Leitsatz (amtlich)

Das Verteilen eines Anzeigenblattes durch Arbeitnehmer an Sonn- und Festtagen kann, wenn dafür keine Ausnahmegenehmigung erteilt ist, unlauter i.S. von § 1 UWG sein.

 

Normenkette

UWG § 1; GewO § 105b Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 09.05.1985)

LG Gießen

 

Tenor

Die Revisionen gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. Mai 1985 werden auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerinnen geben in Gießen bzw. Wetzlar Tageszeitungen heraus, die an Sonntagen nicht erscheinen und nicht vertrieben werden.

Die Beklagte zu 1) ist Verlegerin des „Sonntag-Morgenmagazin”; der Beklagte zu 2) ist ihr Geschäftsführer und ihr verantwortlicher Redakteur. Das „Sonntag-Morgenmagazin” wird seit Jahren regelmäßig am Sonntagvormittag bis 11.00 Uhr an alle Haushaltungen in Gießen, Wetzlar und Marburg verteilt; seine Auflage beträgt nunmehr 300.000 Exemplare. Es handelt sich um ein Anzeigenblatt, dem auch Prospekte und Werbeschriften gewerblicher Unternehmen beigefügt werden. Sein redaktioneller Teil, der sich u.a. mit örtlichen Ereignissen und dem Sportgeschehen des Samstags befaßt, erreicht 40 bis 50 % des Umfangs. Die Beklagten lassen das Blatt vor allem von Schülern, Studenten, Hausfrauen und Rentnern austragen, denen die benötigte Anzahl von Exemplaren für den ihnen zugewiesenen Bezirk in den frühen Morgenstunden des Sonntags angeliefert wird. Die Austräger sind gehalten, die Verteilung bis 11.00 Uhr abgeschlossen zu haben.

Im Dezember 1983 untersagte das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt G. der Beklagten zu 1), das „Sonntag-Morgenmagazin” an Sonn- und Feiertagen durch Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Personen verteilen zu lassen. Die Beklagte zu 1) legte gegen diese Untersagungsverfügung ein Rechtsmittel ein, über das bisher noch nicht rechtskräftig entschieden ist.

Die Klägerinnen machen geltend, die Beklagten verstießen mit der Verteilung ihres Magazins an Sonntagen gegen § 105 b Abs. 2 GewO, wonach an Sonn- und Festtagen keine Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter beschäftigt werden dürften.

Entsprechend ihrem Klageantrag hat das Landgericht den Beklagten unter Strafandrohung untersagt, an Sonn- und Feiertagen Arbeiter, Angestellte oder sonstige Personen (z.B. Hausfrauen, Schüler, Studenten, Rentner) zum Zwecke der Verteilung des „Sonntag-Morgenmagazin” sowie von Werbeschriften und/oder Werbeprospekten zu beschäftigen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Verbot beschränkt auf die Beschäftigung von „Arbeitnehmern” an Sonn- und Feiertagen zum Zwecke der Verteilung des „Sonntag-Morgenmagazin” sowie von Werbeschriften und/oder Werbeprospekten. Im übrigen, nämlich hinsichtlich der Beschäftigung „sonstiger Personen”, hat es die Klage abgewiesen. Mit den Revisionen verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf völlige Abweisung der Klage weiter. Die Klägerinnen beantragen die Zurückweisung der Revisionen.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Beklagten verstießen gegen das Beschäftigungsverbot für Sonn- und Festtage des § 105 b Abs. 2 GewO, indem sie das „Sonntag-Morgenmagazin” nebst Werbeschriften und Prospekten in der bisher ausgeübten Weise austragen ließen. Die von ihnen beschäftigten Personen hätten, auch wenn es überwiegend Rentner, Schüler, Studenten und Hausfrauen seien, Arbeitnehmereigenschaft, da sich die Beschäftigung im Rahmen eines fremdbestimmten Arbeitsverhältnisses vollziehe. Die Beklagten verstießen gleichzeitig gegen § 1 UWG, da sie sich bewußt und planmäßig über das Beschäftigungsverbot hinwegsetzten, um einen sachlich nicht gerechtfertigten Vorsprung vor den Mitbewerbern zu erlangen. Die Klage sei jedoch unbegründet, soweit sie auf Untersagung der Beschäftigung „sonstiger Personen” ziele; denn es sei nicht verboten, andere Personen, die keine Arbeitnehmer seien, an Sonn- und Feiertagen zu beschäftigen.

II. Die Revisionen der Beklagten haben keinen Erfolg; denn die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, an Sonn- und Feiertagen Arbeitnehmer zum Zwecke der Verteilung des „Sonntag-Morgenmagazin” sowie von Werbeschriften und/oder Werbeprospekten zu beschäftigen, hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Die Auffassung der Beklagten, daß der Verbotstenor nicht ausreichend konkretisiert sei, weil der Begriff „Arbeitnehmer” zu unbestimmt sei, greift nicht durch. Bei der Auslegung des Urteilstenors sind die tragenden Gründe des Urteils mit heranzuziehen. Daraus ergibt sich mit hinreichender Bestimmtheit, wie dieser Begriff hier zu verstehen ist; denn er umfaßt danach solche Personen, die in einem Subordinationsverhältnis zu den Beklagten stehen und hinsichtlich Zeit, Ort und Inhalt der geschuldeten Dienstleistung ihren Arbeitsanweisungen zu folgen haben.

2. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsverstoß angenommen, daß die Beklagten gegen § 105 b Abs. 2 Satz 1 GewO und § 1 UWG verstoßen, indem sie ihr Anzeigenblatt regelmäßig am Sonntagvormittag in der festgestellten Weise austragen lassen.

a) Nach § 105 b Abs. 2 Satz 1 GewO dürfen im Handelsgewerbe Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter an Sonn- und Festtagen nicht beschäftigt werden. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, daß der Vertrieb des Anzeigenblattes eine Tätigkeit in einem Handelsgewerbe im Sinne dieser Vorschrift ist; denn es handelt sich um ein Verlagsunternehmen, das bereits nach § 1 Abs. 2 Nr. 8 HGB ein Handelsgewerbe ist.

b) Das Berufungsgericht hat auch rechtsfehlerfrei angenommen, daß die von den Beklagten beauftragten Personen unter dieses Beschäftigungsverbot fallen. Dem steht nicht entgegen, daß das Gesetz nur Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter nennt; denn nach Sinn und Zweck der Regelung sollen mit dieser Aufzählung alle abhängigen Arbeitnehmer erfaßt werden. Die Anwendung dieser Bestimmung entfällt auch nicht deshalb, weil es sich nur um die stundenweise Beschäftigung von Rentnern, Schülern, Studenten und Hausfrauen handelt, die nicht zu den typischen Arbeitnehmern zählen. Wie das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß ausgeführt hat, hängt die Arbeitnehmereigenschaft nicht von der sonstigen sozialen Stellung des Beschäftigten, sondern allein davon ab, ob er seine Arbeit im Rahmen einer von dem Auftraggeber bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen und dabei dessen Weisungen hinsichtlich Zeit, Ort und Inhalt der geschuldeten Leistung zu beachten hat. Diese Voraussetzungen sind hier nach den getroffenen Feststellungen erfüllt; denn danach haben die Austräger ihre Leistung im Rahmen der Organisation der Beklagten zu erbringen. Diese setzen die Bezirke für die Austräger fest und bestimmen die Anzahl der von ihnen auszutragenden Exemplare. Sie setzen auch den Zeitraum, innerhalb dessen das Austragen zu geschehen hat, fest. Diese Umstände rechtfertigen es, die Austräger dem Personenkreis des § 105 b Abs. 2 Satz 1 GewO zuzurechnen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17. Dezember 1985 – 1 C 1/85, NJW 1986, 2003).

c) Das Austragen des Magazins der Beklagten ist auch nicht nach § 105 c Abs. 1 GewO von der Anwendung des § 105 b Abs. 2 GewO ausgenommen; denn es handelt sich nicht um eine der dort aufgeführten Tätigkeiten. Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, gehört das Austragen des Blattes insbesondere nicht zu den Arbeiten, die „im öffentlichen Interesse unverzüglich vorgenommen werden müssen” (§ 105 c Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 GewO). Hierunter fallen nur Tätigkeiten, für die ein unabweisbares Bedürfnis besteht. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Bestimmung und insbesondere im Gegenschluß zu § 105 e Abs. 1 Satz 1 GewO, wonach für Gewerbe, deren Ausübung an Sonn- und Festtagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden kann; denn dies läßt darauf schließen, daß § 105 c GewO nur Tätigkeiten mit einer darüberhinausgehenden Dringlichkeit erfaßt (vgl. BVerwG a.a.O.).

d) Der Anwendung des § 105 b Abs. 2 GewO auf die Tätigkeit der Beklagten steht auch nicht das Grundrecht der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG entgegen. Im vorliegenden Fall besteht keine Notwendigkeit, bereits bei Anwendung von § 105 b Abs. 2 und § 105 c Abs. 1 GewO Ausnahmen zugunsten der Presse zuzulassen; der besonderen Rechtsstellung der Presseunternehmen kann und ist vielmehr in sachgerechterer Weise durch eine Einzelfallprüfung im Rahmen der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 105 e GewO Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, a.a.O., S. 2004). Im Streitfall liegt eine solche Ausnahmegenehmigung nicht vor; sie ist bisher auch nicht beantragt.

e) Der Feststellung, daß die Beklagten gegen § 105 b Abs. 2 Satz 1 GewO verstoßen, steht auch nicht entgegen, daß gegen die Beklagte zu 1) eine Ordnungsverfügung des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes G. ergangen ist, die es ihr untersagt, das „Sonntag-Morgenmagazin” an Sonn- und Feiertagen durch Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Personen verteilen zu lassen, und daß über die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung noch ein Rechtsstreit anhängig ist. Der Bestand dieser Untersagungsverfügung ist für den Streitfall nicht entscheidungserheblich, da sich die Unzulässigkeit der angegriffenen Tätigkeit unmittelbar aus dem Gesetz, nicht aber allein aus der Verfügung ergibt. Daher wäre, selbst wenn das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu einer Aufhebung der Untersagungsverfügung führen sollte, den Beklagten damit nicht ohne weiteres die betreffende Tätigkeit erlaubt. Hierfür bedürften sie vielmehr weiterhin der Ausnahmegenehmigung nach § 105 e GewO; diese ist jedoch nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Dieses Verfahren ist daher nicht vorgreiflich im Sinne von § 148 ZPO, so daß dem Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Rechtsstreits nicht stattzugeben ist.

f) Das Berufungsgericht hat ferner rechtsfehlerfrei angenommen, daß der Verstoß der Beklagten gegen § 105 b Abs. 2 Satz 1 GewO einen Unterlassungsanspruch der Klägerinnen nach § 1 UWG begründet.

Zwischen den Parteien besteht ein aktuelles Wettbewerbsverhältnis im Sinne von § 1 UWG, da sie, wie festgestellt, hinsichtlich der Aufträge für Anzeigen und zur Verteilung von Werbematerial miteinander konkurrieren.

Die Verletzung von § 105 b Abs. 2 Satz 1 GewO durch die Beklagten stellt zugleich einen Wettbewerbsverstoß dar. Zwar handelt es sich um eine wettbewerbsneutrale Vorschrift; doch ist deren Verletzung wettbewerbswidrig, wenn sich der Verletzer bewußt und planmäßig über sie hinwegsetzt, obwohl für ihn erkennbar ist, daß er sich dadurch vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern einen sachlich nicht gerechtfertigten Wettbewerbsvorsprung verschafft (vgl. BGH, Urt. v. 8. Dezember 1983 – I ZR 189/81, GRUR 1984, 361, 362 – Hausfrauen-Info-Abend: zum Ladenschlußgesetz). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt: Die Beklagten zielen darauf ab, einen Vorsprung vor ihren gesetzestreuen Mitbewerbern auf dem Anzeigenmarkt zu erhalten; denn sie rechnen damit, daß die Inserenten und Auftraggeber für die Verteilung von Werbematerial das am Sonntag erscheinende Blatt der Beklagten als Werbeträger bevorzugen. Dieser Wettbewerbsvorsprung ist, wie die Beklagten wissen, unberechtigt, da ihnen die Verteilung ihres Blattes am Sonntag nicht gestattet ist.

Entgegen der Ansicht der Beklagten entfällt das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerinnen an der Geltendmachung ihres Unterlassungsanspruchs nach § 1 UWG nicht deshalb, weil das verwaltungsgerichtliche Verfahren über die Untersagungsverfügung ebenfalls zu einem Verbot des Austragens des Blattes an Sonn- und Feiertagen führen kann; denn im Gegensatz zu einem zivilrechtlichen Urteil gäbe ein verwaltungsgerichtliches Verbot den Klägerinnen keine eigene Möglichkeit, das Verbot zu vollstrecken.

III. Die Revisionen der Beklagten sind somit als unbegründet mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Unterschriften

v. Gamm, Merkel, Erdmann, Teplitzky, Scholz-Hoppe

 

Fundstellen

Haufe-Index 1237569

NJW 1988, 2243

GRUR 1988, 310

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1988, 262

AfP 1988, 31

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