Leitsatz (amtlich)

Sind für eine Grundschuld mehrere zeitlich aufeinander folgende formularmäßige Zweckerklärungen abgegeben worden, so ist bei der Prüfung unter dem Gesichtspunkt des § 3 AGBG auf die jüngste und auf den Anlaß für deren Abgabe abzustellen.

 

Normenkette

BGB § 1191; AGBG § 3

 

Verfahrensgang

OLG Bamberg (Urteil vom 14.06.1994)

LG Aschaffenburg (Urteil vom 09.07.1993)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 14. Juni 1994 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg vom 9. Juli 1993 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die beklagte Bank betreibt aus der vollstreckbaren Ausfertigung einer notariellen Grundschuldbestellungsurkunde die Zwangsvollstreckung in ein Grundstück der Klägerin. Mit der Klage beantragt die Klägerin, die Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären, und begehrt von der Beklagten die Bewilligung der Löschung der Grundschuld sowie die Herausgabe des Grundschuldbriefs. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Ehemann der Klägerin nahm am 25. Oktober 1982 bei der Beklagten ein sogenanntes ERP-Existenzgründungsdarlehen in Höhe von 90.000 DM auf. Zur Sicherung des Darlehens bestellten die Klägerin und ihr Ehemann am 26. April 1982 zugunsten der Beklagten eine Grundschuld in Höhe von 60.000 DM nebst Zinsen und Nebenleistung an einem Grundstück in R., das damals im hälftigen Miteigentum der Eheleute stand und seit dem Jahre 1988 im Alleineigentum der Klägerin steht.

Die Klägerin und ihr Ehemann unterzeichneten insgesamt drei von der Beklagten vorformulierte Zweckerklärungen. Die erste Zweckerklärung vom 26. April 1982 bestimmte, daß die Grundschuld zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche der Beklagten aus der Geschäftsverbindung mit der W. L. + Co. Gesellschaft für Kraftwerktechnik mit beschränkter Haftung (im folgenden: L. GmbH) dienen sollte. Die zweite Zweckerklärung vom 25. Oktober 1982 legte fest, daß die Grundschuld alle bestehenden und künftigen Ansprüche der Beklagten aus der Geschäftsverbindung mit der Klägerin und ihrem Ehemann, den Eheleuten S. und mit der L. GmbH sichern sollte. Die dritte Zweckerklärung vom 27. Dezember 1984 nannte als Schuldner der durch die Grundschuld zu sichernden bestehenden und künftigen Ansprüche der Beklagten die Klägerin und ihren Ehemann, die Eheleute S., die L. GmbH und die LI. R.-Montage GmbH.

Der Ehemann der Klägerin zahlte das ERP-Existenzgründungsdarlehen bis Mitte 1988 zurück. Die L. GmbH, bei der der Ehemann der Klägerin einer von drei Gesellschaftern und einer von drei Geschäftsführern ist, geriet inzwischen in Vermögensverfall. Die Beklagte berühmt sich ihr gegenüber einer Forderung von 1.786.308,30 DM und betreibt wegen dieser Forderung die Zwangsversteigerung des Grundstücks der Klägerin.

Die Klägerin macht in erster Linie geltend, die im Grundbuch eingetragene Grundschuld sei mangels dinglicher Einigung zwischen ihr und ihrem Ehemann einerseits sowie der Beklagten andererseits in Wahrheit nicht zur Entstehung gelangt. In zweiter Linie beruft sie sich darauf, daß alle drei Zweckerklärungen wegen Verstoßes gegen die §§ 3 und 9 AGBG unwirksam seien und eine Haftung für die Forderung der Beklagten gegen die L. GmbH daher nicht bestehe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben und die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I.

Das Berufungsgericht hat die Zwangsvollstreckung aus der Grundschuldbestellungsurkunde für unzulässig gehalten sowie einen Anspruch der Klägerin auf Löschungsbewilligung und Herausgabe des Grundschuldbriefs bejaht. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Die Beklagte habe die Grundschuld zwar wirksam erworben, weil die zum Grundschulderwerb erforderliche dingliche Einigung keiner besonderen Form bedürfe und aus dem Verhalten der Beklagten geschlossen werden müsse, daß sie mit der Klägerin und deren Ehemann über die Bestellung der Grundschuld einig gewesen sei. Die Zweckerklärungen seien jedoch unwirksam, soweit in ihnen die Haftung der Grundschuld auf die Verbindlichkeiten der L. GmbH erstreckt worden sei. Alle drei Zweckerklärungen seien nämlich insoweit sowohl für die Klägerin als auch für ihren Ehemann überraschend im Sinne des § 3 AGBG gewesen. Das ergebe sich daraus, daß die Zweckerklärungen über den Anlaß der Grundschuldbestellung hinausgegangen seien, daß die Klägerin und ihr Ehemann nicht auf die Erweiterung des Sicherungszwecks hingewiesen worden seien und daß eine so enge persönliche und wirtschaftliche Verbindung zu der L. GmbH, wie sie zum Ausschluß der überraschenden Wirkung der Haftungserweiterung erforderlich sei, weder für die Klägerin noch für ihren Ehemann bejaht werden könne.

II.

Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung in entscheidenden Punkten nicht stand.

1. Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht einen wirksamen Erwerb der Grundschuld durch die Beklagte bejaht hat, sind allerdings frei von Rechtsfehlern. Sie werden von der Revision, weil ihr günstig, auch nicht angegriffen.

2. Es kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht mit Recht davon ausgegangen ist, daß die Zweckerklärungen vom 26. April 1982 und vom 25. Oktober 1982 sowohl für die Klägerin als auch für ihren Ehemann überraschend im Sinne des § 3 AGBG waren. Auch wenn nämlich beide Zweckerklärungen unwirksam gewesen sein sollten, so wäre jedenfalls davon auszugehen, daß die Zweckerklärung vom 27. Dezember 1984 gegenüber der Klägerin und ihrem Ehemann wirksam war.

a) Überraschenden Charakter im Sinne des § 3 AGBG hat eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen dann, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Die Erwartungen des Vertragspartners werden dabei von allgemeinen und individuellen Begleitumständen des Vertragsschlusses geprägt. Auf diesen Grundsätzen beruht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von formularmäßigen Zweckerklärungen bei Sicherungsgrundschulden (Senatsurteil vom 1. Juni 1994 – XI ZR 133/93 = WM 1994, 1242 m.w.Nachw.; zum Abdruck in BGHZ 126, 174 vorgesehen).

Eine formularmäßige Zweckerklärung für Grundschulden kann daher nach § 3 AGBG nur unwirksam sein, wenn und soweit sich feststellen läßt, daß sie von begründeten Erwartungen des Sicherungsgebers deutlich zu dessen Nachteil abweicht. Solche Erwartungen können durch eine bestimmte Darlehensgewährung geprägt sein, wenn zwischen der Darlehensgewährung und der Grundschuldbestellung mit Zweckerklärung ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht (Senatsurteil vom 18. Februar 1992 – XI ZR 126/91 = WM 1992, 563, 565). Sind im Laufe der Zeit für eine Grundschuld mehrere Zweckerklärungen abgegeben worden, so muß die Frage des zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs mit einer bestimmten Darlehensgewährung für jede Zweckerklärung gesondert geprüft werden. Der erkennende Senat hat daher in einem Urteil vom 14. Juli 1992 (XI ZR 256/91 = WM 1992, 1648, 1649) bei einer neuen Zweckerklärung für eine bereits vor Jahren bestellte Grundschuld auf den Anlaß für die neue Sicherungsabrede abgestellt und der Darlehensgewährung, die den Anlaß für die Bestellung der Grundschuld gebildet hatte, keine Bedeutung mehr beigemessen.

b) Im vorliegenden Fall lag die Grundschuldbestellung bereits zwei Jahre und acht Monate zurück und waren bereits zwei Zweckerklärungen abgegeben worden, als die Klägerin und ihr Ehemann die Zweckerklärung vom 27. Dezember 1984 unterzeichneten. Beide konnten daher vernünftigerweise nicht mehr davon ausgehen, daß die neue Zweckerklärung immer noch und ausschließlich mit dem damals aufgenommenen Darlehen zusammenhing. Darin, daß diese Zweckerklärung über die Absicherung des Darlehens aus dem Jahre 1982 hinausging, kann deshalb keine Überraschung im Sinne des § 3 AGBG gesehen werden.

Die Zweckerklärung vom 27. Dezember 1984 könnte daher nach § 3 AGBG nur unwirksam sein, wenn und soweit ihr Inhalt deutlich von den Erwartungen abgewichen sein sollte, die in der Klägerin und ihrem Ehemann durch den Anlaß erweckt wurden, aus dem die Beklagte erneut eine Zweckerklärung verlangte. Zu diesem Anlaß hat die Klägerin, die für die tatsächlichen Voraussetzungen des § 3 AGBG die Darlegungs- und Beweislast trägt, jedoch nichts vorgetragen. Sie hat im Gegenteil in ihrem Schriftsatz vom 25. Februar 1994 ausgeführt, es bleibe im dunkeln, welchen Anlaß außer dem ursprünglichen Darlehen die Zweckerklärung vom 27. Dezember 1984 gehabt haben solle. Angesichts dieser eindeutigen Einlassung bestand für das Berufungsgericht entgegen einer in der Revisionsverhandlung erhobenen Rüge auch kein Grund, die anwaltlich vertretene Klägerin auf die Notwendigkeit weiteren Vortrags zum Anlaß der genannten Zweckerklärung hinzuweisen.

c) Die Zweckerklärung vom 27. Dezember 1984 ist auch nicht nach § 9 AGBG unwirksam. Da Inhalt und Umfang der schuldrechtlichen Zweckbindung von Grundschulden gesetzlich nicht festgelegt sind, sondern freier Vereinbarung unterliegen, verstößt die formularmäßig vereinbarte Erstreckung des Sicherungszwecks einer Grundschuld auf alle künftigen Forderungen des Gläubigers gegen einen mit dem Sicherungsgeber nicht identischen Kreditnehmer nicht gegen die genannte Vorschrift (BGHZ 100, 82, 84; Senatsurteil vom 9. Juli 1991 – XI ZR 218/90 = WM 1991, 1748, 1750; a.M. Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 7. Aufl., Anh. §§ 9–11 Rdn. 663).

III.

Das Berufungsurteil mußte daher aufgehoben werden. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind, war das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin wiederherzustellen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

 

Unterschriften

Schimansky, Dr. Halstenberg, Dr. Schramm, Dr. Siol, Dr. Bungeroth

 

Fundstellen

Haufe-Index 1830933

BB 1995, 949

NJW 1995, 1674

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1995, 727

DNotZ 1995, 890

ZBB 1995, 190

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