Leitsatz (amtlich)

1. Zur Anhörungspflicht von Kindern in Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a BGB durch das Familiengericht nach § 159 Abs. 1 FamFG in der ab 01.07.2021 geltenden neuen Fassung (Gesetz zur Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder, BGBl. I S. 1810).

2. Wird durch das Beschwerdegericht eine Zurückverweisung der angefochtenen Entscheidung an das Familiengericht beabsichtigt, gilt § 68 Abs. 5 FamFG in der ab 01.07.2021 geltenden Fassung nicht.

 

Verfahrensgang

AG Cottbus (Aktenzeichen 53 F 233/19)

 

Tenor

1. Der Kindesmutter wird auf ihren Antrag vom 03.09.2021 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C Cottbus bewilligt.

2. Der Senat kündigt die schriftliche Entscheidung mit den nachfolgenden Hinweisen an.

 

Gründe

I. Gegenstand des vorliegenden Hauptsacheverfahrens ist der Entzug der Personensorge für das betroffene Kind ... geb. am ...2008, zulasten seiner Mutter, der Beschwerdeführerin.

Die Kindesmutter war bei Geburt des betroffenen Kindes 13 Jahre alt. Die Vormundschaft für das betroffene Kind wurde zunächst durch seine Großmutter, Frau SR ausgeübt, diese betreute und versorgte das betroffene Kind in der Folgezeit. Eine Feststellung der Vaterschaft zum betroffenen Kind ist - soweit bekannt - bislang nicht erfolgt.

Mit dem Eintritt der Volljährigkeit der Kindesmutter wurde eine Familienpflegschaft eingerichtet und als Familienpflegerin die vorgenannte Großmutter eingesetzt (vgl. auch Bl. 10 f.).

Mit Beschluss des Amtsgerichts C v. ...2020 (Az. 53 F 99 / 20) wurde die Personensorge für das betroffene Kind der Kindesmutter im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig entzogen und insoweit das Jugendamt des LK ... als Ergänzungspfleger eingesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Kindesmutter hat der Senat mit Beschluss vom 12.08.2020 (Az. 9 UF 121 / 20, vgl. Bl. 153 ff.) zurückgewiesen. Grundlage dieser auf § 1666 Abs. 1 BGB beruhenden Entscheidungen war (neben weiteren Auffälligkeiten) insbesondere ein sexualisiertes wie auch impulsiv-aggressives Verhalten des betroffenen Jungen, welcher mehrfach andere Jungen an verschiedenen Örtlichkeiten in den Schritt gegriffen und an die Hoden gefasst hatte. Im Zuge einer stationären Diagnostik wurde eine erhebliche Störung des sozialen und sexuellen Nähe-/Distanzverhältnisses beim betroffenen Jungen diagnostiziert. Trotz der entsprechend festgestellten Störungen beim betroffenen Kind waren weder die Großmutter als Familienpflegerin noch die Kindesmutter in der Lage bzw. bereit, weitere Schäden vom Kind abzuwenden und mit den zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten. Ebenso wurden entsprechende gerichtliche Anordnungen negiert bis hin zu dem Versuch, sich Kontakten durch Gerichte bzw. Behörden vollständig zu entziehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannte Senatsentscheidung Bezug genommen (dort ab Seite 3 f. der Gründe).

Seit Juli 2020 lebt ... in einer Wohngruppe; sein sexualisiertes Verhalten zeigt sich dort nach wie vor.

Mit Beschluss vom 04.08.2021 hat das Amtsgericht Cottbus der Kindesmutter die Personensorge für das betroffene Kind entzogen und das Fortbestehen der Pflegschaft durch das Jugendamt Landkreis Spree Neiße angeordnet. Grundlage dessen waren weitergehende Ermittlungen des Amtsgerichtes insbesondere im Zuge der Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der Einholung ärztlicher Stellungnahmen sowie solcher des Jugendamtes Cottbus, des Ergänzungspflegers des Kindes sowie seines Verfahrensbeistandes. Nach den Gründen der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht von der persönlichen Anhörung des betroffenen Kindes abgesehen und dazu ausgeführt, sein ausdrücklicher Wunsch sei es, wieder nach Hause zurückzukehren; der Verfahrensbeistand habe das Kind über Gegenstand, Verlauf und möglichen Ausgang des Verfahrens informiert, eine weitere Anhörung durch das Familiengericht sei nicht erforderlich.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter, mit welcher sie zugleich die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren begehrt.

II. Die gemäß §§ 58 ff. FamFG statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde der Kindesmutter hat nach derzeitigem Stand dahingehend Erfolg, dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Durchführung an das Amtsgericht zurückzuverweisen ist. Das Verfahren vor dem Amtsgericht leidet an einem wesentlichen Mangel, der zur Aufhebung und Zurückweisung an das Amtsgericht gemäß § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG (die Kindesmutter hat einen entsprechenden Antrag gestellt) führt.

In erster Instanz ist verfahrensfehlerhaft die Anhörung des Kindes und das sich Verschaffen eines persönlichen Eindrucks von dem Kind unterblieben. Dies gilt erst recht angesichts der vor kurzem in Kraft getretenen, teilweisen Reform der Verfahrens(Anhörungs)rechte im FamFG, welche ohne Übergangsfrist seit dem 01.07.2021 in allen laufenden Verfahren gelten (vgl. zu letzterem Witt FamRZ 2021, 1510, 1518).

Ob darüber hinausgehend auch verfahrensfehlerhaf...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge