Gesetzestext

 

(1) Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, kann der Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 anfechten.

(2) Eine Unterlassung steht einer Rechtshandlung gleich.

Bisherige gesetzliche Regelungen

 

§ 29 KO [Grundsatz]

Rechtshandlungen, welche vor der Eröffnung des Konkursverfahrens vorgenommen sind, können als den Konkursgläubigern gegenüber unwirksam nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen angefochten werden.

 

§ 36 KO [Ausübung des Anfechtungsrechts]

Das Anfechtungsrecht wird von dem Verwalter ausgeübt.

1. Sinn und Zweck der Insolvenzanfechtung

 

Rn 1

Die §§ 129 ff. verfolgen – wie auch schon die §§ 29 ff. KO – den Zweck, eine Vermehrung der Insolvenzmasse dadurch zu erreichen, dass Rechtshandlungen, die vor Verfahrenseröffnung vorgenommen worden sind und zu einer Benachteiligung der Insolvenz- masse geführt haben, bei Vorliegen bestimmter Zeit- bzw. Umstandsmomente zu Gunsten der Masse rückabgewickelt werden können.[1]

Diese Vorschriften sind damit in besonderer Weise Ausdruck des das gesamte Insolvenzrecht prägenden Grundprinzips der Gläubigergleichbehandlung (par condicio creditorum),[2] indem sie zu verhindern suchen, dass der Schuldner noch (unmittelbar) vor Verfahrenseröffnung der Masse Vermögenswerte entzieht oder sich einzelne Gläubiger zu Lasten der Gläubigergesamtheit individuelle Sicherung oder Befriedigung verschaffen.[3] Auf derartige Weise erlangte Vermögenswerte sollen – mag ihr Erwerb auch nicht gemäß § 81 oder § 91 unwirksam sein – doch zumindest haftungsrechtlich durch den in § 143 geregelten Rückgewähranspruch als nach wie vor der Masse zustehend behandelt werden.

 

Rn 2

Diesem Zweck dient das in § 129 Abs. 1 erwähnte Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters.[4] Im Zuge der Neuregelung der Anfechtungsvorschriften wurde ausdrücklich darauf verzichtet, die Formulierung des § 29 KO, wonach die Rechtshandlungen "als den Konkursgläubigern gegenüber unwirksam" angefochten werden können, in die Neufassung zu übernehmen.[5] Damit sollte allerdings zur umstrittenen Rechtsnatur des Anfechtungsrechts (§ 143 Rn. 2) nur insoweit Stellung genommen werden, als die Ausübung des Anfechtungsrechts keinen Einfluss auf die dingliche Rechtslage haben sollte (so aber die dinglichen Theorien in ihren verschiedenen Spielarten,[6] sondern die Anfechtbarkeit im Regelfall einen nur obligatorischen Rückgewähranspruch begründet. Einer weitergehenden Stellungnahme hinsichtlich der dogmatischen Einordnung des Anfechtungsrechts hat sich der Gesetzgeber bewusst enthalten.[7]

[1] Vgl. zum Normzweck der Insolvenzanfechtung Haarmeyer/Wutzke/Förster, Kap. 5 Rn. 202 ff.
[2] Vgl. Bork, Rn. 2 und 204; Häsemeyer, Rn. 21.01; Nerlich/Römermann-Nerlich, § 129 Rn. 5; demgegenüber kritisch und stärker auf den Gesichtspunkt einer Interessenabwägung abstellend Kübler/Prütting-Paulus, § 129 Rn. 4 ff.
[3] Während Nerlich/Römermann-Nerlich, § 129 Rn. 5, dabei eher eine wirtschaftliche Betrachtungsweise vorzieht, legt Kübler/Prütting-Paulus, § 129 Rn. 14, mehr Wert auf rechtliche Genauigkeit.
[4] Während des Insolvenzverfahrens können die einzelnen Gläubiger dem Rechtsstreit lediglich als Nebenintervenienten beitreten; Nerlich/Römermann-Nerlich, § 129 Rn. 27. Danach stehen ihnen wieder die Möglichkeiten nach dem AnfG offen.
[5] BegrRegE, in: Kübler/Prütting, Bd. I, S. 336.
[6] Siehe dazu den Überblick bei Hess/Weis, Rn. 38 ff.
[7] So ausdrücklich die BegrRegE, in: Kübler/Prütting, Bd. I, S. 337.

2. Grundtatbestand des § 129

 

Rn 3

Anfechtbar nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 sind alle Rechtshandlungen, die vor Verfahrenseröffnung vorgenommen worden sind und eine für die Insolvenzgläubiger benachteiligende Wirkung haben.

2.1 Begriff der Rechtshandlung

 

Rn 4

Rechtshandlungen in diesem Sinne sind alle Verhaltensweisen, die eine rechtliche Wirkung in Bezug auf die (künftige) Insolvenzmasse nach sich ziehen,[8] so dass sowohl Verhaltensweisen des (künftigen) Insolvenzschuldners[9] als auch solche seiner Gläubiger (z.B. Einzelzwangsvollstreckungen oder Arrestierungen, soweit sie nicht schon gemäß § 88 unwirksam sind) oder sonstiger Dritter (z.B. ein Schuldner des Insolvenzschuldners) einzubeziehen sind.[10] Der Begriff ist im Interesse eines möglichst effektiven Schutzes der Insolvenzmasse weit zu fassen und umfasst damit insbesondere

 

Rn 5

  • Willenserklärungen, die auf die Verwirklichung eines obligatorischen oder dinglichen Rechtsgeschäfts gerichtet sind (wobei auch für die Insolvenzanfechtung zwischen dem schuldrechtlichen Kausal- und dem dinglichen Vollzugsgeschäft zu unterscheiden ist, die Anfechtungsvoraussetzungen also grundsätzlich jeweils gesondert zu prüfen sind);[11] zu den bei Aufrechnungserklärungen geltenden Besonderheiten siehe § 96 Rn. 11 ff.;
 

Rn 6

  • rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, aber auch Realakte wie Vermischung, Verarbeitung[12] oder die Ansichnahme von Sicherungsgut;[13]
 

Rn 7

  • Prozesshandlungen (z.B. Verzicht, Vergleich oder Anerkenntnis), insbesondere auch in Form der Unterlassung (dazu sogleich Rn. 8);[14]
 

Rn 8

  • Unterlassungen – soweit wissentlich und w...

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