Leitsatz (amtlich)

Liegt dem planenden und bauleitenden Architekten ein Boden- und Gründungsgutachten vor, das Vorgaben für den Aushub der Baugrube enthält, darf er davon ausgehen, daß diese die Standsicherheit der Nachbargrundstücke berücksichtigen. Erweisen sich die Vorgaben als unzutreffend, kann dem Architekten der Vorwurf schuldhaften Verhaltens nicht gemacht werden, sofern aufgrund der ihm möglichen Prüfung kein Anlaß bestand, den Feststellungen und Schlußfolgerungen des Gutachtens zu mißtrauen.

 

Normenkette

BGB §§ 909, 823 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Zweibrücken (Urteil vom 19.09.1994)

LG Landau (Pfalz)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 19. September 1994 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem die Bundesstraße 38 angelegt ist. Die Straße steigt vom südlichen Ortsausgang B. aus einem Hang entlang an. Der Hang weist im oberen Bereich eine Steigung zwischen 5 und 8 Grad, an seinem Fußbereich eine solche von 12 Grad auf. 1973 kam es zu Rißbildungen in der Straße und dem Bruch eines in dieser verlegten Wasserrohrs. Das Rohr und die Straße wurden instand gesetzt, bergseitig wurde eine Drainage angelegt. Spätere Risse in der Fahrbahn wurden jeweils bituminös geschlossen. Ab 1979 wurde das durch Zwischengrundstücke von 30 bis 40 m Breite von der Straße getrennte tiefer gelegene Gelände bebaut. Nach vom Beklagten erstellten genehmigten Plänen wurde auf dem Grundstück Flurstück 932/10 im Winter 1979/80 mit der Erstellung eines Appartementhauses begonnen (Bauvorhaben T 14). Hierbei kam es zu Böschungsabbrüchen, aufgrund derer der Hang als rutschgefährdet erkannt wurde.

Anfang des Jahres 1984 wurde unter der Leitung des früheren Beklagten zu 2 mit der Anlage von Parkplätzen für das Vorhaben T 14 begonnen. Hierzu wurde in den unteren Bereich des Hanges eingegriffen. Im Februar 1984 traten wiederum Risse in der Straßendecke auf, die der Klägerin zu fortlaufender Beobachtung Anlaß gaben.

Am 29. März 1984 wurde der Hang auch auf dem an das Grundstück 932/10 angrenzenden Flurstück 932/11 im Rahmen des Aushubs für den Bau zweier weiterer Appartementhäuser mit Tiefgaragen nach Plänen des Beklagten angeschnitten (Bauvorhaben TW). Bei diesem Vorhaben war der Beklagte auch Bauleiter. Der Aushub der Baugrube erfolgte nach den Vorgaben des Baugrund- und Gründungsgutachtens eines Sachverständigen, das die Auftraggeberin des Beklagten erhoben hatte. Sicherungsmaßnahmen für den Hang während der Bauarbeiten waren in diesem nicht vorgesehen.

Die Bewegungen der Straße beschleunigten sich. Am 30. März 1984 mußte sie für den Verkehr gesperrt werden, weil der Hang großflächig abrutschte. Die Klägerin sicherte in der Folgezeit das Straßengrundstück durch Pfahlverdübelung des Hanges auf den Zwischengrundstücken und stellte die Straße wieder her. Für ihre Maßnahmen wandte sie insgesamt 1.078.383,43 DM auf.

Sie hat geltend gemacht, als planender und bauleitender Architekt sei der Beklagte verpflichtet gewesen, sich der Bodenverhältnisse der Vorhaben zu vergewissern, was er schuldhaft unterlassen habe. Der Beklagte hat die Höhe des behaupteten Schadens bestritten, Mitverschulden der Klägerin eingewandt und ausgeführt, wenn die Rutschung des Hangs überhaupt auf menschliche Tätigkeit zurückzuführen sei, seien für diese allein die Arbeiten auf dem Flurstück 932/10 ursächlich gewesen. Insoweit treffe ihn keine Verantwortung, weil er nach der Genehmigung seiner Planung mit der weiteren Durchführung des Vorhabens T 14 nicht mehr betraut gewesen sei. Die Rutschgefährdung des Hanges habe er im Rahmen der Ausführung des Bauvorhabens TW nicht erkennen können.

Die Klägerin hat die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des Betrages von 1.078.383,93 DM nebst Zinsen und Feststellung seiner Verpflichtung zum Ersatz weiteren Schadens beantragt. Das Landgericht hat die Verursachung der Hangrutschung durch beide Bauvorhaben als erwiesen angesehen und der Klage dem Grunde nach stattgegeben, soweit der Schaden der Klägerin auf das Bauvorhaben TW zurückzuführen sei. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung der Klägerin zurückgewiesen, die sich gegen die Beschränkung der Verantwortlichkeit des Beklagten für den durch den Aushub der Baugrube TW verursachten Schaden gewendet hat. Die Revision der Klägerin erstrebt die Feststellung der Haftung des Beklagten dem Grunde nach für die durch die Arbeiten auf beiden Grundstücken entstandenen Schäden. Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat als bewiesen angesehen, daß die Baumaßnahmen auf beiden Grundstücken für die Hangrutschung ursächlich seien, die Verantwortlichkeit des Beklagten hierfür jedoch verneint. Es hat ausgeführt: Für die nach Abschluß der Genehmigungsplanung begonnene Durchführung des Bauvorhabens T 14 sei der Beklagte nicht verantwortlich. Soweit er im Rahmen des Bauvorhabens TW über die Genehmigungsplanung hinaus tätig geworden sei, könne ihm kein schuldhaftes Handeln vorgeworfen werden. Die Rutschgefährdung des relativ sanften Hanges sei nur schwer erkennbar gewesen. Über die im Rahmen der Errichtung des Baukörpers für das Vorhaben T 14 gewonnene Erkenntnisse habe er nicht verfügt. Beim Aushub der Baugrube für das Vorhaben TW habe er nach dem ihm vorliegenden Baugrund- und Gründungsgutachten davon ausgehen dürfen, daß Maßnahmen zur Sicherung des Hanges nicht erforderlich seien.

Dies hält den Angriffen der Revision stand.

II.

1. Das Verbot unzulässiger Vertiefung richtet sich nicht nur an den Eigentümer oder Benutzer des vertieften Grundstücks. § 909 BGB gilt vielmehr für jeden, der ein Grundstück vertieft oder daran mitwirkt, somit auch für den mit der Bauplanung und Bauleitung beauftragten Architekten (BGHZ 85, 375, 378; 101, 290, 291). Aufgrund seiner Fachkenntnisse trägt der Architekt in besonderem Maße Verantwortung dafür, daß die nachbarrechtlichen Verpflichtungen aus § 909 BGB eingehalten werden. Verstößt er schuldhaft hiergegen, begründet § 823 Abs. 2 i.V.m. § 909 BGB einen Schadensersatzanspruch gegen ihn.

Die in § 909 BGB bestimmte Verhaltensbeschränkung besteht nicht nur zum Schutz der unmittelbar angrenzenden Grundstücke, sondern erfaßt alle Grundstücke, die durch die Vertiefung eine Beeinträchtigung erfahren können (BGHZ 12, 75, 77). Die Vorschrift verbietet jedoch nicht allgemein die Vertiefung eines Grundstücks, sondern nur eine solche, durch die einem anderen Grundstück die Stütze entzogen wird. Demgemäß ist für die Haftung des Architekten aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 909 BGB erforderlich, daß er bei Wahrung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen müssen, daß das geschädigte Grundstück durch die Vertiefung die Stütze verliert (Senat, Urt. v. 5. November 1976, V ZR 93/73, NJW 1977, 763, 764).

a) Für das Maß der einzuhaltenden Sorgfalt ist anerkannt, daß die erhebliche Gefährdung, die mit der Vertiefung eines Grundstücks verbunden ist, dazu führt, an die Sorgfaltspflicht des Architekten hohe Anforderungen zu stellen (BGHZ 85, 375, 380; Urt. v. 4. Dezember 1964, VI ZR 184/63, LM BGB § 909 Nr. 4 a). Diese dürfen jedoch nicht überspannt werden. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob für die Haftung des Grundstückseigentümers an dem Maßstab festzuhalten ist, der im Urteil des Senats vom 4. Mai 1979, V ZR 100/75, LM BGB § 909 Nr. 21, verlangt wird. Diese Entscheidung ist ergangen, bevor die verschuldensunabhängige Haftung des Grundstückseigentümers für die Folgen der Vertiefung in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 BGB (BGHZ 72, 289; 85, 375; 101, 290) Anerkennung gefunden hatte. Die vom Architekten zu verlangende Sorgfalt wird hiervon nicht berührt. Seine Pflichten können jedoch nicht abstrakt vorgegeben werden, sondern sind anhand der berufsspezifischen Pflichten und Kenntnisse eines üblicherweise mit der Planung und Bauleitung von Vorhaben der betroffenen Art beauftragten Architekten zu bestimmen.

b) Dieser hat zur Wahrung der Standsicherheit benachbarter Grundstücke diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Architekten eines Vorhabens der Art der beabsichtigten Bebauung auf dem Baugrundstück vorausgesetzt und erwartet werden können. Ob die berufsspezifische Sorgfaltspflicht eingehalten ist, ist deshalb in erster Linie eine Frage, deren Beantwortung sich nach den Maßstäben richtet, die an die Erfüllung planender und bauleitender Tätigkeit für die Errichtung von Bauwerken der Art des jeweiligen Vorhabens, des Baugrundstücks und der angrenzenden Grundstücke zu stellen sind. Dieser Maßstab ist seitens der Gerichte erforderlichenfalls mit sachverständiger Hilfe zu ermitteln. Die Feststellungen des Sachverständigen sind durch das Gericht sodann eigenverantwortlich darauf zu prüfen, ob sie dem Standard einer Architektentätigkeit bei dem betroffenen Vorhaben entsprechen. Zweifeln ist durch Fragen an den Sachverständigen nachzugehen. Der Standard kann nicht, wie es die Revision erstrebt, allein aus eigener rechtlicher Beurteilung heraus festgelegt werden.

c) Dem so bestimmten Maßstab der von dem Beklagten gegenüber der Klägerin einzuhaltenden Sorgfalt wird das Berufungsurteil gerecht. Nach dem vom Berufungsgericht erhobenen Sachverständigengutachten verfügt ein Architekt eines Vorhabens der Art der Bebauung der Flurstücke 932/10 und 932/11 aufgrund seiner Ausbildung im allgemeinen über keine besonderen Kenntnisse der Bodenmechanik. Er ist nicht in der Lage, die in einzelnen Fällen auch mit dem Anschneiden eines relativ flachen Hanges verbundene Gefahr für höher und weiter entfernt liegende Grundstücke zu erkennen. Dies führt dazu, daß er zur Wahrung der erforderlichen Sorgfalt auf die Feststellungen eines Sachverständigen der Bodenmechanik angewiesen ist, wenn er anders die Überzeugung von der Ungefährlichkeit der Durchführung der geplanten Vertiefung nicht gewinnen kann.

Diese Überzeugung kann er insbesondere aus einem Baugrund- und Gründungsgutachten gewinnen, auf das er zur sachgerechten Planung der Fundamentierung des beabsichtigten Vorhabens oft ohnehin angewiesen ist. Die ordnungsgemäße Gründung eines Bauwerks verlangt Kenntnis der Bodenbeschaffenheit. Liegt das Bauvorhaben im Bereich eines Hanges, gewinnt die Frage nach der Stützung der höher gelegenen Grundstücke Bedeutung. Jeder Hang hat die Tendenz zum Abrutschen. Ihr wirkt der innere Zusammenhalt des aufsteigenden Bodens entgegen. Die Stärke dieses Zusammenhalts bestimmt das Maß der vom aufragenden Boden selbst für den Hang zu übernehmenden Stützung, die durch den Aushub der Baugrube geschwächt wird. Soll ein Gebäude anstelle des entnommenen Bodens errichtet werden, hat dieses eine etwa notwendige Stützlast aufzunehmen und muß dementsprechend gegründet und ausgesteift sein.

Insoweit bedarf ein Architekt, der ein größeres Vorhaben im Bereich eines Hanges plant, regelmäßig der Feststellungen eines Baugrund- und Gründungsgutachtens, die er mit seinen Kenntnissen des Baugrundstücks zu vergleichen und auf deren Grundlage zu prüfen hat (vgl. BGH, Urt. v. 15. Dezember 1966, VII ZR 151/64, VersR 1967, 260, 262 zur Pflicht des Architekten zur Überprüfung der Feststellung des Statikers). Das Baugrund- und Gründungsgutachten umfaßt Vorgaben für den Aushub der Baugrube, denen der Architekt grundsätzlich nachzukommen hat.

d) Diesen Anforderungen hat der Beklagte genügt. Ihm lag ein Gutachten zur Bodenbeschaffenheit und zur Gründung des Bauvorhabens TW vor. Dessen Anweisungen zum Aushub der Baugrube ist er gefolgt. Das Berufungsgericht hat hierzu – sachverständig beraten – festgestellt, daß der Beklagte davon ausgehen konnte, daß der Aushub der Baugrube keine Maßnahmen zur Sicherung des ansteigenden Hanges erforderte, weil das ihm vorliegende Baugrund- und Gründungsgutachten den Aushub der Grube in offener Böschung mit einem Winkel von 45 Grad für sachgerecht erachtete. Die Feststellungen des Gutachtens beruhten nach dessen Inhalt auf Probebohrungen, die sowohl im höher gelegenen als auch im niedriger gelegenen Teil des Grundstücks vorgenommen worden waren. Die Folgerungen des Gutachtens waren plausibel und mit den eigenen Kenntnissen des Beklagten vereinbar. Auf ihrer Grundlage bestand für den Beklagten als planenden und bauleitenden Architekten des Vorhabens TW kein Anlaß zu weiteren Nachforschungen. Damit aber ist die Feststellung des Berufungsgerichts rechtlich nicht zu beanstanden, daß der Beklagte gegenüber der Klägerin die von ihm zu verlangende Sorgfalt einhielt, indem er den Aushub der Baugrube nach den Vorgaben des Baugrund- und Gründungsgutachtens vornehmen ließ.

e) Nicht zu beanstanden ist auch, daß das Berufungsgericht die Haftung des Beklagten für den mit dem Eingriff in den Hang zur Anlegung der Parkplätze des Vorhabens T 14 verbundenen Beitrag zur Hangrutschung verneint. Das Berufungsgericht hat – auch insoweit sachverständig beraten – festgestellt, daß diese Aushubmaßnahmen nicht im Bereich der Genehmigungsplanung zu berücksichtigen waren. Das nimmt die Revision hin.

2. Eine verschuldensunabhängige Ersatzpflicht des Beklagten für den Aufwand der Klägerin zur Stützung des Straßengrundstücks besteht nicht.

Schuldner eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs (vgl. BGHZ 72, 289, 291 ff; 101, 106, 110) kann nur der Eigentümer desjenigen Grundstücks sein, das die Vertiefung erfahren hat.

Auch die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag oder der ungerechtfertigten Bereicherung liegen nicht vor. Die Klägerin hat dadurch, daß sie ihrem Straßengrundstück durch eine Hangverdübelung auf den Zwischengrundstücken Stützung verschaffte, kein Geschäft des Beklagten geführt oder diesen von einer Verpflichtung befreit. Eine störende Vertiefung hat gemäß § 1004 Abs. 1 BGB derjenige zu beseitigen, der für ihren Fortbestand verantwortlich ist (RGZ 103, 174, 176). Das ist grundsätzlich nicht der Architekt, unter dessen Verantwortung die Vertiefung vorgenommen worden ist, weil er nicht zur Verfügung über das vertiefte Grundstück berechtigt ist (RGRK/Augustin, BGB, 12. Aufl., § 909 Rdn. 9 ff; Staudinger/Beutler, BGB, 12. Aufl., § 909 Rdn. 20; Soergel/J. F. Baur, BGB, § 909 Rdn. 7; Palandt/Bassenge, BGB, 55. Aufl., § 909 Rdn. 9). Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß zu anderer Beurteilung.

3. Da es an einem anspruchsbegründenden Verhalten des Beklagten fehlt, kommt auch eine Zurechnung etwa den früheren Beklagten zu 2 zu treffender Ansprüche zu Lasten des Beklagten gemäß § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht in Betracht (vgl. BGHZ 101, 106, 108 f).

III.

Da die Zurückweisung der Anschlußberufung der Klägerin Bestand hat, kommt es auch auf die Bedenken der Revision gegen das Verfahren des Landgerichts nicht an, das die Klage zu einem unbezifferten Teilbetrag abgewiesen hat (vgl. hierzu BGHZ 89, 383, 387 f).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Hagen, Lambert-Lang, Tropf, Krüger, Klein

 

Fundstellen

Haufe-Index 1759018

BB 1996, 1299

BGHR

Nachschlagewerk BGH

Englert / Grauvogl / Maurer 2004 2004, 946

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