Verfahrensgang

OLG Hamburg (Urteil vom 27.01.2011; Aktenzeichen 2 U 32/09)

LG Hamburg (Entscheidung vom 09.10.2009; Aktenzeichen 310 O 244/04)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Teilurteil des OLG Hamburg, 2. Zivilsenat, vom 27.1.2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Wert des Streitgegenstands wird für die Revisionsinstanz auf bis 1.200 EUR festgesetzt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin macht im Wege einer Stufenklage Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen die Beklagte geltend und nimmt diese in der zweiten Stufe auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung in Anspruch.

Rz. 2

Die Parteien sind Schwestern und neben zwei Brüdern Abkömmlinge ihres am 18.6.2003 verstorbenen Vaters, dessen Erbin die Beklagte ist. Die Klägerin hat zunächst Auskunft über den Bestand und den Wert des Nachlasses begehrt. Die Beklagte hatte vorprozessual Auskünfte erteilt, welche die Klägerin für nicht ausreichend hält.

Rz. 3

Das LG hat die Klage bezüglich des Auskunftsbegehrens sowie die auf Verurteilung der Klägerin zur Auskunft über Zuwendungen und Schenkungen gerichtete Widerklage der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin eine durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedingte Berufung eingelegt. Das OLG hat das Prozesskostenhilfegesuch zurückgewiesen.

Rz. 4

Das LG hat die Beklagte durch Teilurteil antragsgemäß verurteilt, "an Eides statt zu versichern, dass die von ihr erteilten Auskünfte über den Bestand des Nachlasses sowie erhaltener Schenkungen bzw. Zuwendungen des Erblassers vollständig und richtig sind".

Rz. 5

Das OLG hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der - vom Einzelrichter zugelassenen - Revision.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 6

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Rz. 7

I. Nach dessen Auffassung übersteigt der Wert der mit der Berufung geltend gemachten Beschwer nicht gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO den Betrag von 600 EUR. Entscheidend sei der Aufwand an Zeit und Kosten, der durch das nochmalige Überprüfen der erteilten Auskunft auf Vollständigkeit entstehe und entsprechend gem. § 22 Satz 1 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) mit höchstens 17 EUR pro Stunde bewertet werden könne. Der Zeitaufwand der Beklagten sei mit höchstens 200 EUR anzusetzen. Kosten für weitere umfangreiche Rechercheaufträge seien nicht zu berücksichtigen. Die Beklagte müsse lediglich die bereits getätigten Angaben noch einmal durchsehen und bestätigen. Von ihr werde keine Neuerteilung der Auskünfte verlangt, sondern allenfalls deren Ergänzung. Die Beklagte sei bereits im Auskunftsverfahren anwaltlich vertreten gewesen, so dass keine Notwendigkeit für eine erneute anwaltliche Beratung vor und bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ersichtlich sei. Auch wenn die Beklagte die eidesstattliche Versicherung nicht abgeben wolle, übersteige der Wert der Beschwer 600 EUR nicht.

Rz. 8

II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Rz. 9

1. Die Zulassung der Revision durch den Einzelrichter führt entgegen der Ansicht der Revision nicht wegen Verstoßes gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) zur Aufhebung des Berufungsurteils. Der Einzelrichter ist im Berufungsverfahren nach § 526 Abs. 1 ZPO erst nach Übertragung des Rechtsstreits durch das Kollegium zur Entscheidung berufen. Er darf - und muss - die Sache, wenn er ihre grundsätzliche Bedeutung bejaht, nach § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dem Kollegium zur Entscheidung über eine Übernahme vorlegen, wenn sich die grundsätzliche Bedeutung aus einer "wesentlichen Änderung der Prozesslage" ergibt, also nicht schon dann, wenn er sie anders als das Kollegium von vornherein als grundsätzlich ansieht (BGH, Urt. v. 16.7.2003 - VIII ZR 286/02, NJW 2003, 2900).

Rz. 10

2. Das Berufungsurteil ist auch nicht deshalb aufzuheben, weil der Einzelrichter die Berufung als unzulässig verworfen hat. Die Zuständigkeit des Berufungsgerichts insgesamt ist nach § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur für die Verwerfung im Beschlusswege zwingend vorgesehen, die gem. § 523 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Entscheidung, ob der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen wird, vorhergeht. Dieser tritt nach § 526 Abs. 1 ZPO vollständig an die Stelle des Kollegiums. Er ist für die Entscheidung des Rechtsstreits insgesamt und damit auch für die Verwerfung der Berufung durch Endurteil zuständig (BGH, Urt. v. 4.4.2012 - III ZR 75/11, NJW-RR 2012, 702 Rz. 10 m.w.N.).

Rz. 11

3. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 EUR nicht übersteige.

Rz. 12

a) Soweit das Rechtsmittelinteresse - wie hier - gemäß den §§ 2, 3 ZPO festzusetzen ist, kann die Bewertung durch das Berufungsgericht im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht die gesetzlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Das ist insb. der Fall, wenn das Berufungsgericht maßgebliche Tatsachen verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt oder etwa erhebliche Tatsachen unter Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nicht festgestellt hat (BGH v. 27.9.2000 - IV ZB 6/00, NJW-RR 2001, 569 unter II; v. 29.11.1995 - IV ZB 19/95, WM 1996, 466 unter B 2; BGH, Beschl. v. 21.6.2000 - XII ZB 12/97, NJW 2000, 3073 unter II 2; jeweils m.w.N.).

Rz. 13

b) Das Berufungsgericht hat maßgebliche Umstände für die Bemessung der Beschwer der Beklagten nicht berücksichtigt.

Rz. 14

aa) Es ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass sich der Wert des Beschwerdegegenstandes auch im Fall der Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Verurteilung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach dem Aufwand an Zeit und Kosten bemisst, den die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erfordert sowie nach einem - hier nicht geltend gemachten - Geheimhaltungsinteresse des Verurteilten (BGH v. 29.11.1995 - IV ZB 19/95, WM 1996, 466 unter B 2a; BGH, Beschl. v. 29.9.2010 - XII ZB 49/09, FuR 2011, 110 Rz. 6; v. 15.9.2009 - VI ZR 287/08, juris Rz. 1; Urt. v. 11.10.2000 - XII ZR 303/98, FuR 2001, 236 unter a; Beschlüsse v. 21.6.2000 - XII ZB 12/97, NJW 2000, 3073 unter II 2; v. 30.3.2000 - III ZB 2/00, NJW 2000, 2113 unter II 2a; v. 4.11.1998 - XII ZB 111/98, FamRZ 1999, 647 unter II; BGH, Großer BGH für Zivilsachen, Beschl. v. 24.11.1994 - GSZ 1/94, BGHZ 128, 85, 87 ff.; jeweils m.w.N.). Der Zeitaufwand ist gem. § 22 Satz 1 JVEG mit maximal 17 EUR pro Stunde zu bemessen (vgl. BGH v. 10.3.2010 - IV ZR 255/08, FamRZ 2010, 891 Rz. 6).

Rz. 15

bb) Der zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung Verurteilte ist nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die erteilte Auskunft auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen und ggf. zu ergänzen und zu berichtigen (BGH v. 29.11.1995 - IV ZB 19/95, WM 1996, 466 unter B 2c aa m.w.N.). Die Einschaltung eines Rechtsanwalts kann dem verurteilten Beklagten dann nicht verwehrt werden, wenn der Urteilsausspruch nicht hinreichend bestimmt genug ist, so dass Zweifel über seinen Inhalt und Umfang im Vollstreckungsverfahren zu klären sind, oder wenn die sorgfältige Erfüllung des titulierten Anspruchs Rechtskenntnisse voraussetzt (Senatsbeschluss vom 29.11.1995, a.a.O.; BGH, Urt. v. 2.6.1993 - IV ZR 211/92, NJW-RR 1993, 1154 unter 2b m.w.N.; BGH, Beschl. v. 21.6.2000 - XII ZB 12/97, NJW 2000, 3073 unter II 2).

Rz. 16

cc) Der Beklagten kann es nicht zugemutet werden, die eidesstattliche Versicherung ohne anwaltlichen Rat und Beistand abzugeben, weil der Inhalt der abzugebenden eidesstattlichen Versicherung im Teilurteil des LG nicht hinreichend bestimmt worden ist.

Rz. 17

(1) Ein Vollstreckungstitel ist bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er den Anspruch des Gläubigers ausweist und Inhalt und Umfang seiner Leistungspflicht bezeichnet. Das Vollstreckungsorgan muss in der Lage sein, allein mit dem Titel ohne Verwertung der Gerichtsakten oder anderer Urkunden die Vollstreckung durchzuführen. Zwar ist der Titel selbst der Auslegung fähig. Es genügt jedoch nicht, wenn auf Urkunden Bezug genommen wird, die nicht Bestandteil des Titels sind, oder wenn sonst die Leistung nur aus dem Inhalt anderer Schriftstücke ermittelt werden kann (BGH, Urt. v. 6.11.1985 - IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440 unter II 1 m.w.N.). Da die eidesstattliche Versicherung ihrer Natur nach an eine vorangegangene Auskunft anknüpft, soll schon das Prozessgericht dementsprechend die Formel der Versicherung genau festlegen (BGH v. 29.11.1995 - IV ZB 19/95, WM 1996, 466 unter B 2c bb m.w.N.).

Rz. 18

(2) Hier bezieht sich der Urteilstenor nicht auf bestimmte erteilte Auskünfte, etwa in dem vorprozessualen Schreiben des späteren Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 11.6.2004 oder in den von ihr selbst verfassten Schreiben an ihre Geschwister, sondern pauschal auf die "von ihr erteilten Auskünfte über den Bestand des Nachlasses sowie erhaltener Schenkungen bzw. Zuwendungen des Erblassers". Auch aus dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils ergibt sich nicht, welche Auskünfte der Beklagten gemeint sind. Indes müssen die in Bezug genommenen Auskünfte spätestens im Zeitpunkt der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Einzelnen genau bezeichnet sein und sollten zweckmäßigerweise in einem einheitlichen Verzeichnis zusammengefasst werden (BGH v. 29.11.1995 - IV ZB 19/95, WM 1996, 466 unter B 2c bb m.w.N.).

Rz. 19

dd) Die von der Beklagten aufzuwendenden erforderlichen Anwaltskosten übersteigen die Berufungssumme.

Rz. 20

(1) Berücksichtigungsfähig ist jedenfalls der Aufwand des zur Auskunft Verurteilten für den Fall, dass er die eidesstattliche Versicherung abgeben will. Durch die ihm zugebilligte anwaltliche Beratung über Inhalt und Umfang der Verurteilung kann er Aufklärung erhalten, dass dieses keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, und danach entscheiden, die eidesstattliche Versicherung gleichwohl in der sich aus der Beratung ergebenden Weise abzugeben (BGH, Beschl. v. 21.6.2000 - XII ZB 12/97, NJW 2000, 3073 unter II 2).

Rz. 21

(2) Ausgehend von dem Interesse der Klägerin an der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (vgl. BGH, Beschl. v. 21.6.2000, a.a.O., unter II 1), das nach einem Teilwert ihrer Pflichtteilsquote auf 7.500 EUR geschätzt werden kann, belaufen sich die Anwaltskosten auf 955,33 EUR (1,3 Geschäftsgebühr gemäß RVG VV 2300: 535,60 EUR, 0,3 Verfahrensgebühr gemäß RVG VV 3309: 123,60 EUR, 0,3 Terminsgebühr RVG VV 3310: 123,60 EUR, Auslagenpauschale: 20 EUR, 19 % Umsatzsteuer: 152,53 EUR). Außerdem ist der eigene Zeitaufwand der Beklagten für die Überprüfung der Angaben auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschl. v. 21.6.2000, a.a.O.). Dieser kann entsprechend den - vom Berufungsgericht zugrunde gelegten - Angaben der Beklagten entsprechend § 22 Satz 1 JEVG mit ca. 200 EUR (für knapp zwölf Stunden) veranschlagt werden. Insgesamt belaufen sich die mit der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verbundenen Kosten somit auf 1.155,33 EUR. Da diese den Betrag von 600 EUR bei Weitem übersteigen, kommt es auf die weiterhin von der Beklagten geltend gemachten Recherchekosten von 75 EUR nicht an. Die Berufungssumme ist in jedem Fall erreicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 4243140

FamRZ 2013, 783

NJW-RR 2013, 1033

ZEV 2013, 332

AGS 2013, 178

ErbR 2013, 154

FamRB 2013, 249

NJW-Spezial 2013, 327

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