Die Regelung des vorbeugenden Schutzes von Nachbargrundstücken vor Grundstücksvertiefungen ist im Gegensatz zu den Bodenerhöhungen keine Domäne des Landesrechts, sondern in § 909 BGB zentral geregelt (vgl. oben die Einführung in Kap. 1).

3.1 Grundsatz

Grundsätzlich darf der Eigentümer eines Grundstücks sein Grundstück vertiefen. Er kann es ausschachten oder an der Grenze entlang abgraben. Mit diesen Maßnahmen bewegt er sich im Rahmen seiner gesetzlichen Eigentümerbefugnisse nach den §§ 903, 905 BGB. Sie dürfen aber nicht dazu führen, dass das Nachbargrundstück die erforderliche Stütze verliert (§ 909 BGB).

3.2 Zum Begriff der Grundstücksvertiefung

§ 909 BGB verbietet die Vertiefung eines Grundstücks, wenn dadurch der Boden eines Nachbargrundstücks die "erforderliche Stütze" verliert und nicht für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist.

Der klassische Fall einer Bodenvertiefung in diesem Sinn ist das Entnehmen von Bodenbestandteilen etwa im Zusammenhang mit Ausschachtungsarbeiten für eine Baugrube.

Darauf alleine kommt es jedoch nicht entscheidend an. Denn § 909 BGB will die natürliche bodenphysikalische Stütze sichern, die sich benachbarte Grundstücke gegenseitig gewähren. Deshalb erfordert eine Vertiefung im Sinne dieser Vorschrift nach der Rechtsprechung des BGH und der herrschenden Lehre nicht die Herausnahme von Bodensubstanz aus einem Grundstück. Wesentlich ist vielmehr nur, ob auf ein Grundstück so eingewirkt wird, dass hierdurch der Boden des Nachbargrundstücks in der Senkrechten den Halt verliert oder dass die unteren Bodenschichten in ihrem waagerechten Verlauf beeinträchtigt werden.[1]

Als Grundstücksvertiefung wurde von der Rechtsprechung deshalb bejaht

  • das Abgraben eines Hanges im Zusammenhang mit einer Baumaßnahme[2],
  • der Bodendruck eines Bauwerks oder von abgelagerten Materialien, der durch Pressung in den tieferen Bodenschichten in die bodenphysikalische Struktur des Nachbargrundstücks hineinwirkt[3],
  • die im Zusammenhang mit Bauarbeiten vorgenommene Grundwasserabsenkung, die auf dem Nachbargrundstück zu Bodensenkungen als Folge des Wasserentzugs führt[4] oder
  • der Abriss eines vorhandenen Kellergeschosses im Zusammenhang mit Neubauarbeiten.[5]
[2] Vgl. hierzu BGH, Urteil v. 3.5.1968, V ZR 229/64, NJW 1968, 1228; BGH, Urteil v. 7.2.1980, III ZR 153/78, NJW 1980, 1679; OLG Stuttgart, Urteil v. 2.12.1993, 7 U 23/93, NJW 1994, 739; BGH, Urteil v. 26.1.1996, V ZR 264/94, MDR 1996, 1010.
[3] Vgl. hierzu BGH, Urteil v. 13.7.1965, V ZR 169/64, NJW 1965, 2099; BGH, Urteil v. 5.3.1971, V ZR 168/68, NJW 1971, 935; BGH, Urteil v. 10.7.1987, V ZR 285/85, NJW 1987, 2808.
[4] Vgl. hierzu BGH, Urteil v. 20.12.1971, III ZR 110/69, NJW 1972, 527; BGH, Urteil v. 5.11.1976, V ZR 93/73, NJW 1977, 763; BGH, Urteil v. 4.7.1980, V ZR 240/77, NJW 1981, 50; BGH, Urteil v. 27.5.1987, V ZR 59/86, NJW 1987, 2810.

3.3 Entzug der erforderlichen Stütze

Unter Stütze im Sinne des Gesetzes ist zum einen die vertikale Festigkeit zu verstehen, welche die benachbarten Grundstücke sich gegenseitig durch das Erdreich gewähren, sodass ein seitliches Abstürzen oder Abrutschen vermieden wird. Zum anderen zählt dazu aber auch die horizontale Festigkeit, die ein Grundstück in seinen unteren Bodenschichten findet und die etwa durch Grundwasserentzug oder durch Horizontalbewegungen als Folge von Bodenpressungen beeinträchtigt werden kann.[1]

Das durch derartige Beeinträchtigungen gefährdete Nachbargrundstück muss nicht unmittelbar an das Grundstück angrenzen, von dem die Beeinträchtigungen ausgehen. Geschützt sind nach der Rechtsprechung des BGH vielmehr alle im Einwirkungsbereich der Vertiefung liegenden Grundstücke und damit auch weiter entfernte, wenn nur die Einwirkung (etwa bei Hanglage) bis zu ihnen reicht.[2]

Problematisch kann es dann werden, wenn ein Gebäude auf dem Nachbargrundstück etwa aufgrund seines Alters besonders anfällig ist und deshalb auch geringe Bodensenkungen nicht verträgt. Die Gesetzeslage ist an sich eindeutig, weil § 909 BGB fordert, dass durch Vertiefungsmaßnahmen dem Nachbargrundstück nicht die "erforderliche" Stütze entzogen werden darf. Daraus folgert der BGH, dass sich die Frage nach dem Verlust der erforderlichen Stütze danach beurteilt, welche Befestigung das Nachbargrundstück nach seiner tatsächlichen Beschaffenheit erfordert. Rechtswidrig ist eine Vertiefung nach seiner Auffassung deshalb auch dann, wenn sie zu einer Beeinträchtigung der Standfestigkeit eines Nachbarhauses nur in Anbetracht seiner durch Alter bedingten Schadensanfälligkeit führt. Diesem Umstand müsse eben durch höhere Schutzmaßnahmen Rechnung getragen werden.[3]

Nur in ganz seltenen Ausnahmefällen bejaht die Rechtsprechung die Zulässigkeit einer Grundstücksvertiefung trotz nicht vermeidbarer Schadensanfälligkeit eines Nachbarhauses. Diese Ausnahmen begründet sie nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses[4] mit dem Argument, dass

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