Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßigkeit einer freiwilligen Sterilisation

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Arzt, der eine 34jährige Frau und Mutter von 3 Kindern unfruchtbar macht, wenn sie das wünscht, weil sie keine weiteren Kinder haben will, handelt nicht rechtswidrig.

 

Orientierungssatz

1. Der Einwilligung des Ehegatten der zu sterilisierenden Person bedarf es nicht.

2. Das Einverständnis des Patienten kann auch in mündlicher Form erklärt werden.

3. Zur ärztlichen Aufklärung über Bedeutung und Tragweite des Eingriffs.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1 Fassung 1949-05-23; BGB § 823 Abs. 1 Fassung 1896-08-18

 

Tatbestand

Der Beklagte entband am 2. Mai 1971 in der von ihm geführten Frauenklinik in H. die damals 34-jährige Klägerin mittels Kaiserschnitt von ihrem dritten Kind. Bei diesem Eingriff machte er die Klägerin unfruchtbar, indem er ihre Eileiter unterband (Tubenligatur). Er hatte mit ihr die Frage, ob eine Sterilisation bei der Geburt des dritten Kindes vorgenommen werden sollte, bereits bei den Schwangerschaftsuntersuchungen erörtert.

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten mit ihrer Klage ein angemessenes Schmerzensgeld. Sie behauptet, sie habe die von dem Beklagten vorgeschlagene Sterilisation, die aus medizinischen Gründen nicht erforderlich gewesen sei, ausdrücklich abgelehnt; von der Vornahme der Sterilisation, über deren Folgen sie der Beklagte im übrigen nicht ausreichend aufgeklärt habe, habe sie erst nach dem Eingriff erfahren. Seitdem leide sie an Depressionen.

Der Beklagte ist dem Vorbringen entgegengetreten. Nach seiner Behauptung hat die Klägerin den Eingriff ausdrücklich gewünscht, weil sie nicht noch ein weiteres Kind haben wolle.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Nach Ansicht des Berufungsgerichts steht der Klägerin ein Schmerzensgeld nicht zu, weil sie in die Sterilisation eingewilligt habe und diese Einwilligung wirksam sei.

Das Berufungsgericht geht dabei davon aus, daß auch der ärztliche Eingriff in die körperliche Integrität tatbestandsmäßig eine Körperverletzung iS von § 823 Abs 1 BGB darstellt, für deren Rechtmäßigkeit es auf besondere Rechtfertigungsgründe ankommt. Diesen Standpunkt hat der Bundesgerichtshof seit jeher selbst für Heilbehandlungen vertreten (BGHZ 29, 46; 29, 176; Senatsurteile vom 22. Juni 1971 - VI ZR 230/69 = VersR 1971, 929 mwNachw; vom 12. Februar 1974 - VI ZR 141/72 = NJW 1974, 1422 = VersR 1974, 752); er gilt umso mehr hier, wo es nicht um einen ärztlichen Eingriff zu Heilzwecken, sondern um eine Unfruchtbarmachung geht, die medizinisch nicht indiziert war, wie mangels anderer Feststellungen des Berufungsgerichts für das Revisionsverfahren jedenfalls zu unterstellen ist.

I.

Zu Recht vertritt das Berufungsgericht die Auffassung, daß die Klägerin - eingehende Aufklärung über die Bedeutung und die Risiken der Tubenligatur durch den Beklagten vorausgesetzt (dazu unter II) - durch Einwilligung dem Eingriff die Rechtswidrigkeit nehmen konnte. Ein Arzt, der eine 34-jährige Frau und Mutter von drei Kindern unfruchtbar macht, wenn sie das wünscht, weil sie keine weiteren Kinder haben will, handelt nicht rechtswidrig.

1. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Sterilisation hat sich an dem allgemeinen Grundsatz zu orientieren, daß jeder selbst darüber bestimmen kann, ob er einen ärztlichen Eingriff an sich vornehmen lassen will, ein Grundsatz, der nur dann eine Ausnahme erleidet, wenn der Eingriff trotz seiner Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Das folgt aus dem Grundrecht der Persönlichkeit und ihrer Entfaltung in Selbstbestimmung und Freiheit (Art 1, 2 Abs 1 GG). Ob § 226a StGB, der ebenfalls von diesem Grundsatz ausgeht, bei der strafrechtlichen Beurteilung einer freiwilligen Sterilisation deshalb nicht anzuwenden ist, weil solcher Eingriff seit Aufhebung des § 226b StGB durch den Kontrollrat im Jahre 1946 nicht mehr unter Strafe steht, wie der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in BGHSt 20, 81 angenommen hat, berührt hier nicht; auf die Strafwürdigkeit der freiwilligen Sterilisation kommt es hier nicht an. Weitergehende gesetzliche Einschränkungen der freiwilligen Sterilisation bestehen gegenwärtig nicht; sie lassen sich insbesondere nicht aus § 14 Abs 1 des Erbgesundheitsgesetzes vom 14. Juli 1933 - RGBl I 529 - idF vom 26. Juni 1935 - RGBl I 773 - entnehmen, sofern man von der (wenigstens partiellen) Fortgeltung dieser Norm ausgeht (vgl BGBl III Nr 453 - 6). Nach heutigem Verständnis verbietet diese Vorschrift freiwillige Sterilisationen, seien sie auch aus anderen als aus medizinischen Gründen vorgenommen, nicht (vgl Schönke/Schröder StGB, 18. Aufl § 226a Rdnr 12; Hanack, die strafrechtliche Zulässigkeit künstlicher Unfruchtbarmachung, 1959 S 71, 95; Schwalm in Mergen, Die juristische Problematik in der Medizin 1971, Bd III S 205 mwNachw; Urbanczyk NJW 1974, 425). Eine Regelung der freiwilligen Sterilisation hat der Regierungsentwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BT-Drucks VI/3434) vorgeschlagen; er sieht vor, die freiwillige Sterilisation von Personen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, strafrechtlich freizugeben und sie für Personen unter 25 Jahren an Beschränkungen (entweder medizinische oder genetische Indikation oder Vorhandensein von 4 Kindern, außerdem Beratung durch eine Beraterstelle) zu knüpfen. Doch ist dieser Entwurf bisher nicht Gesetz geworden.

2. Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden verletzt die freiwillige Sterilisation nicht die Grundvorstellungen von dem, was nach den herrschenden Anschauungen unseres Rechtskreises und Kulturkreises innerhalb der sozialen Gemeinschaft vom Einzelnen an sittlichem Verhalten verlangt wird. Daher kann auch nicht gesagt werden, daß die Einwilligung der Klägerin, wollte man auf sie die Bestimmung des § 138 BGB analog anwenden (vgl dazu BGHZ 29, 33, 36) nichtig wäre.

a) Nach den herrschenden Moralvorstellungen ist weder Empfängnisverhütung als solche noch ärztliche Mithilfe dazu verwerflich. Im Gegenteil wird die freie Entscheidung für oder gegen eine Elternschaft als Möglichkeit zu einer humaneren Lebensführung verstanden. Das entspricht der Wertordnung unserer Verfassung, die der Einzelpersönlichkeit für diesen innersten Bereich der Lebensverwirklichung einen Freiheitsraum gewährt, zu dem die Gemeinschaft keinen Zugang hat, sei es auch nur in der Form der moralischen Kritik. Die sittlichen Werte von Ehe und Familie werden - jedenfalls nach den hier maßgebenden Moralvorstellungen - durch solche Entscheidungsfreiheit nicht angetastet.

b) Freilich bedeutet Sterilisation mehr als ein Mittel zur (dauernden) Empfängnisverhütung. Der Eingriff in die Fortpflanzungsfähigkeit läßt sich in der Regel nicht wieder rückgängig machen; mit seiner Einwilligung begibt sich der Betroffene durchweg der Möglichkeit, sich später für Kinder entscheiden zu können. Die Sterilisation betrifft so die Persönlichkeit in ihren Grundlagen; sie kann, je nach dem Gewicht der Fortpflanzungsfähigkeit für die Einzelperson nach Lebensalter und nach der Gestaltung seines Lebens sowie der Konfliktsituation, in die sie ihn stellt, zu einer erheblichen Verkürzung seiner Selbstverwirklichung führen, um deretwillen ihm gerade Entscheidungsfreiheit gewährleistet ist.

aa) Infolge dieser Problematik ist die Zulässigkeit der freiwilligen Sterilisation umstritten. Die Lehrmeinungen der Kirchen lehnen sie im Grundsatz ab. Der Deutsche Ärztetag hat sich 1970 und 1976 in Entschließungen dafür ausgesprochen, die Sterilisation nur aus medizinischen, genetischen oder schwerwiegenden sozialen Gründen zuzulassen (vgl Rieger DMedW 1973, 1781 sowie § 6 der Berufsordnung für die deutschen Ärzte - ÄrztlMitt 1976, 1543). Im strafrechtlichen Schrifttum will eine Mindermeinung ihre sittliche Rechtfertigung (§ 226a StGB) schon dann verneinen, wenn sie nicht aus medizinischer, genetischer (eugenischer) oder kriminologischer Indikation, sondern aus sozialen Rücksichten, mögen diese auch mit erheblichem Gewicht gegen weitere Nachkommenschaft sprechen, vorgenommen wird (vgl Hanack, aaO S 230ff; derselbe JZ 1974, 393ff; Schönke/Schröder aaO Rdnr 20 mwNachw). Größer ist die Zahl der Autoren, die die Zulässigkeit einer Sterilisation jedenfalls über die Fälle einer sozialen oder einer sonstigen "vernünftigen", "ernstzunehmenden" Indikation hinaus als sog "Gefälligkeitssterilisation" in Zweifel ziehen (vgl W Becker Med Klinik 1972, 551, 553; Hirsch ZStrW Bd 83 (1971), 140ff, 170ff; wohl weitergehend in LK 9. Aufl § 226a Rdnr 31; Hartwig GoltdArch 1964, 289, 299; Dürig in Maunz/Dürig/Herzog GG 3. Aufl Art 2 III Rdnr 33; Noll ZStrW Bd 77 (1965), 1, 25; Engisch in: Festschrift für Hellmuth Mayer 1965, 399, 414; Koffka in: Ehrengabe für Heusinger 1968, 355, 358, 360; Schwalm aaO S 236, 241ff). Demgegenüber ist eine Meinung im Vordringen, die die freiwillige Sterilisation von diesen Indikationsregelungen gelöst sehen möchte (vgl BT-Drucks VI/3434 S 38; Roxin JuS 1964, 373, 380ff; derselbe, Niedersächsisches Ärzteblatt 1965 Nr 6; Gesenius Med Klinik 1971, 1700; Bockelmann, Strafrecht des Arztes 1968, 53/54; Klug in: Festgabe für Ernst von Hippel 1965, 148ff, 157ff; Urbanczyk aaO; Adolf Arndt NJW 1973, 848ff; Wulfhorst NJW 1967, 649ff).

bb) Bereits die Diskussion um die freiwillige Sterilisation, die vor allem durch die erwähnte Entscheidung in BGHSt 20, 81ff vom 20. Oktober 1964 belebt worden ist, zeigt, daß in unserer Gesellschaft eine gesicherte Grundlage für ein sittliches Verdikt über eine freiwillige Sterilisation, die nicht schon genetisch (eugenisch), kriminologisch oder medizinisch indiziert ist, nicht besteht. Deshalb wurde die Entscheidung in BGHSt 20, 81ff, mit der ein Arzt, der Frauen vorwiegend aus anderen als den genannten Gründen auf ihren Wunsch sterilisiert hatte, aus Rechtsgründen freigesprochen worden ist, bei aller Kritik an ihrer rechtlichen Begründung im Ergebnis durchweg begrüßt. Seit diesem Urteil werden, soweit bekannt, freiwillige Sterilisationen strafrechtlich nicht mehr verfolgt. Daß sie an Zahl zunehmen und daß sie ua auch aus anderen Gründen als den genannten, insbesondere bei erfülltem Kinderwunsch vorgenommen und ihre Ergebnisse diskutiert werden, nimmt die Öffentlichkeit zur Kenntnis, ohne daran Anstoß zu nehmen (vgl Darge, DÄrzteBl 1974, 701ff; W Becker aaO; Hirsch ZStrW Bd 83 (1971), 140, 170).

cc) Auch die Wechselwirkungen der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung mit der Sittenordnung dürfen nicht außer Betracht bleiben, wenn es darum geht, ob die Gerichte solcher Entscheidung aus dem innersten Bereich der Persönlichkeit aus Gründen der Sittlichkeit Beachtung zu versagen haben. Die Verfassung legt der staatlichen Gemeinschaft gegenüber Entscheidungen aus diesem Bereich Toleranz und Zurückhaltung auf. Deshalb ist für die Beurteilung, inwieweit die Gesellschaftsordnung die mit der Sterilisation verbundene Verkürzung der Persönlichkeit des Einzelnen hinzunehmen hat, der Entscheidungsfreiheit des Betroffenen, die auch das Risiko des "unrichtigen Gebrauchs" zum Nachteil der eigenen Interessen mit umfaßt, besonderes Gewicht einzuräumen. Sie muß abgewogen werden mit dem, was der Betroffene durch den irreversiblen Verzicht auf seine Fortpflanzungsfähigkeit an Persönlichkeit aufgibt; das Ergebnis solcher Abwägung kann nach Lebensalter und jeweiliger Lebensgestaltung verschieden ausfallen. Ist aufgrund dieser objektiven Kriterien ein Verstoß gegen die guten Sitten nicht festzustellen, dann kann auch der Beweggrund, der dem Wunsch nach Sterilisation zugrundeliegt, ein sittliches Verdikt nicht rechtfertigen. Wo es um Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geht, muß die Rangordnung in der Motivation zunächst der Einzelpersönlichkeit überlassen bleiben; dies gilt umso mehr, als dem Arzt nicht zugemutet werden kann, den Gründen für den Entschluß im einzelnen nachzugehen und sie auf ihre Berechtigung zu überprüfen. Andererseits darf nicht aus den Augen gelassen werden, daß die Verfassung dem Einzelnen das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit insoweit nicht gewährt, als er gegen das Sittengesetz verstoßen würde (Art 2 Abs 1 GG).

3. Wann eine freiwillige Sterilisation, die weder medizinisch, kriminologisch oder genetisch noch sozial indiziert ist, aufgrund solcher Abwägung zu mißbilligen ist, muß, solange es an einer verbindlichen Entscheidung des Gesetzgebers fehlt, der Entscheidung des Einzelfalls vorbehalten bleiben. Die Rechtsprechung kann im gegenwärtigen Zeitpunkt Grundsätze allenfalls nach Fallgruppen an die Hand geben. Jedenfalls bei einer Frau, die wie die Klägerin im Zeitpunkt des Eingriffs mit 34 Jahren die Mitte des Lebens erreicht hat, seit ihrem 27. Lebensjahr Mutter ist und vor der Geburt ihres 3. Kindes steht, kann unbedenklich angenommen werden, daß sie soviel Lebenseinsicht in die Bedeutung der Mutterschaft für das eigene Lebensschicksal und das ihrer Ehe und Familie hat, um diese Entscheidung selbstverantwortlich treffen zu können. Jedenfalls in diesem Lebensabschnitt und bei dieser Lebensgestaltung haben sich bereits weitgehend die Möglichkeiten, die in der Fortpflanzungsfähigkeit der Frau für die Entfaltung ihrer Persönlichkeit liegen, verwirklicht. Der freiwillige, irreversible Verzicht auf sie verkürzt die Persönlichkeit der Klägerin nicht derart, daß dies für die Sittenordnung nicht mehr tragbar wäre. In solchen Fällen kann der Arzt - eingehende Aufklärung über Bedeutung und Folgen der Sterilisation vorausgesetzt - davon ausgehen, daß die Entscheidung der Betroffenen sittliche Geltung beanspruchen kann. Ebensowenig kann anerkannt werden, daß der Arzt, wenn er auf dieser Grundlage eine Sterilisation nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchführt, ungeachtet der Einwilligung der Betroffenen gegen die guten Sitten verstieße. Freilich muß er sich der mit dem Eingriff übernommenen Verantwortung bewußt sein und alle Umstände bedenken, die aus ärztlicher Sicht im Einzelfall für und gegen einen solchen Eingriff sprechen, wobei auch die künftige psychische Gesundheit seiner Patienten eine Rolle spielen wird. Er sollte in jedem Einzelfall bedenken, ob ein derart endgültiger Eingriff angesichts der Lebensverhältnisse der Betroffenen verantwortet und ob nicht ein weniger schwerwiegender Weg beschritten werden kann. Die Sittenordnung fordert jedoch von ihm nicht, daß er der Frau den Wunsch, sterilisiert zu werden, unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen abschlägt.

4. Zu Recht hält das Berufungsgericht den Eingriff nicht schon deshalb für rechtswidrig, weil sich der Beklagte nicht auch der Einwilligung des Ehemanns der Klägerin versichert hat.

Gegenüber der Entscheidung des seine Sterilisation Wünschenden müssen, falls er verheiratet ist, etwa entgegenstehende Wünsche und Interessen seines Ehegatten zurücktreten. Solche Entscheidung trifft jeder kraft eigener Selbstbestimmung für sich. Daß sich der Betroffene uU mit seiner Entschließung dem Vorwurf einer Eheverfehlung aussetzt, muß er mit sich selbst abmachen; es ist jedenfalls im Grundsatz nicht Sache des Arztes, solches zu verhindern. Allerdings entspricht es gutem ärztlichem Brauch, den Ehegatten zu befragen und sich bei dessen Weigerung - je nach den von ihm ins Feld geführten Gründen - zurückzuhalten. Ob sich der Arzt einem sittlichen Vorwurf aussetzt, wenn er den Eingriff vornimmt, obwohl er weiß, daß der Ehepartner dem widersprochen hat und die künftige Lebensführung des Sterilisierten somit zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sein wird, kann im vorliegenden Fall auf sich beruhen. Hier konnte der Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts davon ausgehen, daß die Klägerin ihr Vorhaben, so wie sie es dem Beklagten gesagt hatte, eingehend mit ihrem Ehemann besprochen hatte und von dieser Seite Einwände gegen die Sterilisation nicht bestanden.

5. Ist demnach die Sittenwidrigkeit einer mit Einwilligung des Betroffenen nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführten Sterilisation in einem Fall wie dem vorliegenden zu verneinen, so stellt sich die Frage nicht, ob sich die Klägerin nicht jedenfalls unter Verstoß gegen Treu und Glauben in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten setzen würde, wenn sie sich zur Begründung ihres Schmerzensgeldanspruchs auf die Sittenwidrigkeit eines ärztlichen Eingriffs beruft, den sie selbst gewünscht und veranlaßt hat.

II.

Wie oben wiederholt hervorgehoben, ist für die Rechtmäßigkeit einer Sterilisation selbstverständlich Voraussetzung, daß die Einwilligung der Betroffenen vorliegt, und diese, soll sie rechtswirksam sein, in Kenntnis ihrer vollen Tragweite erklärt worden ist. Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision ohne Rechtsfehler bejaht.

1. Die Klägerin hatte zwar den in der Praxis des Beklagten für die Bestätigung der Einwilligung in solche Eingriffe sonst üblichen Vordruck nicht unterschrieben. Dafür gab es jedoch, wie das Berufungsgericht feststellt, eine einleuchtende Erklärung: Die Entbindung der Klägerin, bei der der Eingriff zusammen mit einem Kaiserschnitt vorgenommen werden sollte, erfolgte früher als geplant; zu der vorgesehenen Unterschrift unter dem Vordruck ist es in der Eile nicht mehr gekommen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin jedoch während der vorangegangenen Schwangerschaftsuntersuchungen wiederholt den Wunsch nach einer Tubenligatur geäußert und noch bei der letzten Untersuchung auf dem Eingriff bestanden. Noch bei ihrer Entbindung hat sie der Hebamme erklärt, der Beklagte habe ihr versprochen, gleichzeitig mit einem Kaiserschnitt, der sonst nicht notwendig gewesen wäre, einen Eingriff vorzunehmen, denn sie wolle keine Kinder mehr haben und "habe jetzt ihre Pflicht getan".

a) Solch mündlich erklärtes Einverständnis in die Sterilisation genügt; es braucht nicht schriftlich vorzuliegen, wenn letzteres auch dem Arzt aus Beweisgründen anzuraten ist. Der Schriftform der Einverständniserklärung bedarf es entgegen dem Standpunkt der Revision nicht, um die Betroffene vor übereilten Entschlüssen zu bewahren; diese Vorsorge ist der Beratung vorbehalten, die der Arzt seinem Patienten zu gewähren hat. Diese ist, ebenso wie die Verständigung über den sie betreffenden Wunsch des Betroffenen, von dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten bestimmt und darf nicht von Rechts wegen durch rechtsgeschäftliche Formen belastet werden (vgl Senatsurteil vom 28. November 1972 - VI ZR 133/71 = NJW 1973, 556 = VersR 1973, 277). Für die Annahme, daß die Klägerin ihre Einwilligung vorschnell oder unter Schwangerschaftsangst erklärt hat, fehlt es an jedem Anhalt; dagegen spricht insbesondere, daß sie ihren Wunsch nach Sterilisation seit längerem und bei wiederholter Gelegenheit geäußert hat.

b) Daß einer Urkunde über das erteilte Einverständnis unter Umständen höherer Beweiswert zukommen kann, als den Bekundungen der bei dem Arzt tätigen Personen, und daß bei Fehlen einer sonst schriftlichen Bestätigung jenen Aussagen mit besonderer Vorsicht zu begegnen ist, hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Nach seiner revisionsrechtlich nicht zu beanstandeten Würdigung sind jedoch die Aussagen der Zeugen beweiskräftig und werden darüberhinaus durch weitere Indizien erhärtet, so daß trotz des Fehlens einer solchen Urkunde an der Einwilligung der Klägerin Zweifel nicht bestehen.

2. Ebensowenig ist die Klägerin bei Erklärung der Einwilligung über Bedeutung und Tragweite des Eingriffs im Zweifel gewesen.

Nach den Feststellungen des Tatrichters hat nicht nur der Beklagte die Klägerin bei seinen vorangegangenen Schwangerschaftsuntersuchungen auf die Folgen einer "Eileiterunterbindung" hingewiesen; vielmehr hat diese den Eingriff auch mit ihrem Hausarzt eingehend erörtert. Daß ihr die Bedeutung des Eingriffs klar gewesen ist, zeigt auch ihr Gespräch mit der Hebamme, bei dem sie ihren Wunsch nach dem "Eingriff" damit begründet hat, sie wolle keine Kinder mehr haben, sie "habe jetzt ihre Pflicht getan". Selbst wenn der Beklagte sich auf die Erklärung der physiologischen Bedeutung des Eingriffs beschränkt und mit ihr über die möglicherweise eintretende psychische Belastung künftig dauernder Unfruchtbarkeit nicht gesprochen hatte - das Berufungsurteil enthält hierüber keine Ausführungen -, so hätte er damit seine Aufklärungspflicht nicht in einer Weise verletzt, daß die Einwilligung der Klägerin rechtsunwirksam wäre. Zwar ist im Einzelfall von dem Arzt auch eine Belehrung über die psychische Situation der Betroffenen nach dem Eingriff zu verlangen. Hier jedoch konnte der Beklagte mangels entgegenstehender Anhaltspunkte mit Rücksicht auf das Alter und die Mutterschaft der Klägerin, die er seit 12 Jahren frauenärztlich betreute, davon ausgehen, daß sie diese Folgen des Eingriffs für ihre künftige Lebensführung selbst einzuschätzen vermochte. Daß sie einige Tage nach dem Eingriff den Beklagten um einen Ovulationshemmer gebeten hat und, wie sie behauptet hat, einen Schock erlitten habe, als der Beklagte sie auf die erfolgte Sterilisation hinwies, steht diesen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entgegen. Die Deutung der Revision, diese Umstände hätten gegen eine ausreichende Aufklärung der Klägerin gesprochen, ist nicht zwingend. Das Berufungsgericht hat sich im übrigen mit dem späteren Verhalten der Klägerin auseinandergesetzt. Soweit die Revision mit ihrem Vorbringen eine andere Beurteilung erstrebt, bewegt sie sich in dem ihr verschlossenen Bereich tatrichterlicher Würdigung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 541200

BGHZ 67, 48-56 (LT1)

BGHZ, 48

NJW 1976, 1790

NJW 1976, 1790-1792 (LT1)

LM BGB § 823 (Aa), Nr. 36 (L1)

LM BGB § 823 (Dd), Nr. 15 (L1)

LM BGB § 823, Nr. 15 (LT1)

LM GrundG Art. 2, Nr. 45 (L1)

DÄ 1976, 3056 (L1)

FamRZ 1976, 609-612 (LT1,ST1-3)

JR 1976, 461

JR 1976, 461-463 (LT1)

ZfSH 1977, 21-24 (ST)

JZ 1976, 683

JZ 1976, 683-685 (LT1)

MDR 1977, 130-131 (LT1)

RuS 1977, 9 (T)

VersR 1976, 1088-1090 (LT1)

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