Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherungsrecht. Satzung der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten. Fortbestand der Mitgliedschaft. Verknüpfung mit Anspruch auf Ruhegehalt

 

Leitsatz (amtlich)

Im Hinblick auf § 178e VVG sind die Vorschriften des § 21 Abs. 1 b) Nr. 1 und c) sowie Abs. 2 der Satzung der Krankenversorgung des Bundesbahnbeamten unwirksam, soweit danach der Verlust des Anspruchs auf Ruhegehalt das Ende der Mitgliedschaft bei der Beklagten zur Folge hat.

 

Normenkette

VVG § 178e

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 29.10.2003)

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 30.01.2002)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Frankfurt am Main v. 9.1.2003 aufgehoben und das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main v. 30.1.2002 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Kläger über den 30.4.2000 hinaus weiterhin Mitglied der Beklagten ist.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über das Fortbestehen der Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten. Der Kläger war Beamter der früheren Deutschen Bundesbahn und seit 1969 Mitglied der beklagten Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten. Diese erfüllt als Körperschaft öffentlichen Rechts auf der Grundlage ihrer Satzung und nach Maßgabe ihres Tarifs die Fürsorgepflicht in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen, die dem durch Art. 1 § 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens v. 27.12.1993 (BGBl. I, 2378) gebildeten Bundeseisenbahnvermögen (BEV) obliegt. Das BEV deckt durch pauschale Zuschüsse den Finanzbedarf der Beklagten zu gegenwärtig etwa 75 %; daneben erhebt die Beklagte Beiträge von ihren Mitgliedern.

Durch rechtskräftiges Urteil des BVerwG v. 11.4.2000 wurde dem Kläger aus disziplinarischen Gründen das Ruhegehalt aberkannt; auf der Grundlage der Bundesdisziplinarordnung (BDO) wurde ihm befristet ein Unterhaltsbeitrag zugebilligt. Deshalb teilte die Beklagte dem Kläger mit, seine Mitgliedschaft bei ihr habe zum 30.4.2000 geendet. Sie beruft sich auf § 21 ihrer Satzung, in dem es heißt:

1 - Die Mitgliedschaft endet

a) ...

b) durch Ausscheiden des Mitgliedes aus dem Dienst des BEV

1. bei Beamten, sofern sie weder Ruhegehalt noch sonstige Versorgungsbezüge durch das BEV erhalten (s.a. Abs. 2),

....

c) durch Verlust des Anspruchs des Mitglieds auf Bezüge, Ruhegehalt oder sonstige Versorgungsbezüge, Witwen- oder Witwergeld mit dem letzten Tage des Bezuges (s.a. Abs. 2); ...

....

2 - Unterhaltsbeitrag nach der BDO, Gnadenunterhaltsbeitrag oder Übergangsgeld nach § 47 BeamtVG gelten nicht als Ruhegehalt oder sonstige Versorgungsbezüge i. S. v. Abs. 1b Ziff. 1 und 1c.

Mit Schreiben v. 5. und 6.6.2000 verlangte der Kläger vergeblich die Fortsetzung der Krankenversicherung durch die Beklagte. Er trägt vor, wegen seines Alters und seiner Vorerkrankungen sei ihm der Neuabschluss einer privaten Krankenversicherung nicht zuzumuten; er habe Angebote zu monatlichen Beiträgen von 2.500 bis 2.900 DM erhalten, die seinen vom Dienstherrn vorläufig gezahlten Unterhaltsbeitrag oder eine eventuelle Erwerbsunfähigkeitsrente überstiegen. Der Weg in die gesetzliche Krankenversicherung sei ihm versperrt, weil er weder sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer noch Rentner sei. Die Beklagte sei jedoch nach § 178e VVG verpflichtet, den Versicherungsschutz im Rahmen ihrer Tarife, d. h. gegen entsprechenden Beitragszuschlag, so anzupassen, dass der weggefallene Beihilfeanspruch ausgeglichen werde. Soweit die Satzung dem entgegenstehe, sei sie nichtig. Deshalb hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihrer ablehnenden Bescheide zur Fortsetzung der Krankenversicherung über den 30.4.2000 hinaus zu verpflichten, hilfsweise festzustellen, dass der Kläger über den 30.4.2000 hinaus weiterhin Mitglied der Beklagten ist. Diese vertritt den Standpunkt, sie müsse nicht leisten, weil auch der Dienstherr, dessen Verpflichtungen sie übernommen habe, wegen eines Dienstvergehens keine Fürsorgeleistungen mehr zu erbringen habe. Sie sei weder eine private noch eine gesetzliche Krankenversicherung.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Der Kläger ist Mitglied der Beklagten geblieben.

1. Das Berufungsgericht geht zunächst zutreffend von einem privatrechtlichen Vertrag zwischen den Parteien aus (vgl. BGH, Urt. v. 5.2.1981 - IVa ZR 50/80, MDR 1981, 477 = NJW 1981, 2005 unter I); die Satzungsbestimmungen der Beklagten unterliegen als Allgemeine Geschäftsbedingungen der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG/§ 307 BGB (vgl. BGH v. 16.3.1988 - IVa ZR 154/87, BGHZ 103, 370 [383] = MDR 1988, 761).

Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte zwar als betriebliche Sozialeinrichtung des BEV dessen Verpflichtungen aus § 79 BBG zu erfüllen; damit stimme das in § 21 der Satzung vorgesehene Ende der Mitgliedschaft bei einem Verlust des Anspruchs auf Bezüge oder Ruhegehalt aber überein, weil mit dem Beamtenstatus auch der Fürsorgeanspruch gegen den Dienstherrn verloren gehe. Da die Beklagte vom Dienstherrn keine Zuschüsse mehr für den Kläger erhalte, verstoße die Beendigung seiner Mitgliedschaft auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sei nicht verletzt, weil dem Kläger und seiner Familie in Krankheitsfällen immerhin Sozialhilfe zustehe.

Der Kläger könne sich zur Begründung seines Anspruchs auch nicht auf die entsprechende Anwendung von § 178e VVG stützen. Die Beklagte sei mit einem privaten Krankenversicherer nicht vergleichbar. Das BEV bediene sich der Beklagten im Rahmen zulässigen Ermessens zur Erfüllung seiner Fürsorgepflicht. Soweit die zu diesem Zweck vom BEV pauschal an die Beklagte gezahlten Zuschüsse die entstandenen Aufwendungen nicht decken, bleibe den Mitgliedern der Beklagten nicht etwa wie anderen Beamten, die Leistungen nach den Beihilfevorschriften des Bundes erhalten, selbst überlassen, sich (einkommensunabhängig) privat zu versichern. Vielmehr erhebe die Beklagte von ihren Mitgliedern nach Besoldungs- und Vergütungsgruppen gestaffelte Beiträge, aus denen die von den Zuschüssen des Dienstherrn nicht gedeckten Leistungen der Beklagten finanziert werden. Dieses einheitliche Krankenversicherungssystem der Beklagten könne nicht in einen der Beihilfe und einen anderen, der privaten Krankenversicherung entsprechenden Teil aufgespalten werden, um auf Letzteren § 178e VVG anzuwenden. Der Kläger habe seinen Versicherungsschutz bei der Beklagten aus eigenem Verschulden verloren und nicht etwa deshalb, weil er ohne Erfolg in die gesetzliche Krankenversicherung habe wechseln wollen; deshalb sei die Beklagte auch nicht verpflichtet, den Kläger nach § 5 Abs. 10 SGB V wieder aufzunehmen.

2. Die Satzung der Beklagten ist, soweit sie an den Verlust des Ruhegehalts in jedem Fall das Ende der Mitgliedschaft bei der Beklagten knüpft, nach § 9 AGBG unwirksam. Sie benachteiligt den Kläger unangemessen, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken des auf Mitglieder der Beklagten entsprechend anzuwendenden § 178e VVG nicht vereinbar ist.

a) Die Vorschrift gibt dem privat Krankenversicherten (mit Beihilfeberechtigung nach den Grundsätzen des öffentlichen Dienstes) einen Anspruch auf Anpassung des Versicherungsschutzes im Rahmen der bei seinem Versicherer bestehenden Krankheitskostentarife, so dass ein veränderter Beihilfebemessungssatz, aber auch ein weggefallener Beihilfeanspruch ausgeglichen werden. Hat der Beihilfeberechtigte auf ergänzenden privaten Versicherungsschutz völlig verzichtet, wird er von § 178e VVG allerdings nicht geschützt (Präve, VersR 1998, 397; Hohlfeld, Berliner Kommentar zum VVG, § 178e Rz. 2). In allen anderen Fällen schafft § 178e VVG einen zeitlich auf zwei Monate nach Änderung der Beihilfeberechtigung befristeten Anspruch auf Vertragsaufstockung. Diese Regelung ist nach Auffassung des Gesetzgebers notwendig, um das Interesse im öffentlichen Dienst stehender Versicherter an einer vollen Deckung der dem Grunde nach beihilfefähigen Aufwendungen im Krankheitsfall zu sichern (BR-Drucks. 23/94, 314; BT-Drucks. 12/6959, 105). Auf diese Weise sollen unzumutbare Prämien im Fall eines Neuabschlusses von Versicherungsverträgen vermieden werden. Die Regelung entspricht, auch soweit es um den Versicherungsschutz bei vollständigem Wegfall des Beihilfeanspruchs etwa wegen Ausscheidens aus dem öffentlichen Dienst geht, der vor ihrem In-Kraft-Treten geübten Praxis (vgl. OLG Köln v. 2.4.1987 - 5 U 202/86, VersR 1988, 285), die nach der Reform des Versicherungsaufsichtsrechts im Jahre 1994 durch § 178e VVG gesetzlich festgeschrieben worden ist (Renger, VersR 1993, 678 [681]; Präve, VersR 1998, 397 [400]). Auf Grund seiner Schutzfunktion ist § 178e VVG zu Gunsten der Versicherten zwingend (§ 178o VVG). Der hinter dieser Vorschrift stehende Gedanke findet auch in § 5 Abs. 10 SGB V Ausdruck. Danach ist, wenn der Versicherungsnehmer den Krankenversicherungsvertrag kündigt, der private Krankenversicherer zum erneuten Abschluss eines Versicherungsvertrages ohne Risikoprüfung zu den bisher geltenden Tarifbedingungen verpflichtet, wenn der vom Versicherungsnehmer geplante Wechsel in eine gesetzliche Krankenversicherung nicht zu Stande kommt und er damit Gefahr läuft, Krankenversicherungsschutz zu zumutbaren Bedingungen zu verlieren (vgl. BT-Drucks. 14/1245, 59; Hauck/Haines/Gerlach, SGB V, K § 5 Rz. 502 f.; Wannagat/Eichenhofer/Wollenschläger, § 5 SGB V Rz. 129 f.).

b) Mit Recht macht die Revision geltend, dass das besondere Krankenversorgungssystem der Beklagten von dem durch § 178e VVG gewährleisteten Schutz nicht ausgenommen werden kann. Dass es in den Gesetzesmaterialien zu dieser Vorschrift nicht erwähnt wird (vgl. insbesondere BT-Drucks. 12/6959, 12/7595), steht seiner Einbeziehung nicht entgegen, sondern spricht dafür, dass es übersehen wurde. Der vom Gesetzgeber mit § 178e VVG verfolgte Zweck, das Interesse der im öffentlichen Dienst stehenden Versicherten an einer vollen Deckung ihrer Krankheitskosten auch dann zu gewährleisten, wenn sich die Beihilfe verringert oder ganz wegfällt, trifft auf die Mitglieder der Beklagten in gleicher Weise zu: Sie gehören zum öffentlichen Dienst, empfangen über die Mitgliedschaft bei der Beklagten die Fürsorgeleistungen ihres Dienstherrn, darüber hinaus aber für die durch den pauschalen Zuschuss des Dienstherrn nicht gedeckten Aufwendungen erhebliche weitere, von der Beklagten durch das Beitragsaufkommen finanzierte Leistungen. Damit kann die Beklagte insgesamt etwa 90 % der Aufwendungen erstatten, so dass für ihre Mitglieder im Allgemeinen kein Anlass besteht, zusätzlich eine private Krankenversicherung abzuschließen.

Zwar beschränkt sich der Anteil dieser durch Beiträge finanzierten Leistungen auf etwa 25 % der Gesamtleistungen der Beklagten; die Beiträge sind auch ungeachtet der lediglich am Bedarf ausgerichteten Leistungen nach Besoldungs- und Vergütungsgruppen gestaffelt. Gleichwohl bietet die Beklagte auf diesem Wege gegen Entgelt einen ergänzenden Schutz vor den Folgen ungewisser Ereignisse auf der Grundlage eines Risikoausgleichs unter der Vielzahl ihrer durch die gleiche Gefahr bedrohten Mitglieder; sie orientiert sich insofern jedenfalls zum Teil an den für eine Versicherung typischen Prinzipien (zu Letzteren vgl. BVerwG v. 12.5.1992 - 1 A 126/89, NJW 1992, 2978). Ungeachtet der Frage, ob die Beklagte generell wie ein privater Krankenversicherer zu behandeln ist, erfüllt sie jedenfalls für die Beamten der ehemaligen Deutschen Bundesbahn traditionell aus einer Hand nicht nur die Aufgaben der Beihilfe, sondern gerade auch einer gemeinschaftlichen Eigenvorsorge für die von der Beihilfe nicht gedeckten Aufwendungen mit Hilfe von Beiträgen der Mitglieder. Im Hinblick darauf können die Mitglieder der Beklagten nicht etwa Beihilfeberechtigten gleichgestellt werden, die auf eine private Krankenversicherung für die von der Beihilfe nicht gedeckten Aufwendungen völlig verzichtet haben. Beide Aufgaben der Beklagten stehen auch nicht in untrennbarem Zusammenhang: Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass die Satzung der Beklagten eine Reihe von Fällen kennt, in denen Mitglieder Leistungen erhalten, auch wenn ihnen kein Fürsorgeanspruch gegen das BEV mehr zusteht. In diesen Fällen setzt das BEV jährlich im Voraus einen Zuschlag des Mitglieds zu den Beiträgen fest, durch den der fehlende Fürsorgeanspruch abgegolten wird (§ 28 Abs. 2 der Satzung). Mithin bleibt das Begehren des Klägers auch im Rahmen des bei der Beklagten Versicherbaren.

Danach ist § 178e VVG seinem Zweck nach jedenfalls entsprechend auf die Mitglieder der Beklagten anzuwenden. Deren Interesse an einer weiterhin (mit rund 90 % so gut wie) vollen Deckung ihrer Krankheitskosten trotz Verringerung oder Wegfalls von Fürsorgeleistungen des Dienstherrn ist nicht weniger schutzwürdig als das anderer Angehöriger des öffentlichen Dienstes. Die Eigenständigkeit der Fürsorgegewährung durch die Beklagte mit ihren Unterschieden im Einzelnen gegenüber der für andere Angehörige des öffentlichen Dienstes geltenden Beihilferegelung (dazu vgl. BGHZ 19, 348 [354]) rechtfertigt es nicht, die Mitglieder der Beklagten vom Schutz des § 178e VVG auszunehmen. Die Regelungen des § 178e VVG und des § 5 Abs. 10 SGB V stellen im Übrigen nicht darauf ab, ob der Versicherte schuldlos in die Verlegenheit geraten ist, seinen privaten Krankenversicherungsschutz erweitern oder erneuern zu müssen. Anders als die Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst hängt die zur Daseinsvorsorge notwendige Krankenversorgung nicht davon ab, dass der Berechtigte seine Dienstpflichten nicht verletzt.

c) Dem trägt § 21 Abs. 1 Buchst. b Nr. 1, Buchst. c und Abs. 2 der Satzung der Beklagten nicht Rechnung. Soweit dort die Beendigung der Mitgliedschaft mit der Folge eines Ausschlusses auch von der beitragsfinanzierten Krankenversorgung in Fällen vorgesehen ist, in denen der Anspruch auf Bezüge oder Ruhegehalt aus disziplinarischen Gründen verloren geht oder nur noch ein Unterhaltsbeitrag nach der BDO geleistet wird, ist die Regelung mit wesentlichen Grundgedanken des § 178e VVG unvereinbar und daher unwirksam (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG).

Über die Höhe der vom Kläger nach vollständigem Wegfall seines Fürsorgeanspruchs zu entrichtenden Beiträge ist hier nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1077158

BGHR 2004, 153

NJW-RR 2004, 239

NVwZ-RR 2004, 516

DÖD 2004, 107

MDR 2004, 210

VersR 2004, 58

IVH 2004, 6

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