Rn 58

Der vorläufige Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht übergegangen ist nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 1 (schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter)[126] kann aus sich heraus grundsätzlich keine Masseverbindlichkeiten begründen. Das ergibt sich sowohl aus seiner Rechtsstellung als auch aus Wortlaut, Systematik und Teleologie des Abs. 2. Daher ist Abs. 2 nicht analog auf den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter anzuwenden.[127]

[126] Wenn – wie regelmäßig – kein Verwaltungs- und Verfügungsverbot an den Schuldner ergeht, ergeht lediglich ein Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2). Der Schuldner bleibt also verfügungsbefugt; seine Verfügungen sind jedoch materiell nur wirksam, wenn ein vorläufiger Insolvenzverwalter seine Zustimmung erteilt. Dieser vorläufige Insolvenzverwalter wird in der Regel als "schwacher" vorläufiger Insolvenzverwalter bezeichnet, da er nicht selbst initiativ Verfügungen treffen kann, sondern nur fremde Verfügungen genehmigt, auf die er formal keinen Einfluss hat.
[127] Vgl. BGH NZI 2002, 543 [BGH 18.07.2002 - IX ZR 195/01] m. krit. Anm. Heidrich/Prager, 653 = ZIP 2002, 1625 m. zust. Anm. Prütting/Stickelbrock, 1608, 1609; OLG Hamm NZI 2003, 150, 151; OLG Köln NZI 2001, 554, 556; LG Leipzig ZIP 2001, 1778, 1779; LAG Frankfurt a. M. ZInsO 2001, 562, 563; Jaffé/ Hellert, ZIP 1999, 1204, 1205 ff.; Meyer, DZWIR 2001, 309, 311 f.; a.A. noch OLG Hamm NZI 2002, 259, 261 [OLG Hamm 17.01.2002 - 27 U 150/01].

4.1 Begründung durch Anordnungen des Insolvenzgerichts

 

Rn 59

Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter kann nicht selbst Masseverbindlichkeiten begründen; allerdings kann er anregen, dass das Insolvenzgericht entsprechende Anordnungen erlässt (§ 21 Abs. 1 Satz 1) und Insolvenzforderungen im Wege der Einzelermächtigung[128] in den Rang von Masseverbindlichkeiten erhebt.[129]

 

Rn 60

Diese Einzelermächtigungen erfolgen in der Praxis häufig im Rahmen der Betriebsfortführung zur Absicherung von Dienstleistern im Eröffnungsverfahren, da Dienstleister nicht über Realsicherheiten wie verlängerte und erweiterte Eigentumsvorbehalte verfügen. Ihre Forderungen für Leistungen aus dem Insolvenzeröffnungsverfahren sind daher ohne gerichtliche Aufwertung reine Insolvenzforderungen nach § 38. Ohne zusätzliche Sicherung würde sich kein Vertragspartner bereit erklären, Leistungen im Eröffnungsverfahren zu erbringen und die Betriebsfortführung wäre erheblich beeinträchtigt.

 

Rn 61

Bei Einzelermächtigungen ist zu berücksichtigen, dass die nachträgliche Aufwertung von bereits begründeten Insolvenzforderungen zu Masseverbindlichkeiten im Wege der Einzelermächtigung in der Regel eine inkongruente Deckung darstellt und daher anfechtbar ist nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 und konsequenterweise vom Insolvenzverwalter angefochten werden müsste.

 

Rn 62

Die Absicherung der Betriebsfortführungsverbindlichkeiten kann auch im Wege des sog. Erstarkungsmodells erfolgen. Dabei wird die zunächst schwache vorläufige Insolvenzverwaltung durch gerichtliche Anordnung zur starken vorläufigen Insolvenzverwaltung "erstarkt".[130] Dieser Weg ist sinnvoll, wenn eine Einzelermächtigung an der Vielzahl der Gläubiger scheitert. In der Praxis verbreitet ist die Lösung über die Begründung von Absonderungsrechten an einem Treuhandkonto, auf dem die Umsätze aus der Betriebsfortführung eingehen, oder einer sog. Doppeltreuhand.[131] In jüngster Zeit haben jedoch namhafte Vertreter der Rechtsprechung angedeutet, dass sie das Treuhandkontenmodell für unwirksam halten.[132]

[128] Zur näheren Ausgestaltung einer solchen Ermächtigung: Laroche, NZI 2010, 965; Kirchhof, ZInsO 2004, 57, 60 f.; Wiester NZI 2003, 622 f. [LAG Düsseldorf 17.07.2003 - 16 Ta 269/03]; AG Hamburg ZInsO 2004, 1270, sog. Vorrangermächtigung, AG Hamburg ZInsO 2005, 447, 448.
[129] Grundlegend: BGH NZI 2002, 543, 546 [BGH 18.07.2002 - IX ZR 195/01]; jüngst: NZI 2013, 342 [BGH 07.02.2013 - IX ZB 43/12]. Zur Notwendigkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten insgesamt: Uhlenbruck-Vallender, § 22 Rn. 193 ff.
[130] AG Hamburg NZI 2003, 153, 153f.; Gottwald-Uhlenbruck/Vuia, § 14 Rn. 59.
[131] Windel, ZIP 2009, 101; Bork, NZI 2005, 530; ders., ZIP 2003, 1421 (1423); Undritz, NZI 2003, 136 (141 f.); Frind, ZInsO 2003, 778, 782; AG Hamburg NZI 2003, 153, 154 und ZIP 2003, 1809, 1809 ff. [AG Hamburg 15.07.2003 - 67g IN 205/03] sowie nur noch abgeschwächt (als Ausnahmetatbestand zulässig) ZInsO 2004, 1270, 1271.
[132] Gehrlein, WM 2014, 485, 488; Ganter, NZI 2012, 433, 434 ff.

4.2 Analoge Anwendung von Abs. 2 auf den "halbstarken" Verwalter

 

Rn 63

Grundsätzlich gibt es keine analoge Anwendung von Abs. 2 auf den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter.[133] Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen das Gericht kraft Einzelermächtigung den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter mit wesentlichen Verwaltungs- und Verfügungskompetenzen ausstattet (sog. halbstarker Verwalter). In solchen Fällen kann sich die Einzelermächtigung als Umgehung des Abs. 2 darstellen mit der Folge, dass insbesondere die gesetzlichen Verpflichtungen aus der Verwaltun...

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