Leitsatz (amtlich)

›Geht es um die Frage, ob ein Zeuge trotz erheblicher Trunkenheit in der Lage war, das Tatgeschehen zuverlässig aufzufassen und in seinem Gedächtnis zu behalten, so bedarf es nicht einer exakten Bestimmung der seinerzeit gegebenen Blutalkoholkonzentration nach den Grundsätzen, die für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eines Täters gelten.‹

 

Verfahrensgang

LG Würzburg

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und wegen sexueller Nötigung (beide Taten begangen zum Nachteil der Nebenklägerin P L ) sowie wegen eines weiteren Verbrechens der sexuellen Nötigung (zum Nachteil der Nebenklägerin M S ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Zugleich hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.

I. Zum Vorwurf der Vergewaltigung von P L:

1. Die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO), die sich auf den Vorfall vom 6. April 1986 in der Nacht zwischen 2 und 3 Uhr bezieht, ist unbegründet.

Die Strafkammer befaßt sich eingehend mit der Frage der Glaubwürdigkeit der den Angeklagten belastenden Angaben der Tatzeugin. Bei der Beurteilung dieser Frage zieht sie das aussagepsychologische Gutachten einer Diplom-Psychologin heran, die über vieljährige Gerichtspraxis verfügt. Im Einklang mit diesem Gutachten erörtert das Gericht auch die Einflüsse, die der Zustand, in dem sich die Zeugin zur Zeit jener Tat befand, auf ihr Wahrnehmungs- und Erinnerungsvermögen und damit auf die Verläßlichkeit ihrer Aussage hatte:

Die Geschädigte war stark angetrunken. Sie hatte im Laufe des Abends "möglicherweise bis zu" zehn Glas Vollbier zu 0, 33 l getrunken. Bereits auf dem Weg vom Auto zum Haus mußte sie sich übergeben. Im Zimmer des Angeklagten, in dem sie zunächst eingeschlafen war, mußte sie sich erneut übergeben. Infolge Trunkenheit und im Zeitpunkt des Tiefs der allgemeinen körperlichen Leistungskurve war die Geschädigte, ein erst 14 Jahre altes, körperlich zartes Mädchen, sehr erschöpft. Das Urteil umschreibt ihre damalige Verfassung mit "erheblicher Rauschzustand mit Übelkeit und Erbrechen sowie starke Müdigkeit". Nach ihrer eigenen Aussage hat die Zeugin infolge dieser Trunkenheit "keine Erinnerung mehr" daran, wie sie - nackt - in das Bett des Angeklagten gekommen war. Gleichwohl vermochte sie das weitere Tatgeschehen in den wesentlichen Zügen zu schildern. Mit den alkoholbedingten Unzulänglichkeiten in der Wiedergabe von Vorgängen im Vorfeld des gewaltsamen Vollzugs des Geschlechtsverkehrs, teilweise auch des Geschlechtsverkehrs selbst - bei dem das Mädchen entjungfert wurde - setzt sich das Urteil auseinander.

Die Revision meint, bei dieser Sachlage wäre das Gericht, auch ohne daß die Verteidigung einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hatte, verpflichtet gewesen, zur Frage der Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit der Zeugin einen Rechtsmediziner (mit psychiatrischer Erfahrung) als Blutalkoholsachverständigen zu hören.Dem folgt der Senat nicht. Es gibt allerdings Fälle, in denen die besondere Sachkunde eines medizinischen Sachverständigen nötig ist, um die Auswirkungen einer rauschmittelbedingten Intoxikation auf Auffassungsgabe und Vorstellungsbild eines Zeugen sachgerecht beurteilen zu können. Das gilt etwa bei Drogen, die geeignet sind, Halluzinationen oder ähnliche Störungen des Bewußtseins hervorzurufen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die alkoholische Beeinflussung der Zeugin war nicht von einer Art, daß die Zuziehung eines rechtsmedizinischen Sachverständigen geboten gewesen wäre. Entgegen der Meinung des Generalbundesanwalts bedurfte es auch nicht einer exakten Bestimmung der bei der Zeugin gegebenen Blutalkoholkonzentration nach den Grundsätzen, die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eines Täters entwickelt worden sind. In Fällen der zuletzt genannten Art geht es vornehmlich um das Hemmungsvermögen des Täters, während es sich im vorliegenden Fall darum handelt, ob das Tatopfer - oder ein sonstiger Zeuge - in der Lage war, das Tatgeschehen zuverlässig aufzufassen und in seinem Gedächtnis zu behalten. Wie bereits die aussagepsychologische Sachverständige hat auch das Gericht die alkoholbedingten Einschränkungen des Wahrnehmungs- und Erinnerungsvermögens der Zeugin gesehen und ihnen bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit Rechnung getragen. Es ist aber nach allgemeiner Erfahrung nicht ausgeschlossen, daß auch ein stark alkoholisierter Zeuge besonders einschneidende, ihn selbst schwer bedrängende Erlebnisse richtig aufnimmt und zutreffend wiedergeben kann. Daß es sich hier so verhielt, durfte die Strafkammer um so eher annehmen, als der Angeklagte den äußeren Geschehensablauf nicht bestritten hat, insbesondere einräumt, daß es zum Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten kam. Im übrigen befaßt sich das Gericht im Rahmen der von ihm vorgenommenen Gesamtwürdigung mit der Motivationslage der Zeugin und gelangt dabei zu dem Schluß, daß diese keinen Grund hatte, den Angeklagten der Wahrheit zuwider zu belasten.

Unter diesen Umständen drängte sich die von der Revision vermißte Begutachtung nicht auf.

2. Auch die Sachbeschwerde deckt zu diesem Fall weder im Schuldspruch noch im Ausspruch über die Einzelstrafe einen Rechtsfehler auf.

Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts ist der Vergewaltigungsvorsatz hinreichend dargetan. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte trotz seiner eigenen Alkoholisierung erkannt, daß die Geschädigte, die sich gegen seine Zudringlichkeiten wehrte, freiwillig nicht einmal zu sexuellen Spielen, geschweige denn zum Geschlechtsverkehr bereit war. Er drohte ihr für den Fall, daß sie sich weigere, mit ihm zu schlafen, eine "Kopfnuß" an; gemeint war damit ein sehr schmerzhafter Kopfstoß, wie er ihn schon früher anderen versetzt hatte. Den Widerstand, den die Zeugin leistete, überwand er "mit größerer Anstrengung". Diese Mittel setzte er ein, um den Beischlaf mit dem Mädchen zu erzwingen. Unter diesen Umständen schied - anders als nach dem Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs in NStZ 1983, 71 Nr. 2 zugrunde lag - die Möglichkeit aus, der Angeklagte könnte die Tatsituation verkannt und deshalb irrig angenommen haben, die Geschädigte sei mit dem Beischlaf einverstanden.

II. Zu den weiteren Tatvorwürfen:

Die Verurteilung des Angeklagten wegen eines gut sieben Stunden später begangenen Verbrechens der sexuellen Nötigung zum Nachteil desselben Tatopfers und wegen sexueller Nötigung von M S, begangen am Abend des 18. April 1986, enthält weder im Schuldspruch noch im Ausspruch über die Einzelstrafen einen Rechtsfehler.

In dem zuletzt erwähnten Fall durfte die Strafkammer die "in mehrfacher Gewalteinwirkung" liegende Intensität der angewendeten Gewalt strafschärfend berücksichtigen.

Schließlich lassen auch die verhängte Gesamtstrafe sowie die zu Fall 2 der Urteilsgründe getroffene Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992898

BGHR StPO § 244 Abs. 2 - Sachverständiger 2

DRsp IV(455)109c-d

NStZ 1987, 423

EzSt StPO § 244 Nr. 34

NStE StPO § 244 Nr. 10

VRS 73, 201

StV 1987, 475

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