Gesetzestext

 

(1) Der Schuldner ist berechtigt, für sich und die in § 100 Abs. 2 Satz 2 genannten Familienangehörigen aus der Insolvenzmasse die Mittel zu entnehmen, die unter Berücksichtigung der bisherigen Lebensverhältnisse des Schuldners eine bescheidene Lebensführung gestatten.

(2) Ist der Schuldner keine natürliche Person, so gilt Absatz 1 entsprechend für die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners.

1. Bisherige gesetzliche Regelung

 

Rn 1

Die Vorschrift wurde bei Neuschaffung der Insolvenzordnung mit Gesetz vom 5.10.1994 (BGBl. I S. 2866) eingeführt und gilt seitdem unverändert. Einen Vorläufer hatte die Norm in § 56 VglO.

2. Schuldner und Familie

 

Rn 2

§ 278 berücksichtigt, dass im Rahmen der Eigenverwaltung der Schuldner selbst verwaltungs- und verfügungsbefugt bleibt. Ist der Schuldner eine natürliche Person, wird von ihm erwartet, dass er sich auch im Insolvenzverfahren mit voller Kraft der Geschäftsführung seines Unternehmens widmet. Sein gesamtes Vermögen – und grundsätzlich auch der Neuerwerb – unterfällt dem Insolvenzbeschlag und er kann aus Zeitgründen auch keiner Tätigkeit als Arbeitnehmer bei Dritten nachgehen. Soweit ihm daher kein unpfändbarer Anteil an einem Arbeitseinkommen zufließt[1] oder er anderweitig, z.B. aus dem Familienkreis, keine Mittel zur Verfügung gestellt bekommt, ist er zur Finanzierung seiner Lebensführung auf die Alimentierung aus der Insolvenzmasse angewiesen.

 

Rn 3

Die Vorschrift verweist auf § 100 Abs. 2 Satz 2, wonach In gleicher Weise den minderjährigen unverheirateten Kindern des Schuldners, seinem Ehegatten, seinem früheren Ehegatten, seinem Lebenspartner, seinem früheren Lebenspartner und dem anderen Elternteil seines Kindes hinsichtlich des Anspruchs nach den §§ 1615l1615n BGB Unterhalt gewährt werden kann. Auch für diesen Kreis von nahestehenden Personen stehen dem Schuldner Mittel aus der Insolvenzmasse zu.

[1] Vgl. Begr. RegE BT-Drs. 12/2443, S. 225.

3. Umfang und Verfahren

 

Rn 4

Die Vorschrift gewährt dem Schuldner einen Anspruch auf die Mittel aus der Insolvenzmasse. Der Gläubigerversammlung kommt daher abweichend von § 100 Abs. 1 keine Entscheidungsbefugnis oder Ermessen über das Ob und den Umfang der Unterhaltsleistung an den Schuldner zu. Allerdings kann die Gläubigerversammlung frei ausgehandelten Mitarbeitsbedingungen zustimmen[2] und so eine Basis für ein angemessenes Entgelt für die Mitarbeit des Schuldners schaffen.

 

Rn 5

Mittel aus der Insolvenzmasse darf der Schuldner jedoch nur dann entnehmen, wenn er sie zur bescheidenen Lebensführung benötigt und er diese nicht ohnehin zur Verfügung hat, etwa im insolvenzfreien Vermögen.[3] Solches kann beispielsweise aus pfändungsfreiem Arbeitseinkommen nach § 850c ZPO resultieren. Zum insolvenzfreien Vermögen gehört nach § 36 aber auch Einkommen, das nach § 850i ZPO als nicht wiederkehrende Zahlung für persönlich geleistete Arbeit dem Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte unterliegt. Dem Wortlaut unterfallen hier auch Zahlungseingänge auf dem allgemeinen Konto des Schuldners während der Eigenverwaltung. Der pfändungsfreie Betrag wäre hiernach unter Berücksichtigung eventuell überwiegender Gläubigerbelange im Einzelfall vom Gericht festzusetzen.[4] Damit kollidiert aber der Grundgedanke des § 278, wonach nicht auf die in § 850i ZPO genannten Grenzen, sondern auf eine bescheidene Lebensführung abzustellen ist. § 850i ZPO hilft im Übrigen dann nicht weiter, wenn die in der Insolvenzmasse eingehenden Zahlungen keine Vergütungen für persönlich geleistete Arbeit des Schuldners selbst, sondern für Arbeit von Mitarbeitern des Schuldners ist. Problematisch ist schließlich, inwiefern es sich bei der Entnahme von über der Pfändungsgrenze liegenden Beträgen durch den Schuldner um Neuerwerb handelt, der ebenfalls wieder in die Masse fiele. Sinnvoll erscheint es daher, § 278 als Ergänzung zu § 36 Abs. 1 zu verstehen, wonach unpfändbare Gegenstände nicht Teil der Insolvenzmasse sind. Dem Schuldner soll gemäß § 278 ein nach dort genannten Kriterien näher zu bestimmender Betrag verbleiben, so dass die Pfändungsvorschriften durch § 278 verdrängt werden und keine weitere Bedeutung mehr haben.

 

Rn 6

Daraus folgt, dass die Höhe des Pfändungsfreibetrages für die Beurteilung im Rahmen des § 278 keine maßgebliche Größe ist, sondern allenfalls einen Anhaltspunkt geben kann. Außerdem folgt daraus, dass nicht nur über den Unterhalt zu entscheiden ist, der über die Pfändungsgrenzen hinausgeht, sondern über den gesamten zu entnehmenden Betrag.[5] Die hier vertretene Sichtweise führt schließlich dazu, dass mit Recht entnommene Beträge wie nach einer erklärten Freigabe nicht mehr Teil der Insolvenzmasse sind.[6]

 

Rn 7

Im konkreten Fall fordert das Gesetz zur Bestimmung des entnehmbaren Betrages die Berücksichtigung der bisherigen Lebensverhältnisse des Schuldners. Daran gemessen soll der dem Schuldner zustehende Betrag eine bescheidene Lebensführung gestatten, was den im Rahmen eines Regelinsolvenzverfahrens nach § 100 Abs. 1 zu gewährenden notwendigen Unterhalt bereits übersteigt. Diese vagen Kriterien führen...

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