Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob eine sieben Jahre nach Gewährung eines durch Grundschulden abgesicherten Darlehens erneut vereinbarte formularmäßige weite Sicherungsabrede überraschend i.S.d. § 3 AGBG ist.

 

Normenkette

BGB § 1191; AGBG § 3

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe

LG Baden-Baden

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 11. Februar 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer formularmäßigen Sicherungszweckerklärung für eine Grundschuld. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Zur Finanzierung eines Bauvorhabens nahmen die Klägerin und ihr Ehemann 1985 bei der beklagten Sparkasse zwei inzwischen getilgte Kredite über 95.000 DM und 800.000 DM auf. Diese wurden durch Grundschulden von 80.000 DM und 795.000 DM auf dem im Alleineigentum der Klägerin stehenden Baugrundstück gesichert. Nach den von beiden Eheleuten unterzeichneten vorformulierten Zweckerklärungen sind „alle bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen” der Beklagten gegen die Klägerin und ihren Ehemann in die dingliche Haftung einbezogen. Am 10. August 1992 unterzeichneten beide auf Wunsch der Beklagten eine dritte formularmäßige Zweckerklärung desselben Inhalts. Anlaß und Umstände dieser Sicherungsvereinbarung sind streitig.

Der Ehemann der Klägerin betätigte sich seit Anfang der neunziger Jahre als Bauträger. Bei Abgabe der Formularzweckerklärung vom 10. August 1992 unterhielt er bei der Beklagten ein im Haben geführtes Girokonto. In den Jahren 1994 und 1995 wurden weitere Geschäftskonten eröffnet. Nachdem es infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Ehemannes der Klägerin zu Kontoüberziehungen von rund 600.000 DM gekommen war, kündigte die Beklagte die Geschäftsverbindung fristlos und stellte die Kredite zum 1. Februar 1999 fällig. Wegen ihrer offenen Forderungen geht sie aus der im Jahre 1985 erworbenen Grundschuld über 80.000 DM gegen die Klägerin vor.

Die Klägerin ist der Auffassung, die drei Sicherungszweckerklärungen seien nach § 3 AGBG unwirksam, soweit in ihnen die Haftung der Grundschulden auf alle gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten ihres Ehemannes erstreckt worden sei. Auch die neueste formularmäßige Vereinbarung vom 10. August 1992 stehe nicht im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb ihres Ehemannes, sondern sei aus Anlaß der im Jahre 1985 aufgenommenen Bankkredite getroffen worden. Wegen ihres darüber hinausgehenden Inhalts sei sie sowohl für sie als auch für ihren Ehemann überraschend.

Mit der Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten unter anderem die Bewilligung der Löschung der Grundschuld über 80.000 DM. Die Beklagte begehrt im Wege der Widerklage die Duldung der Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld.

Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet; sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat die Formularzweckerklärung vom 10. August 1992 für unwirksam erachtet und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:

Die formularmäßige Ausdehnung der dinglichen Haftung des Sicherungsgebers auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten eines Dritten – auch eines Ehepartners – sei in aller Regel überraschend im Sinne des § 3 AGBG und daher nichtig. Überraschend seien Klauseln, deren Inhalt in deutlichem Widerspruch zu den durch die Umstände bei Vertragsschluß begründeten Erwartungen stehe und mit denen der Vertragspartner des Verwenders deshalb nicht zu rechnen brauche. Dies könne hier angenommen werden. Für die darlegungspflichtige Klägerin sei es durchaus überraschend gewesen, daß die Zweckerklärung vom 10. August 1992 über die Absicherung der im Jahre 1985 aufgenommenen Baukredite hinausgehe. Zwar hätten die Grundschuldbestellung und -übertragung sowie die zugrunde liegenden Kreditaufnahmen schon mehrere Jahre zurückgelegen, so daß sich ein Zusammenhang mit der jüngsten Sicherungsabrede nicht zwangsläufig ergebe. Die Klägerin habe aber schlüssig dargelegt, daß die ausgereichten Baukredite im Sommer 1992 noch nicht vollständig zurückgezahlt gewesen und neue Darlehen weder gewährt noch beantragt worden seien.

Der Sachvortrag der Beklagten, Anlaß für die Sicherungszweckerklärung vom 10. August 1992 sei die Aufnahme der Geschäftstätigkeit des Ehemannes der Klägerin gewesen, rechtfertige keine andere rechtliche Beurteilung. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn es bei dieser Zweckerklärung für die Klägerin ohne weiteres erkennbar um die dingliche Sicherung aller gegenwärtigen und künftigen Geschäftsverbindlichkeiten ihres Ehemannes gegangen sei. Bei Abgabe der Zweckerklärung habe aber lediglich ein im Haben geführtes Girokonto bestanden. Wenn der Ehemann der Klägerin das Bauträgergeschäft damals tatsächlich schon betrieben haben sollte, sei für eine wirksame Ausweitung des Sicherungszwecks eine individuelle Aufklärung der Klägerin über diesen Umstand und die damit verbundenen Risiken erforderlich gewesen.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.

1. Der Revision kann allerdings nicht gefolgt werden, das sich aus dem weiten Inhalt der formularmäßigen Sicherungsabrede ergebende Haftungsrisiko sei für die Klägerin beherrschbar und enthalte jedenfalls deshalb kein überraschendes Moment im Sinne des § 3 AGBG.

Zwar entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Bürgschaftsrecht, daß Geschäftsführer und Gesellschafter, die maßgeblichen Einfluß auf die Art und Höhe der verbürgten Geschäftsverbindlichkeiten der Gesellschaft haben, von einer weiten Zweckerklärung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen regelmäßig nicht überrascht werden, die die Bürgenhaftung über den konkreten Anlaß der Kreditaufnahme hinaus auf weitere Forderungen erstreckt (siehe etwa BGHZ 130, 19, 30; BGH, Urteil vom 24. September 1996 – IX ZR 316/95, ZIP 1997, 449 m.w.Nachw.). Die Tatsache, daß die Klägerin nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten als kaufmännische Angestellte im Bauträgergeschäft ihres Ehemannes beschäftigt war und über die Geschäftskonten verfügen konnte, sicherte ihr aber keine Einflußmöglichkeiten, die denen eines Allein- bzw. Mehrheitsgesellschafters oder eines Geschäftsführers entsprechen. Daß die Klägerin auf die Geschäftspolitik tatsächlich maßgebenden Einfluß genommen hat oder dazu in der Lage gewesen wäre, ist nicht substantiiert behauptet worden.

2. Indessen rechtfertigen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts es nicht, die formularmäßige Sicherungszweckerklärung vom 10. August 1992 als überraschend anzusehen und ihr die Wirksamkeit zu versagen.

a) Eine Bestimmung in allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den konkreten Umständen und Verhältnissen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild so ungewöhnlich ist, daß der Vertragspartner mit ihr nicht zu rechnen braucht (§ 3 AGBG), liegt dann vor, wenn ihr ein Überrumpelungseffekt innewohnt. Sie muß eine Regelung enthalten, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und mit der dieser den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Die Erwartungen des Vertragspartners werden von allgemeinen und individuellen Begleitumständen bestimmt. Zu ersteren zählen etwa der Grad der Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht sowie die für den Geschäftskreis übliche Gestaltung, zu letzteren der Gang und der Inhalt der Vertragsverhandlungen sowie der äußere Zuschnitt des Vertrages (BGHZ 102, 152, 158 f.; BGH, Urteile vom 9. April 1987 – III ZR 84/86, WM 1987, 646, 647 und 30. Oktober 1987 – V ZR 174/85, WM 1988, 12, 14; Senatsurteil vom 24. Oktober 2000 – XI ZR 273/99, WM 2000, 2423, 2425). Nach diesen Grundsätzen ist die formularmäßige Ausdehnung der dinglichen Haftung des Sicherungsgebers auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten eines Dritten bei Bestellung einer Grundschuld aus Anlaß einer bestimmten Kreditaufnahme in aller Regel überraschend im Sinne des § 3 AGBG. Das gilt auch dann, wenn der Dritte der Ehegatte des Sicherungsgebers ist (st.Rspr., siehe z.B. BGHZ 126, 174, 177; Senatsurteile vom 23. Februar 1999 – XI ZR 129/98, WM 1999, 685, 686 und 23. Mai 2000 – XI ZR 214/99, WM 2000, 1328).

Zu den für die berechtigten Erwartungen des Vertragsgegners maßgebenden Umständen und Verhältnissen kann durchaus auch eine frühere Darlehensgewährung gehören, wenn zwischen ihr und der Grundschuldbestellung mit formularmäßiger Zweckerklärung ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht (Senatsurteil vom 28. März 1995 – XI ZR 151/94, WM 1995, 790, 791 m.w.Nachw.). Je größer der zeitliche Abstand zwischen der Darlehensgewährung und den für eine Grundschuld abgegebenen neuen formularmäßigen Zweckerklärungen ist, desto wahrscheinlicher ist es aber, daß der ursprüngliche, auf die Absicherung eines bestimmten Darlehens gerichtete Sicherungszweck durch einen anderen ersetzt oder erweitert worden ist. Dementsprechend hat der erkennende Senat bei einer neuen Zweckerklärung für eine bereits vor zwei Jahren und acht Monaten bestellte Grundschuld im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung nur noch auf den Anlaß für die jüngste Sicherungsabrede abgestellt und der Darlehensgewährung, die der Grundschuldbestellung zugrunde lag, keine Bedeutung mehr beigemessen (Urteil vom 28. März 1995 – XI ZR 151/94, aaO; vgl. auch Urteil vom 14. Juli 1992 – XI ZR 256/91, WM 1992, 1648, 1649). Ebenso hat er eine neun bis zehn Monate nach Darlehensgewährung zusammen mit der Grundschuldbestellung formularmäßig getroffene Sicherungsvereinbarung unter Würdigung der konkreten Fallumstände nicht für überraschend im Sinne des § 3 AGBG erachtet (Urteil vom 6. Februar 1996 – XI ZR 121/95, WM 1996, 2233, 2234).

b) Im vorliegenden Fall lagen zwischen der Abtretung der Grundschuld über 80.000 DM zur Absicherung eines im Jahre 1985 aufgenommenen Darlehens und der neuen formularmäßigen Zweckerklärung vom 10. August 1992 rund sieben Jahre. Die für eine Überrumpelung notwendige zeitliche Nähe fehlte daher – wie die Revision zu Recht geltend macht – völlig. Darin, daß die neue formularmäßige Vereinbarung über die dingliche Absicherung des ausschließlich zu Bauzwecken aufgenommenen Kredites deutlich hinausging, kann deshalb entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keine Überraschung im Sinne des § 3 AGBG gesehen werden.

III.

Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO). Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand hat die Klägerin nicht bewiesen, daß der Inhalt der formularmäßigen Zweckerklärung vom 10. August 1992 deutlich von den Erwartungen abweicht, die sie und ihr Ehemann aufgrund des Anlasses der neuen Vereinbarung hegen durften.

Zu diesem Anlaß hat die Klägerin, die für die tatsächlichen Voraussetzungen des § 3 AGBG die Darlegungs- und Beweislast trägt, erstmals in der Berufungsinstanz unter Beweisantritt vorgetragen, die Beklagte habe lediglich ihre Kreditunterlagen – ohne konkreten Anlaß – auf den neuesten Stand bringen wollen. Dem ist die Beklagte mit der unter Beweis gestellten Behauptung entgegengetreten, Anlaß für die neue Formularzweckerklärung sei ausschließlich die zeitnahe Eröffnung des Bauträgergeschäfts des Ehemanns der Klägerin und die Sicherung etwaiger zukünftiger Geschäftskredite gewesen. Das Berufungsgericht hätte daher in die Beweisaufnahme eintreten und die von den Prozeßparteien benannten Zeugen vernehmen müssen. Dies wird nachzuholen sein. Sollte sich dabei ein non liquet ergeben, ginge dies zu Lasten der darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin.

Weitere Nichtigkeitsgründe sind nicht dargetan oder ersichtlich. Auf die Bedeutung und Tragweite des Sicherungszwecks wird im äußeren Schriftbild der Urkunde durch größere und fettgedruckte Schriftzeichen deutlich hingewiesen. Außerdem hatte die Klägerin bereits zwei gleichlautende Schriftstücke unterzeichnet, so daß ihr das Vertragsformular hinlänglich vertraut war.

IV.

Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Unterschriften

Nobbe, Bungeroth, Richter am Bundesgerichtshof Dr. van Gelder ist wegen Urlaubs an der Unterzeichnung gehindert Nobbe, Müller, Wassermann

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 16.01.2001 durch Weber, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 547160

BB 2001, 487

DB 2001, 1144

DStR 2001, 904

NJW 2001, 1416

BGHR 2001, 226

BGHR

BauR 2001, 1000

BauR 2001, 1152

EWiR 2001, 349

Nachschlagewerk BGH

WM 2001, 455

WuB 2001, 657

ZIP 2001, 408

ZfIR 2001, 276

DNotZ 2001, 614

MDR 2001, 557

ZBB 2001, 94

Kreditwesen 2001, 551

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