Rn 33

§ 113 Satz 1 enthält ein eigenständiges gesetzliches Kündigungsrecht, regelt aber keinen selbstständigen Kündigungsgrund.[70]

[70] BAG 15.12.2011, 8 AZR 692/10; BAG 20.09.2012, 6 AZR 253/11.

4.1 Vereinbarter Kündigungsschutz

4.1.1 Einzel- und kollektivvertragliche Unkündbarkeitsregelungen

 

Rn 34

Die Vorschrift beinhaltet also lediglich eine Durchbrechung der individual- oder kollektivvertraglich vereinbarten Kündigungsbeschränkungen. Dementsprechend verdrängt § 113 Satz 1 Unkündbarkeitsklauseln in Tarifverträgen,[71] Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen. Tarifliche Vorschriften zum Kündigungsschutz älterer Arbeitnehmer sind damit ebenso wenig insolvenzfest[72] wie in Betriebsvereinbarungen enthaltene Kündigungsverbote.[73] Dies gilt unabhängig davon, ob der tarifliche Kündigungsausschluss infolge beiderseitiger Tarifbindung oder "nur" aufgrund bloßer arbeitsvertraglicher Inbezugnahme zur Anwendung kommt.[74] Auf die Art der Kündigungserschwernis kommt es nicht an. Das Kündigungsrecht des § 113 Satz 1 besteht unabhängig davon, ob der Ausschluss der Kündigung mit einer Gegenleistung des Arbeitnehmers, beispielsweise im Rahmen einer Standortsicherungsvereinbarung, verbunden war.[75]

[71] BAG 16.05.2019, 6 AZR 329/18; BAG 20.09.2006, 6 AZR 249/05; BAG 17.11.2005, 6 AZR 107/05; ArbG Düsseldorf 21.03.2018, 12 Ca 6881/17.
[72] BAG 16.05.2019, 6 AZR 329/18; BAG 16.06.2005, 6 AZR 476/04; BAG 19.01.2000, 4 AZR 70/99.

4.1.2 Befristete und auflösend bedingt geschlossene Arbeitsverträge

 

Rn 35

Als vertragliche Kündigungsbegrenzung gilt auch die Vorgabe in § 15 Abs. 3 TzBfG, wonach ein befristetes Arbeitsverhältnis nur dann der ordentlichen Kündigung unterliegt, wenn dies einzelvertraglich oder im anwendbaren Tarifvertrag vereinbart ist. Für befristete Arbeitsverhältnisse gilt das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters somit auch dann, wenn sich der Arbeitgeber das ordentliche Kündigungsrecht nicht explizit vorbehalten hat. § 15 Abs. 3 TzBfG enthält nur eine gesetzliche Auslegungsregelung, die § 113 nicht vorgeht.[76] Ob es sich um eine Zeit- oder Sachbefristung handelt, spielt keine Rolle. Ebenso können auflösend bedingt abgeschlossene Arbeitsverträge (§ 158 Abs. 2 BGB) durch den Insolvenzverwalter gekündigt werden.

[76] BAG 16.06.2005, 6 AZR 476/04; BAG 06.07.2000, 2 AZR 695/99.

4.1.3 Vertraglich vereinbarte Zustimmungsvorbehalte

 

Rn 36

Demgegenüber wird eine (tarif-)vertragliche Regelung, wonach der Ausspruch von Kündigungen nur mit Zustimmung des Betriebsrats möglich ist, nicht von § 113 verdrängt.[77] Denn nach dem Verständnis des BAG handelt es sich hierbei lediglich um eine verfahrensmäßige Absicherung des individuellen Kündigungsschutzes auf kollektiver Ebene. Es werden die Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Verhältnis zur bloßen Anhörung nach § 102 Abs. 1 und zum Widerspruchsrecht nach § 102 Abs. 3 BetrVG durch eine zusätzliche verfahrensmäßige Hürde verstärkt, aber nicht die Länge der Kündigungsfrist berührt. Vielmehr wird – so das BAG – allein der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung determiniert.

[77] BAG 19.01.2000, 4 AZR 911/98; a.A. LAG Düsseldorf 18.11.2015, 4 Sa 478/15, für eine tarifvertragliche Regelung, die für einen befristeten Zeitraum betriebsbedingte Kündigungen nur bei Zustimmung des Betriebsrats und der Gewerkschaft zulässt.

4.2 Gesetzlicher Kündigungsschutz

 

Rn 37

Die Regelungen des allgemeinen und besonderen gesetzlichen Kündigungsschutzes, d.h. insbesondere das KSchG, gelten auch im Insolvenzfall weiter. § 113 ändert hieran nichts.[78]

[78] BAG 20.09.2012, 6 AZR 253/11; BAG 20.09.2006, 6 AZR 249/05; BAG 26.07.2007, 8 AZR 769/06.

4.2.1 Allgemeiner Kündigungsschutz

 

Rn 38

Im Anwendungsbereich des KSchG (§§ 1, 23 KSchG) können Arbeitsverhältnisse somit auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur bei Vorliegen einer sozialen Rechtfertigung rechtswirksam beendet werden.[79]

 

Rn 39

Typischerweise geht es dabei um betriebsbedingte Kündigungen. Ein Grund zur Kündigung liegt nicht bereits in einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder der (drohenden) Insolvenz des Arbeitgebers als solcher.[80] Vielmehr ist nur dann von einer sozialen Rechtfertigung auszugehen, wenn das Beschäftigungsbedürfnis für einen oder mehrere Arbeitnehmer aufgrund unternehmerischer Entscheidung des Insolvenzverwalters entfallen ist, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf freien Arbeitsplätzen im Unternehmen[81] (auch unter veränderten Arbeitsbedingungen) nicht möglich ist und der die Kündigung erhaltende Arbeitnehmer unter mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern des Betriebs[82] am sozial wenigsten schutzwürdig ist (§ 1 Abs. 3 KSchG).[83]

 

Rn 40

Im Fall einer Stilllegung des Unternehmens ist die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Unternehmensstilllegung keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung der Arbeitsverhältnisse durch den "starken" vorläufigen Insolvenzverwalter wegen der von ihm beabsichtigten Stilllegung.[84] Zwar verpflichtet § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 den vorläufigen Insolvenzverwalter, die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Stilllegung des Unternehmens (nicht unbedingt eines von mehreren Betrieben) einzuholen.[85] Die Vorschrift ist allerdings keine Kündigungsschutznorm. Zwischen ...

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