Leitsatz (amtlich)

Hat die Zivilkammer den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen verwiesen, so ist der Verweisungsbeschluß auch bindend und unanfechtbar, wenn und soweit die Zivilkammer in den Gründen des Beschlusses die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte verneint hat.

 

Normenkette

GVG § 102

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 19.12.1973)

LG Paderborn (Urteil vom 14.07.1972)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. Dezember 1973 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß dieses Urteil aufgehoben und die Berufung gegen den Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 14. Juli 1972 verworfen wird.

Die Kosten der Berufung und der Revision trägt der Beklagte.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Beklagte und der Steuerberater H. waren Gesellschafter der klagenden GmbH, einer Steuerberatungsgesellschaft. Am 10. April 1970 trat der Beklagte seinen Gesellschaftsanteil an H. ab. Die Beteiligten vereinbarten – H. zugleich im Namen der Klägerin –, der Beklagte solle nach seinem Ausscheiden noch bis Ende 1970 für die Klägerin tätig sein, außerdem dürfe er bis Ende 1972 keine Mandanten H. und der Klägerin übernehmen. Mit der Behauptung, der Beklagte habe gegen diese Abmachungen verstoßen, hat die Klägerin unter anderem Klage auf Schadensersatz und Zahlung einer Vertragsstrafe erhoben.

Der Beklagte hat vorab die Unzuständigkeit der ordentlichen Gerichte gerügt, da eine arbeitsrechtliche Streitigkeit vorliege. Hilfsweise hat er Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen beantragt.

Durch Beschluß vom 14. Juni 1972 hat die Zivilkammer des Landgerichts entschieden: „Der Rechtsstreit wird auf Antrag des Beklagten an die Kammer für Handelssachen verwiesen.” In den Gründen des Beschlusses ist ausgeführt: Die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit des Landgerichts greife nicht durch, da keine arbeitsrechtliche Streitigkeit vorliege. Die Ansprüche der Klägerin hätten ihren Ursprung im Gesellschaftsverhältnis der Parteien. Daher sei der Rechtsstreit eine Handelssache gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 a GVG und müsse auf den Hilfsantrag des Beklagten an die Kammer für Handelssachen verwiesen werden.

Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits äußerte der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen, er halte den Verweisungsbeschluß der Zivilkammer auch hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für bindend. Darauf hat der Beklagte gegen die Entscheidung der Zivilkammer Berufung eingelegt, mit der er seinen Antrag, den Rechtsstreit an die Arbeitsgerichte zu verweisen, weiterverfolgt.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung für zulässig gehalten, sie aber als unbegründet zurückgewiesen; es hat die Formel der landgerichtlichen Entscheidung dahin neu gefaßt, daß durch Urteil die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des Landgerichts verworfen und der Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen verwiesen werde.

Hiergegen wendet sich die Revision des Beklagten, die die Klägerin zurückzuweisen beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Berufung gegen den Beschluß der Zivilkammer als unzulässig verworfen wird.

Das Berufungsgericht folgert die Anfechtbarkeit des hier erlassenen Verweisungsbeschlusses aus der entsprechenden Anwendung der §§ 274 Abs. 2 Nr. 1, 275 ZPO. Der Beschluß, so führt es in Übereinstimmung mit der Berufungsbegründung aus, sei zwar nach seinem Tenor eine Verweisungsentscheidung gemäß § 98 GVG. Der Sache nach habe aber die Zivilkammer, wie sich aus den Gründen des Beschlusses ergebe, in erster Linie über die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit der ordentlichen Gerichte befunden und die Verweisung an die Kammer für Handelssachen erst in zweiter Linie auf den Hilfsantrag des Beklagten ausgesprochen. Über die Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede hätte aber gemäß §§ 274 Abs. 2 Nr. 1, 275 ZPO durch Urteil entschieden werden müssen.

Dem ist nicht zuzustimmen.

Der Beschluß der Zivilkammer enthält in erster Linie eine Verweisung an die Kammer für Handelssachen, die gemäß § 102 GVG bindend und mit Rechtsmitteln nicht angreifbar ist. Darüber hinaus hat die Zivilkammer – was zwischen den Parteien hauptsächlich im Streit war und weshalb der Beklagte Berufung eingelegt hat – die Frage mitgeprüft, ob eine bürgerlich-rechtliche oder eine arbeitsrechtliche Streitigkeit vorliegt, und dabei die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bejaht. Auch insoweit ist die Entscheidung bindend und unanfechtbar. Dies ergibt sich aus folgendem:

1. Nimmt das mit der Sache befaßte Gericht seine Zuständigkeit in einem besonderen Zwischenurteil (§§ 275, 303 ZPO) oder in den Gründen des Endurteils an, so unterliegt diese Entscheidung grundsätzlich den ordentlichen Rechtsmitteln. Anders ist es dagegen, wenn das Gericht wegen seiner Unzuständigkeit den Rechtsstreit auf Antrag gemäß § 276 ZPO oder § 48 Abs. 1 ArbGG verweist. In diesem Fall ist der Beschluß nicht nur hinsichtlich derjenigen Zuständigkeitsfrage bindend, derentwegen verwiesen worden ist (soweit also verweisendes und angewiesenes Gericht in der Zuständigkeit konkurrieren), sondern, wie allgemein anerkannt, auch hinsichtlich sonstiger Zuständigkeitsfragen – jedenfalls dann, wenn das verweisende Gericht die Zuständigkeit auch in dieser Hinsicht geprüft und bejaht hat (vgl. u.a. Stein/Jonas, ZPO 19. Aufl. § 276 Anm. IV 2; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 11. Aufl. § 39 II 2 e, beide m.w.N.).

Diese für die §§ 276 ZPO, 48 Abs. 1 ArbGG anerkannte Rechtsfolge muß bei einer Verweisung gemäß § 102 GVG, wenn außer der Zuständigkeit Zivilkammer/Kammer für Handelssachen sonstige Zuständigkeiten geprüft worden sind, entsprechend gelten. Daß die in einem Verweisungsbeschluß enthaltenen Zuständigkeitsentscheidungen bindend sind – im Gegensatz zur Anfechtbarkeit „positiver” Zuständigkeitsentscheidungen in einem Zwischenurteil oder in den Gründen des Endurteils –, beruht auf der prozeßwirtschaftlichen Erwägung, daß eine weitere Zuständigkeitsprüfung mit der möglichen Folge einer erneuten Verweisung oder Klagabweisung als unzulässig dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die betreffende Zuständigkeitsfrage bereits von einem anderen Gericht entschieden wurde und die Sache schon einmal von einem Gericht an ein anderes verwiesen werden mußte; der Verzögerung und Verteuerung der Prozesse durch unfruchtbare Zuständigkeitsstreitigkeiten soll vorgebeugt werden. In dieser Hinsicht liegt es aber bei Verweisungen gemäß §§ 276 ZPO, 48 Abs. 1 ArbGG und bei solchen gemäß § 102 GVG ganz ähnlich. Beide Male wird aus Zuständigkeitsgründen noch ein zweiter Spruchkörper mit der Sache befaßt, wobei auch im Falle des § 102 GVG das zuerst entscheidende Gericht in einem förmlichen Verfahren – durch förmlichen Beschluß nach vorangegangener mündlicher Verhandlung – entschieden hat (im Unterschied zur bloßen Abgabe an eine andere Abteilung desselben Gerichts, für die das Gesetz keine förmliche Verweisungsentscheidung vorsieht – vgl. dazu RGZ 119, 379, 384; BGHZ 6, 178, 182). Daß im Falle der §§ 276 ZPO, 48 Abs. 1 ArbGG zwei verschiedene Gerichte, bei einer Verweisung gemäß § 102 GVG zwei verschiedene Kammern desselben Gerichts mit der Sache befaßt werden, und daß es sich insoweit auch nicht um eine Frage der sachlichen Zuständigkeit im üblichen Sinne der Zivilprozeßordnung handelt, hat demgegenüber kein entscheidendes Gewicht. Ebenso ist der Unterschied ohne Bedeutung, daß Verweisungsbeschlüsse gemäß §§ 276 ZPO, 48 Abs. 1 ArbGG nur auf Antrag des Klägers erlassen werden, während eine Verweisung im Verhältnis Zivilkammer/Kammer für Handelssachen im allgemeinen auf Antrag des Beklagten (§§ 97 Abs. 1, 98 Abs. 1 Satz 1, 99 Abs. 1 GVG), unter Umständen auch von Amts wegen (§§ 97 Abs. 2, 99 Abs. 2 GVG) geschieht.

2. Gegen eine mehrfach bindende Zuständigkeitsentscheidung im Falle des § 102 GVG läßt sich nicht geltend machen, daß nach herrschender Auffassung die Zuständigkeitsfrage Zivilkammer/Kammer für Handelssachen immer vorab zu prüfen sei, die zuerst entscheidende Kammer also, wenn sie gemäß § 102 GVG verweise, nicht über sonstige Prozeßvoraussetzungen – etwa über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit des Gerichts – zu befinden habe (vgl. LG Karlsruhe, ZZP 38, 424; Schlegelberger/Nagel, GVG § 97 Anm. 1; Stein/Jonas a.a.O. § 276 Anm. VII 4; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung 32. Aufl. GVG § 97 Anm. 1 A; Rosenberg/Schwab a.a.O. § 33 II 2 c). Ob dieser Ansicht – die sich in erster Linie auf den unterschiedlichen Gesetzeswortlaut in § 101 Abs. 1 GVG (Verhandlung zur „Sache”) und in § 274 ZPO (Verhandlung zur „Hauptsache”) stützt – zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem die Zuständigkeit Zivilkammer/Kammer für Handelssachen mit der sachlichen Zuständigkeit ordentliche Gerichte/Arbeitsgerichte untrennbar verknüpft ist – die Klageforderung konnte nur entweder gesellschaftsrechtlicher (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 a GVG) oder arbeitsrechtlicher Natur sein (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG) –, muß die zuerst entscheidende Kammer zur gleichzeitigen Entscheidung beider Zuständigkeitsfragen befugt sein. Ihr bei dieser Sachlage hinsichtlich der Zuständigkeit ordentliche Gerichte/Arbeitsgerichte nur die Prüfungsbefugnis – die mit der Entscheidung gemäß § 102 GVG notwendig verbunden ist –, nicht auch die Entscheidungsbefugnis zuzugestehen, hätte keinen praktischen Sinn. Selbst wenn man aber der Auffassung wäre, die Zivilkammer habe verfahrensfehlerhaft beide Zuständigkeitsfragen zugleich entschieden, so wäre auch das noch kein hinreichender Grund, dessentwegen nach den für solche Fälle von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ausnahmsweise die Anfechtbarkeit eines solchen Beschlusses angenommen werden müßte (BGH, Beschl. v. 13.3.64, NJW 1964, 1416, 1418 m.w.N.).

3. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, daß der Beklagte im vorliegenden Fall die Einrede der Unzuständigkeit der ordentlichen Gerichte in erster Linie erhoben und die Verweisung an die Kammer für Handelssachen lediglich hilfsweise beantragt hat. Hierdurch kann, wie das Reichsgericht und der Bundesgerichtshof in ähnlichen Fällen des § 276 ZPO entschieden haben, kein Rechtsmittelzug hinsichtlich der in erster Linie geltend gemachten Einrede eröffnet werden, wenn das angerufene Gericht diese geprüft, für unbegründet gehalten und auf den weiteren Antrag den Rechtsstreit an den von ihm für zuständig gehaltenen Spruchkörper verwiesen hat (RGZ 108, 264, BGH, Urt. v. 15.5.1953, V ZR 111/52 – LM LVO § 3 Nr. 6); für eine Verweisung nach § 98 Abs. 1 GVG kann nichts anderes gelten.

Da somit der Verweisungsbeschluß der Zivilkammer auch hinsichtlich der Bejahung der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bindend und unanfechtbar ist, muß die dagegen eingelegte Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen und seine Revision zurückgewiesen werden.

 

Unterschriften

Stimpel, Dr. Schulze, Dr. Bauer, Dr. Kellermann, Dr. Tidow

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502401

BGHZ

BGHZ, 214

NJW 1975, 450

JR 1975, 160

Nachschlagewerk BGH

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