Leitsatz (amtlich)

1. Ein Unterhaltsbedarf aus fiktiven Mitteln kann allenfalls dann nicht abgeleitet werden, wenn diese dem Unterhaltspflichtigen nie zur Verfügung gestanden haben.

2. Auch beim dynamisierten Unterhalt sind die begehrten Beträge so weit wie möglich zu beziffern, also für zurückliegenden und laufenden Unterhalt bis zum In-Kraft-Treten der folgenden Regelbetrag-Verordnung.

 

Tenor

In der Familiensache … wird dem Beklagten Prozesskostenhilfe zur Durchführung der Berufung bewilligt, soweit er die Abänderung des angefochtenen Urteils dahin begehrt, dass er keinen höheren monatlichen Unterhalt als

  • 194 Euro an die Klägerin zu 1) und 164 Euro an die Klägerin zu 2) von Januar bis Juni 2001,
  • 155 Euro an die Klägerin zu 1) von Juli bis Dezember 2001 und 154 Euro von Januar bis November 2002
  • 131 Euro an die Klägerin zu 2) von Juli 2001 bis November 2002
  • je 143 Euro an die Klägerinnen zu 1) und 2) von Dezember 2002 bis Juni 2003 und
  • je 57,4 % des Regelbetrags der 3. Altersstufe ab Juli 2003

zahlen muss.

Das weiter gehende Prozesskostenhilfegesuch wird zurückgewiesen.

Dem Beklagten wird Rechtsanwalt Wichmann in Potsdam beigeordnet.

 

Gründe

(soweit Prozesskostenhilfe versagt wird)

Dem Beklagten kann Prozesskostenhilfe über den aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang hinaus nicht bewilligt werden. Denn das weiter gehende Rechtsmittel bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.

Allerdings schuldet der Beklagte den Klägerinnen Unterhalt grundsätzlich nur i.H.d. Regelbetrags nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung, und zwar auch in der Zeit ab Januar 2001. Denn die Klägerinnen haben einen darüber hinausgehenden Bedarf i.H.v. 135 % des Regelbetrags nicht dargelegt.

Ein Kind, das Unterhalt i.H.d. Regelbetrags nach der Regelbetrag-VO verlangt, ist zwar von der Darlegungs- und Beweislast für seinen Bedarf sowie für die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten befreit (vgl. BGH v. 6.2.2002 – XII ZR 20/00, BGHReport 2002, 323 = FamRZ 2002, 536 ff. [540]; s.a. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 8. Aufl., Rz. 101; Wendl/Scholz, Unterhaltsrecht, 5. Aufl., § 2 Rz. 230). Wird aber, wie vorliegend, ein den Regelbetrag übersteigender Bedarf des Kindes geltend gemacht, ist er nach dem für die Berechnung des Unterhalts bedeutsamen Einkommen des Unterhaltspflichtigen zu ermitteln. Denn ein gesetzlich festgelegter Mindestbedarf i.H.v. 135 % des Regelbetrages, der das Kind auch insoweit von der Darlegungs- und Beweislast freistellen könnte, ist gesetzlich nicht festgeschrieben (vgl. BGH v. 6.2.2002 – XII ZR 20/00, BGHReport 2002, 323 = FamRZ 2002, 536 ff. [540], m.w.N.). Eine solche Regelung lässt sich insb. nicht der seit dem 1.1.2001 geltenden Fassung des § 1612b Abs. 5 BGB entnehmen, wonach Kindergeld bis zu einem Betrag von 135 % des Regelbetrags zur Aufstockung des Kindesunterhalts zu verwenden ist. Denn bei § 1612b Abs. 5 BGB handelt es sich um eine allein das Verhältnis der Ehegatten zueinander betreffende Regelung mit dem Ziel, den betreuenden Elternteil zu entlasten. Sie hat mit dem zivilrechtlichen Anspruch des Kindes gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil unmittelbar nichts zu tun (BGH, v. 6.2.2002 – XII ZR 20/00, BGHReport 2002, 323 = FamRZ 2002, 536 ff. [541]; s. a. Heger, FamRZ 2001, 1409 ff. [1412]). Daher obliegt es dem Unterhaltsgläubiger, ein Einkommen darzulegen, aufgrund dessen der Unterhaltsschuldner 135 % des Regelbetrags zahlen muss.

Einkommen in der erforderlichen Höhe von etwa 3.500 DM bis Juni 2001 (vgl. Tabelle in Nr. 16 der Unterhaltsleitlinien des OLG Brandenburg, Stand 1.7.1999) und 3.720 DM bzw. 1.900 Euro in der Zeit danach (Anlage I zu den Unterhaltsleitlinien des OLG Brandenburg für die Zeit vom 1.7. bis zum 31.12.2001 bzw. ab 1.1.2002) haben die Klägerinnen nicht dargelegt. Ebenso wenig haben sie behauptet, dass der Beklagte ein solches Einkommen erzielen könnte. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Klägerinnen nur den Regelbetrag verlangen können.

Unterhalt in diesem Umfang wird auch als Bedarf immer geschuldet (vgl. OLG Hamm FamRZ 1996, 629 [958]; OLG Karlsruhe FamRZ 1993, 1481). In diesen Fällen kommt es nur noch auf die Leistungsfähigkeit an (vgl. OLG Karlruhe FamRZ 1993, 1481), so dass auch fiktive Einkünfte uneingeschränkt herangezogen werden können (vgl. Wendl/Haußleiter, Unterhaltsrecht, 5. Aufl., § 1 Rz. 408). Im Übrigen können lediglich gedachte wirtschaftliche Verhältnisse die Lebensstellung und damit den Bedarf eines Kindes nur dann nicht prägen, wenn sie keine Grundlage in der tatsächlichen Einkommenssituation des Pflichtigen haben. Ein Unterhaltsbedarf aus fiktiven Mitteln kann also allenfalls dann nicht abgeleitet werden, wenn sie dem Unterhaltspflichtigen nie zur Verfügung gestanden haben, was etwa der Fall ist, wenn der Unterhaltsbemessung Einkünfte zugrunde gelegt würden, die erst aus der Verwertung von Teilen des Vermögens einschließlich Kapitalverzehrs erzielt werden könnten (vgl. BGH v. 20.11.1996 – XII ZR 70/95, MDR ...

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