstadium, also auch im Ermittlungsverfahren, einen Dolmetscher hinzuziehen darf. Ferner kommt es nicht darauf an, ob die Dolmetscherkosten für Gespräche mit einem Pflicht- oder einem Wahlverteidiger entstanden sind (BGHSt a.a.O.). Die unentgeltliche Beistandsleistung eines Dolmetschers auch für die eine Verteidigung vorbereitenden Gespräche mit dem Wahl- oder Pflichtverteidiger ist für den Beschuldigten unabdingbar, da eine wirksame Verteidigung und damit ein faires Verfahren ohne vorbereitende Verteidigergespräche kaum denkbar sind.

Für die Erstattungsfähigkeit der für Mandatsgespräche entstandenen Dolmetscherkosten kann es des Weiteren nicht darauf ankommen, ob der der Gerichtssprache nicht hinreichend kundige Angeklagte vor der Inanspruchnahme von Dolmetscherleistungen bei dem Tatgericht um Beiordnung eines Dolmetschers ersucht hat oder nicht. Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich offengelassen, wie die durch die unmittelbare Anwendung von Art. 6 Abs. 3 Lit. e EMRK (bzw. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG) als Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Dolmetscherkosten entstandenen Lücken des Kostenrechts bis zu einem Tätigwerden des Gesetzgebers im Einzelnen auszufüllen sind (BGHSt a.a.O., 187). Er hat als Möglichkeiten einer Beschränkung der Kostenfreistellung bzw. -erstattung auf die entsprechende Anwendung des § 2 Abs. 4 GKG (so angewandt vom Kammergericht, NStZ 1990, 402, 404), aber auch des § 126 BRAGO (a. F.) hingewiesen. Keine dieser Normen setzte einen Antrag vor Inanspruchnahme des Dolmetschers voraus. Zum Schutz des Staates ist ein vorheriges "Bewilligungsverfahren" zudem nicht notwendig; es genügt, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt die Erforder...

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