Rn 47

Wegen ihrer i.d.R. besonderen Situation sieht § 222 Abs. 3 Satz 1 – ebenfalls fakultativ, allerdings als "Soll"-Vorschrift mit empfehlendem Charakter – die Bildung einer besonderen Gruppe für die Arbeitnehmer vor, wenn deren Forderungen auf rückständiges Arbeitsentgelt, soweit sie nicht schon durch die Zahlung von Insolvenzausgleichsgeld gedeckt sind, einen erheblichen Anteil ausmachen. Im Regelfall wird also, wenn die Voraussetzungen von § 222 Abs. 3 Satz 1 vorliegen, die Bildung einer Arbeitnehmergruppe geboten sein. Nur im Ausnahmefall, wenn ganz besondere Umstände vorliegen, wird hiervon abgesehen werden können.[68] Die besondere Interessenlage der Arbeitnehmer ergibt sich meist daraus, dass sie in der Krise des Unternehmens Vorleistungen nicht unerheblichen Umfangs in Form von Weiterarbeit ohne (bzw. zumindest ohne vollständige oder rechtzeitige) Lohnzahlung im Interesse des Erhalts ihres Arbeitsplatzes erbringen. Zudem bestehen ihre Arbeitsverhältnisse – wenn diese nicht vorher rechtzeitig gekündigt wurden – über den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung hinaus fort,[69] sodass erst im Insolvenzplan über die Erhaltung der Arbeitsplätze und damit häufig über ihr weiteres persönliches Schicksal entschieden wird. Eine gesonderte Gruppenbildung erscheint damit sachgerecht.[70]

 

Rn 48

Die Forderungen der Arbeitnehmer dürfen sich allerdings nicht nur auf Lohn- und Gehaltsrückstände des Insolvenzgeldzeitraums beziehen. Insoweit erleiden die Mitarbeiter, wenn ihre Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegen, regelmäßig keinen Ausfall. Ihre Ansprüche können daher z.B. aus der Zeit vor dem Insolvenzgeldzeitraum stammen oder auf Guthaben aus Arbeitszeitkonten, aus Ansprüchen nach dem ArbnErfG etc. herrühren.

 

Rn 49

Die Grenze der Erheblichkeit wird teilweise nach dem Verhältnis der Insolvenzforderungen der Arbeitnehmer zu den gesamten Insolvenzforderungen bestimmt. Indes spricht einiges dafür die Grenze nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich sollte sein, ob aus Sicht der betroffenen Arbeitnehmer die Forderungen einen erheblichen Umfang ausmachen.[71] Hierbei bietet sich als Maßstab ein prozentualer Anteil am Jahreseinkommen an,[72] wobei es ausreichen sollte, wenn bereits bei einigen Arbeitnehmern diese Voraussetzung erfüllt ist.[73]

 

Rn 50

Auch innerhalb der Gruppe ist eine weitere Untergliederung nach wirtschaftlichen Interessen möglich und sinnvoll (z.B. Teilung in diejenigen Arbeitnehmer, die gegen den Erwerb von Anteilen an dem sanierten Unternehmen bereit sind, auf rückständige Lohnforderungen zu verzichten, und solche, die lieber ihren gesetzlichen Auszahlungsanspruch behalten).[74] Gleiches gilt für eine Differenzierung nach im Unternehmen verbleibenden und nach ausscheidenden Mitarbeitern.

 

Rn 51

Sind die Arbeitnehmer nicht erheblich i.S.v. § 222 Abs. 3 beteiligt, dann gelten die allgemeinen Regelungen der Abs. 1 und 2. Es ist dann also immer noch die Bildung einer fakultativen Arbeitnehmergruppe nach Abs. 2 möglich. Sofern die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, sind die Arbeitnehmer im Regelfall in die Gruppe der nicht nachrangigen Gläubiger gem. § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 einzuteilen.

[68] Uhlenbruck-Lüer/Streit, § 222 Rn. 31.
[69] Smid, InVo 1997, 169.
[70] Begr. zu § 265 RegE, BT-Drs. 12/2443, S. 200.
[71] LG Mühlhausen, Beschl. v. 17.09.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724.
[72] Zu pauschal demgegenüber LAG Düsseldorf, Urt. v. 15.09.2011 – 11 Sa 591/11, ZIP 2011, 2487, das alle Arbeitnehmerforderungen über 500 EUR als erheblich einstuft.
[73] MünchKomm-Eidenmüller, § 222 Rn. 130 m.w.N.; Uhlenbruck-Lüer/Streit, § 222 Rn. 34 (bei 25 % der Arbeitnehmer müssen die Forderungen einen erheblichen Umfang ausmachen).
[74] Maus, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, S. 707 (719), Rn. 43.

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