Rn 1

Ungeachtet des Umstandes, dass der Interessenausgleich nicht erzwingbar ist (vgl. vor §§ 121, 122 Rn. 40, 43 ff.) und der Betriebsrat die geplante Betriebsänderung letztlich nicht verhindern kann, bieten die Regularien der §§ 112 ff. BetrVG dem Betriebsrat hinreichend Gelegenheit, das Interessenausgleichsverfahren zeitlich auszudehnen. Bis zur Einführung der Fristenlösung des § 113 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 3 BetrVG durch das arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz mit Wirkung zum 1.10.1996[1] und nach ihrer Streichung durch das Gesetz zur Korrektur in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte[2] zum 31.12.1998 wurde und wird dieser Strategie des Betriebsrats in der Praxis regelmäßig dadurch begegnet, dass ihm ein zeitnaher Interessenausgleich und die damit verbundene frühzeitige Kündigungsmöglichkeit durch einen großzügig dotierten Sozialplan "abgekauft" wird.

 

Rn 2

Auf Insolvenzverfahren ist diese Praxis schon deshalb nur eingeschränkt übertragbar, weil das Sozialplanvolumen nicht mehr als 2,5 Monatsverdienste der von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer (absolute Beschränkung) und ein Drittel der Masse (relative Beschränkung) übersteigen darf (vgl. § 123 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2). Für den Betriebsrat besteht daher zumindest bei Betriebsstilllegungen regelmäßig kein Anreiz, das Interessenausgleichsverfahren zügig zum Abschluss zu bringen. Eine vorzeitige Durchführung der Betriebsänderung ist dem Insolvenzverwalter aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht daher nur dann möglich, wenn er seine Pflichten aus §§ 111, 112 Abs. 1 BetrVG missachtet. Ein solches Unterfangen ist schon deshalb wenig empfehlenswert, weil der Insolvenzverwalter ansonsten Nachteilsausgleichsansprüchen der betroffenen Arbeitnehmer nach § 113 Abs. 3 BetrVG ausgesetzt wird (vgl. vor §§ 121, 122 Rn. 50 ff.). Diese Ansprüche sind Masseforderungen[3] und werden regelmäßig die Dotierung des Sozialplans nach § 123 Abs. 1 überschreiten.

 

Rn 3

Diese betriebsverfassungsrechtlichen Konsequenzen sind mit dem Ziel einer zügigen Insolvenzabwicklung jedenfalls dann nicht vereinbar, wenn nach dem Eintritt der Insolvenz die unverzügliche Einstellung der Unternehmenstätigkeit erforderlich ist, um weitere Verluste zu vermeiden. Auch wenn Sanierungschancen bestehen, können diese entscheidend beeinträchtigt werden, wenn es nicht gelingt, einzelne unrentable Betriebe des Unternehmens sofort stillzulegen.[4] Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber mit § 122 InsO dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit eröffnet, eine Betriebsänderung ohne vorheriges Einigungsstellenverfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchzuführen, ohne dass Ansprüche auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG drohen. Dazu bedarf der Insolvenzverwalter allerdings unter den nachstehend aufgeführten Voraussetzungen der Zustimmung des Arbeitsgerichts in einem von ihm einzuleitenden arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren.

[1] BGBl. 1996, 1476.
[2] BGBl. 1998, 3843.
[3] BAG 13.6.1989, AP Nr. 19 zu § 113 BetrVG 1972 für den Konkurs.
[4] Begründung zu § 140 RegE = § 122 InsO, BT-Drucks. 12/24 43, S. 153, abgedruckt in: Kübler/Prütting, Bd. I S. 318, 319.

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