Gesetzestext

 

(1) 1Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. 2Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, daß der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.

(2) 1Hat der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen im Gebiet eines Mitgliedstaats, so sind die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nur dann zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befugt, wenn der Schuldner eine Niederlassung im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats hat. 2Die Wirkungen dieses Verfahrens sind auf das im Gebiet dieses letzteren Mitgliedstaats belegene Vermögen des Schuldners beschränkt.

(3) 1Wird ein Insolvenzverfahren nach Absatz 1 eröffnet, so ist jedes zu einem späteren Zeitpunkt nach Absatz 2 eröffnete Insolvenzverfahren ein Sekundärinsolvenzverfahren. 2Bei diesem Verfahren muß es sich um ein Liquidationsverfahren handeln.

(4) Vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach Absatz 1 kann ein Partikularinsolvenzverfahren nach Absatz 2 nur in den nachstehenden Fällen eröffnet werden:

a) falls die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach Absatz 1 angesichts der Bedingungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, nicht möglich ist;
b) falls die Eröffnung des Partikularinsolvenzverfahrens von einem Gläubiger beantragt wird, der seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich die betreffende Niederlassung befindet, oder dessen Forderung auf einer sich aus dem Betrieb der Niederlassung ergebenden Verbindlichkeit beruht.

1. Art. 3 als Zuständigkeitsregelung

 

Rn 1

Art. 3 regelt die internationale Zuständigkeit für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren derjenigen Gerichte oder sonstigen Stellen, die nach nationalem Recht befugt sind, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen oder in seinem Verlauf Entscheidungen zu treffen. Art. 3 bestimmt somit die internationale Zuständigkeit nicht nur für Eröffnungsentscheidungen, sondern auch für Entscheidungen, die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens i.S. von Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EuInsVO ergehen und für Entscheidungen über Sicherungsmaßnahmen i.S. von Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO. Art. 3 hat einen abschließenden Charakter.[1] Für die Bestimmung der innerstaatlichen Zuständigkeit (örtlichen Zuständigkeit) des betreffenden Mitgliedstaates ist allerdings ein Rückgriff auf das jeweilige nationale Recht erforderlich, Erwägungsgrund 15 EuInsVO.[2] Die Verordnung greift nur dann, wenn sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen in einem Gemeinschaftsstaat befindet. Wenn hingegen der Mittelpunkt in einem Drittstaat lokalisiert ist, findet sie keine Anwendung; das jeweilige internationale Insolvenzrecht ist anzuwenden (in Deutschland z.B. §§ 335 ff. InsO).

 

Rn 2

Aus deutscher Sicht weichen die Anknüpfungspunkte für die internationale und die örtliche Zuständigkeit voneinander ab (internationale Zuständigkeit gemäß Art. 3 EuInsVO: "Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen"; örtliche Zuständigkeit: "Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners"; § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO). Art. 102 § 1 EGInsO ist für den Fall konzipiert, dass es aufgrund des Auseinanderfallens der internationalen und örtlichen Zuständigkeit zu einer Zuständigkeitslücke kommt.[3] Entscheidend ist dann auch für die örtliche Zuständigkeit das Kriterium des Art. 3 EuInsVO (Art. 102 § 1 Abs. 1 EGInsO). In Frankreich wird z.B. die örtliche Zuständigkeit in Art. R 600-1 Abs. 1 Code de commerce geregelt. Maßgeblich ist der Ort des Hauptsitzes des Schuldners ("siège de l'entreprise"), wobei sich dieser Begriff auf den satzungsmäßigen Sitz juristischer Personen und den beruflichen Wohnsitz natürlicher Personen bezieht.[4] In Ermangelung eines Sitzes in Frankreich ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Hauptmittelpunkt der Interessen ("centre principal des intérêts") in Frankreich befindet.[5]

 

Rn 3

Die EuInsVO beruht auf einem Kompromiss zwischen dem Prinzip der Universalität und dem Prinzip der Territorialität des Insolvenzverfahrens. Die Verordnungsgeber haben sich für eine so genannte "modifizierte" Universalität entschieden, welche neben dem universal wirkenden Hauptinsolvenzverfahren die Eröffnung national begrenzter Territorialinsolvenzverfahren toleriert. Es wird demnach in Art. 3 EuInsVO zwischen der Zuständigkeit für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens als universales Verfahren mit grenzüberschreitender Wirkung und der Zuständigkeit für territorial begrenzte Verfahren unterschieden.

 

Rn 4

Ein Hauptinsolvenzverfahren ist ein Insolvenzverfahren, das in dem Mitgliedstaat eröffnet wird, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO). Es ist nur ein einziges Hauptinsolvenzverfahren zulässig....

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