Entscheidungsstichwort (Thema)

Staatshaftung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Haftung des Staates oder der sonstigen Körperschaft, in deren Dienst ein Amtsträger steht, der eine ihm einem Ausländer gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt hat, ist auch beim Fehlen der Gegenseitigkeit im Verhältnis zu dem Heimatstaat des Geschädigten nicht ausgeschlossen, wenn und soweit der Schadensersatzanspruch des Verletzten nach § 1542 RVO auf einen inländischen SVT übergegangen ist.

 

Normenkette

BGB § 839; GG Art. 34; RVO § 1542

 

Tatbestand

Der Revisionsbeklagte, ein Polizeibeamter des mitbeklagten Landes, kontrollierte mit einem ebenfalls mitbeklagten Kollegen im Zusammenhang von Ermittlungen wegen des Verdachts eines Rauschgiftdelikts einen Personenkraftwagen. Bei der Überprüfung kam es zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf die beklagten Beamten von der Schußwaffe Gebrauch machten; der Fahrer des Personenkraftwagens, ein jordanischer Staatsangehöriger, der - wie die klagende Ortskrankenkasse behauptet - bei ihr versichert ist, erlitt eine schwere Hirnverletzung.

Die Klägerin hat das Land und die beiden Polizeibeamten unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat durch Teilurteil die Klage gegen die beiden Polizeibeamten abgewiesen. Das Oberlandesgericht (vgl. NVwZ 1986, 508) hat die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihrer Klage gegen den Revisionsbeklagten zurückgewiesen.

Die Revision der Klägerin blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Klägerin kann den beklagten Beamten schon deshalb nicht (aus übergegangenem Recht) auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch nehmen, weil aufgrund des Art. 34 GG an die Stelle einer Eigenhaftung des beklagten Beamten die Staatshaftung des mitbeklagten Landes getreten ist.

1.

Die Haftungsverlagerung nach Art. 34 GG stellt eine befreiende Schuldübernahme kraft Gesetzes dar mit der Folge, daß der Beamte, der seine Amtspflicht verletzt hat, dem geschädigten Dritten nicht haftet, soweit die Staatshaftung eintritt (Senatsurteil vom 13. Juli 1961 - III ZR 96/60 = LM GG Art. 34 Nr. 60; Kreft BGB-RGRK 12. Aufl. § 839 Rn. 22; Glaser in: Soergel, BGB 11. Aufl. § 839 Rn. 36; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht 4. Aufl. § 25 Rn. 7; vgl. auch Maunz in: Maunz/Dürig, GG Art. 34 Rn. 8).

2.

Die befreiende Schuldübernahme nach Art. 34 GG gilt allerdings nicht ausnahmslos. Da die Verantwortlichkeit für Amtspflichtverletzungen in Ausübung öffentlicher Gewalt den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht, nur ›grundsätzlich‹ trifft, sind - auch wenn Art. 34 GG den Gesetzgeber nicht mehr, wie früher Art. 131 Abs. 2 WV (dazu BVerfGE 61, 149, 191 f.) und noch heute Art. 136 Abs. 2 der Verfassung des Landes Hessen (dazu Engelhardt in: Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen Art. 136 Erl. VII 2, X 1), zu ›näherer Regelung‹ ermächtigt - die reichs- und landesrechtlichen Haftungsvorschriften insoweit in Kraft geblieben, wie sie die verfassungsmäßigen Grundsätze durch Regelung im einzelnen ergänzen und beschränken (Senatsurteil BGHZ 9, 289; stRspr.; vgl. Kreft aaO Rn. 24). Die die Staatshaftung beschränkenden oder ausschließenden Regelungen sind allerdings als Ausnahmen von dem Verfassungsgrundsatz eng auszulegen und nur insoweit zulässig, wie sie von der Sache her gerechtfertigt werden können; sie dürfen nicht willkürlich getroffen werden, müssen auf sachgerechten Erwägungen beruhen und sich an der Grundentscheidung der Verfassung ausrichten (Senatsurteile BGHZ 25, 231, 237; 62, 372, 377f.; vgl. auch Kreft aaO Rn. 25 m. w. Nachw.).

3.

Nach dem im Lande Hessen bis zum 31. Dezember 1984 geltenden Recht (§ 7 PrStHG v. 1. August 1909, GS S. 291; Art. 80 AGBGB v. 17. Juli 1899, RegBl. S. 133), das auf den vorliegenden Fall noch Anwendung findet (vgl. §§ 35, 33 Abs. 3 Hess. AGBGB v. 18. Dezember 1984, GVBl. I S. 344), haftet der Staat für Amtspflichtverletzungen seiner Beamten gegenüber Ausländern grundsätzlich dann nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist. Ein solcher Haftungsausschluß ist zulässig (Senatsurteil v. 5. Juli 1984 - III ZR 94/83 = VersR 1984, 1069; Kreft aaO Rn. 32); er ist gerechtfertigt durch das Ziel, die Verbesserung der Rechtsstellung deutscher Staatsangehöriger im Ausland dadurch zu fördern, daß für ausländische Staaten ein Motiv zur Herstellung der Gegenseitigkeit gesetzt wird (BVerfG NVwZ 1983, 89; Senatsurteil v. 5. Juli 1984 aaO). Allerdings ist er schon deshalb eng auszulegen, weil die immer engere internationale Verflechtung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen eine Differenzierung zwischen Deutschen und Ausländern im Rahmen der Staatshaftung heute fragwürdig erscheinen läßt (vgl. BVerfGE 30, 409, 414; Senatsurteile v. 17. Dezember 1981 - III ZR 28/80 = VersR 1982, 297 und vom 5. Juli 1984 aaO).

4.

Die Haftung des Staates oder der sonstigen Körperschaft, in deren Dienst ein Amtsträger steht, der eine ihm einem Ausländer gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt hat, ist jedoch auch beim Fehlen der Gegenseitigkeit im Verhältnis zu dem Heimatstaat des Geschädigten nicht ausgeschlossen, wenn und soweit der Schadensersatzanspruch des Verletzten nach § 1542 RVO auf einen inländischen Sozialversicherungsträger übergegangen ist.

a)

Das deutsche Sozialversicherungsrecht macht bei der Beitragspflicht und der Leistungsberechtigung keinen Unterschied zwischen Inländern und Ausländern.

Die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung in der Sozialversicherung gelten - mit hier nicht einschlägigen Ausnahmen (vgl. §§ 4, 5, 6 SGB IV) - für alle Personen, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs beschäftigt oder selbständig tätig sind oder, soweit eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht vorausgesetzt wird, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 3 SGB IV). Auf die Staatsangehörigkeit kommt es für Versicherungspflicht oder -berechtigung dagegen nicht an (v. Maydell, GK-SGB IV § 3 Rn. 6; Gitter, Sozialrecht, 1981, § 7 IV; vgl. schon Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, 1965, S. 399). Ein im Bundesgebiet beschäftigter Ausländer wie der Kläger unterliegt daher derselben Beitragspflicht wie ein deutscher Staatsangehöriger; umgekehrt stehen ihm dieselben Leistungsansprüche wie einem Deutschen zu. Aus den einschlägigen Regelungen des Sozialversicherungsrechts läßt sich daher nichts dafür herleiten, den deutschen Sozialversicherungsträger eines ausländischen Versicherten hinsichtlich der Möglichkeit, bei einem Schädiger Regreß zu nehmen, anders zu behandeln als den eines Deutschen.

b)

Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes läßt allerdings weder rechtsgeschäftliche Abtretung noch Erbfolge (Senatsurteil vom 1. Oktober 1956 - III ZR 48/55 = NJW 1956, 1836) den in Ermangelung der Voraussetzungen der Staatshaftung gegen den Amtsträger, der pflichtwidrig gehandelt hat, gerichteten Amtshaftungsanspruch auf der Passivseite nachträglich auf den Staat übergehen. Dagegen ›beseitigt (die Bekanntmachung der Gegenseitigkeit) ein Hindernis, das bis dahin der Durchführung des Anspruchs entgegengestanden hatte‹, und ›folgeweise muß mit der Beseitigung des Hindernisses die Bahn frei sein für die Durchführung aller Ansprüche, denen bisher das Hindernis im Wege gestanden hatte‹ (RGZ 128, 238). Auch der nachträgliche Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Geschädigten kann - wie der Senat in seinem Urteil vom 28. Februar 1980 (BGHZ 77, 11) unter Aufgabe der gegenteiligen Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. Urteil vom 24. September 1935, JW 1936, 383) entschieden hat - dazu führen, daß (nachträglich) an die Stelle des schadensersatzpflichtigen Beamten der Staat oder die sonstige Anstellungskörperschaft tritt.

c)

Im Gegensatz zu der Rechtslage bei rechtsgeschäftlicher Abtretung und regelmäßig auch bei späterem Eintritt eines Erbfalles geht der Ersatzanspruch des unmittelbar Geschädigten nach § 1542 RVO auf den Sozialversicherungsträger über, soweit dieser dem Geschädigten ›nach diesem Gesetz Leistungen zu gewähren hat‹. Der Übergang vollzieht sich bereits ›in dem die Ersatzpflicht des Schädigers auslösenden Zeitpunkt‹ (Senatsurteil BGHZ 48, 181, 189f.). Denn der Sozialversicherungsträger erwirbt zwar nicht kraft eigenen Rechts Ansprüche gegen den Schädiger; sein Rechtserwerb ist vielmehr formell aus dem Recht des Geschädigten abgeleitet. Der Rechtsübergang ist aber so geregelt, daß der Versicherungsträger gegen jegliche Verfügungen des Geschädigten geschützt ist; sogar Verfügungen über künftige Schadensersatzansprüche sind dem Geschädigten schon dann verwehrt, wenn zunächst noch ungewiß ist, ob und in welcher Höhe der Sozialversicherungsträger Leistungen erbringen wird, die ihn in Zukunft berechtigen werden, Rechte aus den übergegangenen Ansprüchen geltend zu machen (Senatsurteil aaO S. 185).

Diese Regelung hat zur notwendigen Folge, daß Zweck und rechtfertigender Grund der Voraussetzung verbürgter Gegenseitigkeit für die Haftungsübernahme des Staates gegenüber einem durch eine Amtspflichtverletzung geschädigten Ausländer beim Forderungsübergang nach § 1542 RVO keine Bedeutung gewinnen können. Soweit dieser Forderungsübergang reicht, hat der Ausländer ohne Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit einen Leistungsanspruch gegen den Sozialversicherungsträger; denn nur wenn und soweit ein solcher Leistungsanspruch besteht, gehen Schadensersatzansprüche auf den Sozialversicherungsträger über. In einem solchen Fall ermöglicht der Ausschluß der Staatshaftung es der Bundesrepublik Deutschland nicht, dem Heimatstaat des betroffenen Ausländers die Gleichstellung seiner Staatsangehörigen dafür anzubieten, daß er Deutschen entsprechende Rechte gewährt (vgl. BVerfGE 30, 409, 414); denn der Ausschluß trifft nicht den geschädigten Ausländer, sondern den deutschen Sozialversicherungsträger.

Umgekehrt besteht keinerlei Anlaß dafür, in einem solchen Fall die (zumindest weit überwiegend) deutsche Versichertengemeinschaft mit dem Schaden zu belasten. Sie muß ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit des geschädigten Versicherten leisten. Deshalb sprechen auch die Gründe, die den Senat veranlaßt haben, die Leistungen der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung nicht mehr als anderweitigen Ersatz i. S. von § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB anzusehen, soweit es um die Haftung des Staates geht, (vgl. Senatsurteile BGHZ 79, 26, 31 ff. und vom 17. März 1983 - III ZR 170/81 = VersR 1983, 638, 639), für den Verzicht auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit beim Übergang eines Amtshaftungsanspruchs von einem unmittelbar geschädigten Ausländer auf einen deutschen Sozialversicherungsträger.

d)

Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, daß im Hinblick auf den Haftungsausschluß überhaupt kein Schadensersatzanspruch entstanden sei, der auf den Sozialversicherungsträger gemäß § 1542 RVO hätte übergehen können.

Wenn der beklagte Polizeibeamte dem geschädigten Autofahrer gegenüber eine schuldhafte Amtspflichtverletzung begangen hat, ist gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB jedenfalls ein Schadensersatzanspruch entstanden. Daran ändert auch der Haftungsausschluß nichts; denn er bezieht sich nicht auf den Anspruch als solchen, sondern steht lediglich zunächst der durch Art. 34 GG und Art. 136 HV (zu seiner Weitergeltung neben Art. 34 GG vgl. Engelhardt aaO Erl. III) bewirkten Verlagerung der Passivlegitimation (vgl. BVerfGE 61, 149, 198; Kreft aaO Rn. 22; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht 3. Aufl. § 2; Engelhardt aaO Erl. IV) entgegen.

e)

Der Bejahung eines Staatshaftungsanspruchs des Sozialversicherungsträgers kann in diesem Fall schließlich auch nicht entgegengehalten werden, der Gesetzgeber hätte, wenn er maßgeblich auf die Inländereigenschaft des Sozialversicherungsträgers hätte abstellen wollen, diesem Ansprüche aus eigenem Recht etwa wie den unterhaltsberechtigten Angehörigen in § 844 BGB geben können. Der Begründung eigener Ansprüche des Versicherungsträgers steht entgegen, daß dieser auch bei Ungewissheit, ob und wieweit er in Zukunft Versicherungsleistungen zu erbringen haben wird, geschützt werden soll. Gerade weil der Forderungsübergang durch den Eintritt der Gewißheit, daß keine Versicherungsleistungen zu erbringen sind, auflösend bedingt ist, reicht die Gewährung eigener Ansprüche zur Sicherung des Versicherungsträgers nicht aus (vgl. Senatsurteil BGHZ 48, 181, 191). Da somit die Konstruktion eines Anspruchsübergangs vom unmittelbar Geschädigten auf den Sozialversicherungsträger anstelle der Begründung eines originär eigenen Anspruchs vom Gesetzgeber im Interesse des Sozialversicherungsträgers und nicht des Schädigers gewählt worden ist, rechtfertigt sie es hier nicht, den Sozialversicherungsträger schlechter zu stellen.

f)

Im Rahmen der Verjährung hat der Senat diese Sonderstellung des Forderungsüberganges nach § 1542 RVO bereits anerkannt. Während bei der rechtsgeschäftlichen Abtretung einer Schadensersatzforderung und im allgemeinen auch bei einer Legalzession - z. B. nach § 67 VVG - die Voraussetzungen des Verjährungsbeginns für die Zeit bis zum Forderungsübergang nach den Kenntnissen des ursprünglichen Gläubigers beurteilt werden, der neue Gläubiger also unter Umständen eine Forderung erwirbt, deren Verjährungsfrist schon läuft oder die bereits verjährt ist (vgl. §§ 404, 412 BGB), gilt Abweichendes beim Forderungsübergang nach § 1542 RVO: Hier gehen die Schadensersatzansprüche bereits im Augenblick ihrer Entstehung nach § 1542 RVO auf den Versicherungsträger über (wenn auch nur die entfernte Möglichkeit besteht, daß dem Verletzten Leistungen zu gewähren sind); für den Beginn der Verjährung ist daher nicht auf die Kenntnis des Geschädigten, sondern nur auf die des Versicherungsträgers von Schaden und Schädiger abzustellen (BGHZ 48, 181, 192). Damit wird der Sozialversicherungsträger auch hier so angesehen, als sei der Schadensersatzanspruch unmittelbar in seiner Person entstanden. Hinsichtlich der Ausländereigenschaft des Geschädigten kann nichts anderes gelten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456584

BGHZ, 62

NJW 1987, 1696

IPRspr. 1986, 37

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