Leitsatz (amtlich)

a) Beauftragt der Versicherungsnehmer im Haftpflichtprozeß neben dem vom Versicherer für [korrigiert gemäß Schreibfehlerberichtigung vom 22.06.1981] sich und den Versicherungsnehmer [korrigiert gemäß Schreibfehlerberichtigung vom 22.06.1981] bestellten Prozeßbevollmächtigten einen Rechtsanwalt, so geschieht das im Zweifel nicht zur Erfüllung von Auskunftsobliegenheiten gegenüber dem Versicherer.

b) Versäumt ein Rechtsanwalt grob fahrlässig eine Rechtsmittelfrist, so folgt daraus nicht zwangsläufig der gleiche Verschuldensgrad bei einer guten Glaubens erteilten, aber unrichtigen Auskunft über die fristgerechte Einlegung des Rechtsmittels.

c) Vergleicht sich der (ursprünglich zusammen mit dem Versicherungsnehmer verklagte) Versicherer im Berufungsrechtszug des Haftpflichtprozesses mit dem Geschädigten auf eine Leistung, die geringer ist als der Betrag, den das (gegenüber dem Versicherungsnehmer rechtskräftig gewordene) Urteil des 1. Rechtszuges zugesprochen hatte, kann der Versicherer im Deckungsprozeß gegenüber dem Versicherungsnehmer nicht einwenden, dessen Haftpflichtschuld habe sich entsprechend vermindert.

 

Verfahrensgang

OLG München (Entscheidung vom 26.10.1979)

LG München II (Entscheidung vom 13.12.1978)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Revisionen der Beklagten und der Streithelfer des Klägers werden Ziff. I, 1 und 2 des Urteils des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 26. Oktober 1979 aufgehoben.

  • 2.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 13. Dezember 1978 geändert wie folgt:

    Es wird festgestellt, daß die Beklagte im Rahmen der Versicherungssumme von 1 Million Deutscher Mark dem Kläger auch insoweit Versicherungsschutz zu gewähren hat, als Frau Elfriede F. gegen ihn Ansprüche über die im Vergleich zu Protokoll des Oberlandesgerichts München vom 4. April 1979 (10 U 4261/77) vereinbarten Beträge hinaus aufgrund des Urteils des Landgerichts München II vom 11. August 1977 (10 O 2086/76) geltend macht. Im übrigen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.

  • 3.

    Die weitergehenden Revisionen werden zurückgewiesen.

  • 4.

    Die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithilfe trägt die Beklagte.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten als Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer Deckung gegenüber Schadensersatzansprüchen, die Frau Elfriede F. auf grund eines vom Kläger verursachten Verkehrsunfalles vom 5. Juli 1966 gegen ihn geltend macht.

Frau F. forderte in einem vor dem Landgericht München II (10 O 2086/76) gegen die Parteien des vorliegenden Verfahrens geführten Rechtsstreit Schadensersatz für entgangenen Arbeitsverdienst bis einschließlich März 1976 in Höhe von DM 13.500,- und ab 1. April 1976 in Form einer (unbefristeten) Rente von monatlich DM 1.500, -,

In jenem Rechtsstreit hatte der Kläger die Streithelfer mit seiner Vertretung beauftragt, obwohl die jetzige Beklagte für sich und - gemäß § 10 Ziff. 5 AKB - auch für den Kläger bereits den Rechtsanwalt Otto Wolfgang M. beauftragt hatte. Die Streithelfer bestellten sich auch dem Gericht gegenüber neben Rechtsanwalt M. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 13. Juli 1976 an die Streithelfer auf die Obliegenheit nach § 7 Ziff. II Abs. 5 AKB und die möglichen Folgen einer Obliegenheitsverletzung hin.

Das Landgericht München II hat durch Urteil vom 11. August 1977 die Parteien des vorliegenden Prozesses als Gesamtschuldner entsprechend dem Antrag der damaligen Klägerin, jedoch unter Beschränkung der Laufzeit der Rente bis zu deren 65. Lebensjahr, sowie zu 3/4 der Prozeßkosten verurteilt.

Dieses Urteil wurde dem Kläger zu Händen der Streithelfer am 7. September 1977 zugestellt. Die Streithelfer teilten dem von der Beklagten beauftragten Rechtsanwalt M. mit, sie hätten für den Kläger am 3. Oktober 1977 Berufung eingelegt. Tatsächlich ging ihre Berufungsschrift erst am 31. Oktober 1977 bei Gericht ein; sie war nach Darstellung der Streithelfer während der Autofahrt des Rechtsanwalts zum Gericht zwischen die Mittelkonsole des Kraftwagens und den Beifahrersitz gerutscht und dort erst am 31. Oktober von einem Kraftfahrzeugmechaniker aufgefunden worden.

Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist ist dem Kläger versagt und seine Berufung, die sowohl von den Streithelfern als auch - hinsichtlich des Klägers ebenfalls verspätet - am 12. Oktober 1977 durch den von der Beklagten beauftragten Rechtsanwalt M. eingelegt worden war, rechtskräftig als unzulässig verworfen worden.

Auf die (für sie) rechtzeitig eingelegte Berufung der Beklagten schlossen Frau F. und die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht München (10 U 4261/77) am 4. April 1979 folgenden Vergleich:

  • I.

    Die Beklagte zu 2) (jetzige Beklagte) zahlt zur Abfindung des Verdienstausfalls der Klägerin für die Zeit bis zum 31. März 1979 einschließlich Zinsen 54.100 DM.

  • II.

    Die Beklagte zu 2) verpflichtet sich, ab 1. April 1979 an die Klägerin eine monatliche, jeweils im voraus fällige Rente von 1.175,- DM (netto) bis zur Vollendung ihres 65. Lebensjahres zu bezahlen.

  • III.

    Die Beklagte zu 2) verpflichtet sich, die Rente jeweils in dem Zeitpunkt um denselben Prozentsatz zu erhöhen, zu dem und um den die Tarifgehälter für das Versicherungsgewerbe steigen.

  • IV.

    Die Beklagte zu 2) verpflichtet sich, die auf die Beträge zu I und II von der Klägerin zu entrichtenden Steuern zusätzlich zu ersetzen.

  • V.

    Von den Kosten des ersten Rechtszuges und des Berufungsverfahrens der Beklagten zu 2) trägt die Klägerin ein Viertel, die Beklagte zu 2) trägt drei Viertel.

  • VI.

    Mit diesem Vergleich ist der gesamte Anspruch der Klägerin auf Ersatz von Verdienstentgang auf Grund des Unfalls vom 5.7.1966 gegen die Beklagte zu 2) und, soweit diese Zahlungen leistet, auch gegen den Beklagten zu 1) (Kläger des vorliegenden Rechtsstreits) abgegolten.

  • VII.

    Weiterhgehende Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 2), insbesondere der Anspruch auf Ersatz eines Schadens in Form einer verkürzten Altersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres werden durch diesen Vergleich nicht berührt.

  • VIII.

    Die Haftung der Beklagten zu 2) beschränkt sich auf die Deckungssumme von einer Million Deutsche Mark.

  • IX.

    Weitergehende Ansprüche gegen den Beklagten zu 1) werden durch diesen Vergleich nicht berührt.

Der Haftpflichtversicherungsvertrag, aus dem der Kläger seine Ansprüche herleitet, war ursprünglich mit der N. A. V.-AG geschlossen worden. Die Beklagte ist als deren Rechtsnachfolgerin später in den Vertrag eingetreten. In einem Rechtsstreit vor dem Landgericht München II zwischen dem Kläger und der N. A. V.-AG als Rechtsvorgängerin der Beklagten in diesem Versicherungsverhältnis ist durch rechtskräftiges Urteil vom 19. Mai 1969 (9 O 236/69) festgestellt worden, daß die (damalige) Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger anläßlich des Unfalls vom 5. Juli 1966 Versicherungsschutz zu gewähren; die damalige Beklagte hatte sich auf Leistungsfreiheit wegen Erhöhung der Gefahr (abgefahrene Hinterreifen des Kraftwagens des Klägers) berufen. In jenem Rechtsstreit war die Beklagte von dem Rechtsanwalt Dr. O. und zeitweise auch von dem mit letzterem damals assoziierten Rechtsanwalt Otto Wolfgang M. vertreten worden.

Mit Schreiben vom 15. März 1978 versagte die Beklagte dem Kläger wegen Verletzung der Obliegenheit nach § 7 Ziff. II Abs. 5 AKB Versicherungsschutz "im Umfange des § 7 Ziff. 5 Abs. 3 AKB".

Der Kläger hat im vorliegenden Rechtsstreit vor dem Landgericht beantragt, zu erkennen:

Die Beklagte ist verpflichtet, Frau Elfriede F. ... alle Beträge zu bezahlen, die sich auf Grund des gegen den Kläger rechtskräftigen Urteils des Landgerichts München II ... vom 11.8.1977 ergeben.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 13. Dezember 1978 diesem Antrag stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten und nach Nebenintervention der Streithelfer des Klägers hat das Oberlandesgericht in der Hauptsache und hinsichtlich der Kosten erkannt wie folgt:

  • I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 13.12.1978 (10 O 3325/78) wie folgt abgeändert:

    • 1)

      Es wird festgestellt, daß die Beklagte an Frau Elfriede F. ... abzüglich eines Betrages von 1.000 DM ... auch die Beträge zu zahlen hat, die Frau F. über den gerichtlichen Vergleich vom 4.4.1979 ... hinaus auf Grund des gegen den Kläger rechtskräftigen Urteils des Landgerichts München II vom 11.8.1977 ... zustehen.

    • 2)

      Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

    • 3)

      Die Kosten der ersten Instanz fallen der Beklagten zur Last.

  • II.

    Die weitergehende Berufung wird als unbegründet zurückgewiesen.

  • III.

    Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger vier Fünftel, die Beklagte ein Fünftel zu tragen.

    Von den Kosten der Streithilfe tragen die Streithelfer vier Fünftel, die Beklagte ein Fünftel.

Mit ihren - zugelassenen - Revisionen verfolgen die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag, die Streithelfer des Klägers dessen Antrag auf Zurückweisung der Berufung insoweit weiter, als das Berufungsurteil aus dem angeblichen Verschulden der Streithelfer Leistungsfreiheit für die Beklagte hergeleitet hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat nur zu einem geringen Teil, die Revision der Streithelfer dagegen im wesentlichen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat die in den Vorinstanzen gestellten Hauptanträge des Klägers in Feststellungsanträge umgedeutet. Es hat ausgeführt, erkennbar habe der Kläger nicht Leistung, sondern Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten (gemeint - vgl. S. 13 des Berufungsurteils -: der Pflicht der Beklagten, Versicherungsschutz zu gewähren) begehren wollen.

Eine solche Auslegung von Klageanträgen als prozessualen Willenserklärungen ist grundsätzlich zulässig (vgl. BGH Urteil vom 27. November 1958, II ZR 90/57 = LM VVG § 12 Nr. 6). Sie war angesichts der vom Berufungsgericht hervorgehobenen Unklarheit der Anträge - die allerdings im Rahmen von § 139 ZPO hätte behoben werden können - möglich. Verfahrensrügen sind im Revisionsverfahren dazu nicht erhoben worden (§ 559 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Klage ist somit von Anfang an als Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO anzusehen.

II.

1.

Das Berufungsgericht hat - im Ergebnis zutreffend - das Rechtsschutzbedürfnis (richtig: das rechtliche Interesse des Klägers an alsbaldiger Feststellung gemäß § 256 Abs. 1 ZPO) für den ersten Rechtszug uneingeschränkt bejaht. Es hat rechtsfehlerfrei ausgeführt, die Formulierung im Schreiben der Beklagten, der Versicherungsschutz werde "im Umfang des § 7 Abs. 5 Ziff. 3 AKB" versagt, sei mangels Bezifferung zu unbestimmt gewesen, als daß der Kläger Kenntnis von dem genauen Umfang der Leistungsbereitschaft der Beklagten hätte erlangen können. Zudem habe bei dem nicht rechtskundigen Kläger der Eindruck entstehen können, die Beklagte wolle überhaupt keinen Versicherungsschutz gewähren.

2.

Mit Recht hat das Berufungsgericht für die Zeit nach Abschluß des Vergleichs vom 4. April 1979 das Feststellungsinteresse des Klägers hinsichtlich derjenigen Leistungen verneint, zu denen sich die Beklagte in jenem Vergleich verpflichtet hatte. Von diesem Zeitpunkt an stand nämlich fest, daß die Leistungsfreiheit von der Beklagten nur noch in Höhe der Differenz zwischen der durch Vergleich übernommenen Verpflichtung und dem Betrag geltend gemacht wurde, zu dem die Parteien durch das gegenüber dem jetzigen Kläger rechtskräftige Urteil des Landgerichts verurteilt worden waren. Angriffe hiergegen sind auch im Revisionsverfahren nicht erhoben worden.

Allerdings folgt aus dem fehlenden rechtlichen Interesse, daß die Feststellungsklage insoweit nicht etwa als unbegründet, sondern durch Prozeßurteil als unzulässig abzuweisen war. Das Berufungsgericht hat dies nicht ausdrücklich klargestellt. Es hat jedoch wiederholt ausgeführt, daß die Klage nicht aus sachlichen Erwägungen sondern mangels Rechtsschutzbedürfnisses insoweit abgewiesen werde. Daraus ist zu entnehmen, daß es die Klage insoweit in der Tat als unzulässig abweisen wollte. Diese Klarstellung ist nunmehr durch eine Neufassung von Ziff. I. 2 des Spruchs des angefochtenen Urteils nachzuholen.

III.

1.

Das Berufungsgericht hat eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung des Klägers in dem Verhalten des Streithelfers Rechtsanwalt Anton E. gesehen, das zur Versäumung der Berufungsfrist geführt hat; dieses Verhalten müsse sich der Kläger zurechnen lassen.

Zwar liege eine Obliegenheitsverletzung des Klägers nicht schon darin, daß er die Streithelfer neben dem von der Beklagten beauftragten Rechtsanwalt M. zusätzlich bestellte. Der Kläger sei auch nicht verpflichtet gewesen, durch die Streithelfer Berufung gegen das Urteil des Landgerichts einlegen zu lassen. Aus § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB ergebe sich aber unter anderem die Pflicht des Versicherungsnehmers zur Schadensminderung, insbesondere aber zur Unterlassung von Handlungen, die dem Interesse des Versicherers an der Schadensminderung zuwiderliefen. Eine solche Handlung liege darin, daß Rechtsanwalt E. dem von der Beklagten beauftragten Rechtsanwalt M. unrichtig mitgeteilt habe, er habe selbst am 3. Oktober 1977 Berufung für den Kläger eingelegt. Diese falsche Information, auf die sich Rechtsanwalt M. habe verlassen dürfen, sei grob fahrlässig gewesen. Sie stelle zugleich eine Obliegenheitsverletzung nach § 7 I Abs. 5 AKB dar. Diese Bestimmung sei auch dann anzuwenden, wenn ein vom Versicherungsnehmer bestellter Anwalt eine Auskunft erteilt habe, bevor sie vom Versicherer überhaupt "verlangt" worden sei. Daß der Kläger sich das Verhalten der Streithelfer anrechnen lassen müsse, folge jedenfalls aus einer entsprechenden Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB; ob das gleiche Ergebnis auch aus § 278 BGB herzuleiten sei, könne offen bleiben.

Die Leistungsfreiheit der Beklagten sei Jedoch gemäß § 242 BGB auf DM 1.000 entsprechend § 7 Ziff. V Abs. 2 Satz 1 AKB beschränkt, obwohl sich der Unfall vor Inkrafttreten der Neufassung dieser Bestimmung ereignet habe (BGH Urteil vom 22.12.1976, IV ZR 1/76 = VersR 1977, 272). Vollständige Leistungsfreiheit der Beklagten gemäß § 7 V Abs. 3 Satz 2 AKB bestehe schon deshalb nicht, weil diese Bestimmung nur für den Fall gelte, daß der Geschädigte nicht direkt den Versicherer, sondern (nur) den Versicherungsnehmer verklage; hier habe aber der Kläger von vornherein Klage gegen Versicherungsnehmer und Versicherer erhoben,

2.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Teilen nicht stand.

a)

Zutreffend hat das Berufungsgericht eine Obliegenheitsverletzung des Klägers nicht schon darin gesehen, daß dieser die Streithelfer mit seiner Vertretung beauftragte.

Allerdings ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, die Führung des Rechtsstreits dem Versicherer zu überlassen (§ 7 II Abs. 5 AKB). Die Beklagte hatte mit Rechtsanwalt M. bereits für sich selbst und den Kläger einen Prozeßbevollmächtigten bestellt. Dieser galt auch als vom Kläger bevollmächtigt (§ 10 Abs. 5 AKB); der Kläger brauchte ihm deshalb nicht gesondert Vollmacht gem. § 7 II Abs. 5 AKB zu erteilen.

Ob es grundsätzlich eine Verletzung der Obliegenheit des Versicherungsnehmers darstellt, die Prozeßführung dem Versicherer zu überlassen, wenn er neben dem vom Versicherer bereits bestellten Prozeßbevollmächtigten einen weiteren Prozeßbevollmächtigten beauftragt, ohne jedoch die Prozeßführung des Versicherers zu durchkreuzen oder zu behindern, kann hier offen bleiben.

Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, daß der von der Beklagten bestellte Rechtsanwalt M. in der gleichen Angelegenheit, nämlich in der Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und seinem Haftpflichtversicherer (der N. V.-AG als Rechtsvorgängerin der Beklagten in diesem Versicherungsverhältnis) wegen der Haftpflicht des Klägers für den Unfall vom 5. Juli 1966, bereits als Gegenanwalt des Klägers für die damals von ihm verklagte Versicherung tätig geworden war. Zwar handelt es sich nicht um den gleichen Rechtsstreit; seinerzeit hatte der Kläger seine Haftpflichtversicherung - im Ergebnis erfolgreich - auf Gewährung von Deckung verklagt, während in dem späteren Rechtsstreit die Geschädigte den jetzigen Kläger als Halter und Fahrer sowie die Beklagte als dessen Haftpflichtversicherer verklagte. Dennoch handelt es sich für den Kläger um den gleichen Komplex. Er brauchte sich aber gemäß § 242 BGB nicht einen Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigten aufnötigen zu lassen, der in der gleichen Angelegenheit, wenn auch in einem anderen Rechtsstreit Prozeßbevollmächtigter der Gegenseite war (vgl. Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung 11. Aufl. § 7 AKB Rdn. 200 m.w.N.). Es lag deshalb für ihn nahe, einen eigenen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen, wenn er nach Sachlage verständlicherweise kein Vertrauen zu Rechtsanwalt M. hatte. Keinesfalls kann darin eine grob fahrlässige Verletzung der Obliegenheit nach § 7 II Abs. 5 AKB gesehen werden.

b)

Begründete demnach die Bestellung der Streithelfer im Vorprozeß für sich allein keine Leistungsfreiheit der Beklagten, so begegnet es rechtlichen Bedenken, das Verhalten der Streithelfer, welches zur Versäumung der Berufungsfrist führte, dem Kläger als Obliegenheitsverletzung zuzurechnen.

Eine Haftung des Versicherungsnehmers für ein Verschulden seines Rechtsanwalts als Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil keine Verbindlichkeit zu erfüllen war. Für versicherungsrechtliche Obliegenheiten des Versicherungsnehmers gilt diese Bestimmung nicht (BGHZ 11, 120, 122 f., ständige Rechtsprechung, zuletzt Urteil vom 8. Januar 1981, IV a ZR 60/80 = VersR 1981, 321).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts scheidet hier auch eine Haftung des Klägers für eine falsche Auskunft der Streithelfer über den Stand des Vorprozesses analog § 166 Abs. 1 BGB aus.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen, daß der Versicherungsnehmer in entsprechender Anwendung der genannten Bestimmung bewußt falsche Angaben dritter Personen sich zurechnen lassen muß, wenn er diese Personen zur Erfüllung seiner Aufklärungsobliegenheit beauftragt hat (BGH Urteil vom 25. Oktober 1952, II ZR 24/52 = VersR 1952, 428; Urteil vom 19. Januar 1967, II ZR 37/64 = VersR 1967, 343).

So liegt dieser Fall jedoch nicht. Der Kläger hatte die Streithelfer keineswegs damit beauftragt, Obliegenheiten gegenüber der Beklagten zu erfüllen. Er hatte sie vielmehr ausschließlich für sich bestellt, um - unabhängig von dem von der Beklagten beauftragten Rechtsanwalt - seine eigenen Rechte zu wahren. Wenn die Streithelfer dennoch dem von der Beklagten bestellten Rechtsanwalt M. eine objektiv falsche Auskunft über die Einlegung der Berufung erteilt haben, so lag das nicht im Rahmen eines Auftrags des Klägers, für ihn Wissenserklärungen gegenüber der Beklagten abzugeben. Der Fall ist auch im übrigen mit denjenigen nicht vergleichbar, die den angeführten Entscheidungen zugrunde lagen.

Im übrigen würde eine Haftung des Klägers für die falsche Auskunft der Streithelfer auch daran scheitern, daß das Berufungsgericht eine grobe Fahrlässigkeit der Streithelfer bei der Auskunftserteilung nicht festgestellt hat. Rechtlich bedenklich hat es die etwaige grobe Fahrlässigkeit bei der Versäumung der Berufungsfrist ohne weitere Begründung auf die nachfolgende Auskunft über die angeblich eingelegte Berufung übertragen. Die Revision der Streithelfer weist demgegenüber mit Recht darauf hin, daß es sich hier um zwei verschiedene Vorgänge handelt. Selbst wenn das "Verlieren" der Berufungsschrift im Kraftwagen des Rechtsanwalts auf dem Wege zum Gericht grob fahrlässig war, muß der gleiche Schuldvorwurf nicht für die nachfolgende Auskunft gegenüber der Beklagten gelten. Zur groben Fahrlässigkeit gehört auch die Abwägung subjektiver, in der Individualität des Handelnden begründeter Umstände; der Handelnde muß sich über Gebote und Einsichten hinweggesetzt haben, die sich jedem aufdrängen mußten (BGHZ 10, 14, 16; BGH Urteil vom 5. Februar 1974, VI ZR 21/72 = VersR 1974, 569 m.w.N.). Zwar obliegt die Beurteilung dessen, was in gegebenem Fall "grob" ist, dem Tatrichter (BGHZ 10, 14, 17). Revisionsrechtlicher Prüfung unterliegt jedoch die Frage, ob sich der Tatrichter der rechtlichen Besonderheiten grober Fahrlässigkeit sowie der Tatsache bewußt war, daß aus grober Fahrlässigkeit bei einer vorausgegangenen Handlung nicht der gleiche Verschuldensgrad bei der Auskunft darüber folgen muß. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich hier, daß der Streithelfer Rechtsanwalt E. guten Glaubens war, die Berufung sei am 3. Oktober 1977 tatsächlich eingelegt worden. Anhaltspunkte dafür, daß ihm Tatsachen bekannt gewesen wären, die ihm Zweifel an der Richtigkeit seiner Auskunft hätten aufdrängen müssen, sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Danach liegen die Voraussetzungen grob fahrlässigen Handelns insoweit nicht vor.

c)

Daß der Kläger selbst im Zusammenhang mit der Versäumung der Berufungsfrist für ihn eine Obliegenheit gegenüber der Beklagten verletzt hätte, ist weder vom Berufungsgericht festgestellt, noch von der Beklagten geltend gemacht worden. Zutreffend weisen die Streithelfer darauf hin, daß den Kläger nicht eine Obliegenheit gegenüber der Beklagten traf, das Urteil des Landgerichts anzufechten.

d)

Demnach liegt eine dem Kläger zurechenbare wenigstens grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung nicht vor. Die Beklagte ist somit von ihrer Leistungspflicht nicht frei geworden. Sie ist im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsverhältnisses - insbesondere also bis zur Höhe der Versicherungssumme - verpflichtet, dem Kläger Deckung zu gewähren. Da das angefochtene Urteil die unstreitige Beschränkung der Haftung der Beklagten auf die Versicherungssumme von 1 Million Deutscher Mark in Ziff. I, 1 des Urteilsspruches nicht berücksichtigt hat und die Formulierung dieses Teils des Urteilsspruches auch im übrigen der Klarstellung bedarf, war sie insgesamt neu zu fassen.

3.

Es kommt für die Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer bzw. sein Repräsentant oder sein beauftragter "Wissensvertreter" eine versicherungsrechtliche Obliegenheit zur Auskunftserteilung auch dann verletzen können, wenn sie eine unrichtige Auskunft erteilen, bevor der Versicherer diese überhaupt gefordert hatte.

Es kann ferner offenbleiben, ob auch ein zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer geschlossener Prozeßvergleich entsprechend § 3 Nr. 8 PflVersG zugunsten des Versicherungsnehmers wie ein Urteil wirkt und ob ein etwa gegen die Beklagte ergangenes Urteil, das dem Vergleich entsprochen hätte, das bereits ergangene, gegen den Kläger rechtskräftige Urteil nach § 3 Nr. 8 PflVersG überhaupt berührt hätte.

Durch einen Vergleich, der im Haftpflichtprozeß über den Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer geschlossen wird, kann über Deckungsansprüche des Versicherungsnehmers nicht ohne dessen Zustimmung verfügt werden. Etwas anderes läßt sich weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck des § 3 Nr. 8 PflVersG entnehmen. Schon deshalb kann der Vergleich vom 4. April 1979 die im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Deckungsansprüche des Klägers nicht schmälern.

Die Einwendung der Beklagten, durch den Vergleich habe sich die Schuld des Klägers aus dem gegen ihn rechtskräftigen Urteil des Landgerichts vermindert, richtet sich gegen den Haftpflichtanspruch. Diese Einwendung ist dem Versicherer im Deckungsprozeß versagt.

Sollte im vorliegenden Fall die Geschädigte aufgrund des Urteils des Landgerichts vom 11. August 1977 gegen den Kläger wegen derjenigen Forderung die Zwangsvollstreckung betreiben, die über die von der Beklagten aufgrund des Vergleichs vom 4. April 1979 geschuldeten Beträge hinausgehen, so müßte die Beklagte dem Kläger auch insoweit Versicherungsschutz gewähren. Welche Einwendungen gegenüber einem solchen Zwangsvollstreckungsversuch vom Kläger gegenüber der Unfallgeschädigten eventuell erhoben werden können, kann für die Entscheidung des vorliegenden Deckungsprozesses offen bleiben.

IV.

Während die Revision der Beklagten - abgesehen von der Klarstellung der Formulierung des angefochtenen Urteils - lediglich insoweit Erfolg hat, als die Feststellung ihrer Haftung auf die Versicherungssumme von 1 Million DM zu beschränken ist, führt die Revision der Streithelfer des Klägers zur Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten auch hinsichtlich des Freibetrages von DM 1.000 gemäß § 7 V Abs. 2 Satz 1 AKB.

Zu einer Änderung der Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils bestand kein Anlaß, denn der Freibetrag von DM 1.000, mit dem der Kläger zu Unrecht belastet worden war, fällt gegenüber dem Wert der von der Beklagten an Frau F. zu zahlenden Renten (vgl. § 9. ZPO) ebensowenig ins Gewicht wie die Beschränkung der Haftung der Beklagten auf die Versicherungssumme.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018803

NJW 1981, 1952

NJW 1981, 1952-1953 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1981, 919 (Volltext mit amtl. LS)

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