Leitsatz (amtlich)

a) Die Aufrechnung gegen eine durch Urteil titulierte Forderung unterliegt den Einschränkungen, denen sie unterläge, wenn sie im Wege der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) eingewendet worden wäre.

b) Ist eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung des Titelschuldners in entsprechender Anwendung von § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert, wird sie so behandelt, als sei die Aufrechnung nie erklärt worden.

 

Normenkette

BGB § 387; ZPO § 767 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 27.04.2017; Aktenzeichen 3 U 116/14)

LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 24.06.2014; Aktenzeichen 2-14 O 445/12)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 27.4.2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Parteien streiten über die Verteilung des hinterlegten Erlöses einer Teilungsversteigerung i.H.v. 134.087,94 EUR, insb. die auf ihre jeweiligen Anteile entfallenden Verzugszinsen wegen wechselseitig verzögerter Freigabeerklärungen.

Rz. 2

Der Kläger war durch auf mündliche Verhandlung vom 17.12.2010 ergangenes Urteil des OLG Frankfurt vom 30.12.2010 rechtskräftig dazu verurteilt, der Auszahlung des hinterlegten Erlöses i.H.v. 41.997,15 EUR an die Beklagte zuzustimmen sowie Verzugszinsen hieraus seit dem 1.5.2007 und vorgerichtliche Anwaltskosten von 1.530,58 EUR nebst Verzugszinsen an die Beklagte zu zahlen.

Rz. 3

Der Kläger machte den von ihm beanspruchten Anteil an dem Versteigerungserlös von 92.090,79 EUR zunächst nicht gerichtlich geltend. Er rechnete mit Schreiben vom 25.1.2011 mit einem Verzugszinsanspruch wegen der Nichtfreigabe des Hinterlegungsbetrages gegen die titulierten Zahlungsansprüche der Beklagten auf, die er zu diesem Zeitpunkt mit 11.255,90 EUR bezifferte. Die Beklagte rechnete mit Schreiben vom 27.7.2011 mit ihren titulierten Zahlungsansprüchen gegen den Freigabeanspruch des Klägers auf und stimmte der Auszahlung der danach rechnerisch verbleibenden Hinterlegungssumme von 80.119,70 EUR an diesen zu. Im Januar 2012 stimmte die Beklagte der Auszahlung von weiteren 6.165 EUR zu, um prozessuale Kostenerstattungsansprüche des Klägers zu begleichen. Danach wies das Hinterlegungskonto noch einen Bestand von 7.282,68 EUR auf, wovon der Kläger am 2.7.2013 einen Betrag von 1.476,59 EUR zugunsten der Beklagten freigab.

Rz. 4

Der Kläger hat mit der Klage von der Beklagten u.a. verlangt, der Auszahlung des Hinterlegungsbetrages von 7.282,68 EUR nebst Hinterlegungszinsen an ihn zuzustimmen sowie an ihn 15.379,63 EUR und ab dem 27.11.2012 Tageszinsen von 1,70 EUR als Verzugsschadensersatz zu zahlen.

Rz. 5

Das LG hat die Beklagte zur Freigabe von 5.806,09 EUR nebst Hinterlegungszinsen und zur Zahlung von 13.216,31 EUR an den Kläger verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und sie unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung des Klägers zur Zahlung weiterer 1.027,70 EUR für die Zeit vom 1.1.2012 bis zum 30.9.2014 sowie Tageszinsen von 1,43 EUR ab dem 1.10.2014 verurteilt. Dagegen richtet sich die vom BGH zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage begehrt.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 6

Die Revision hat Erfolg.

Rz. 7

Über die Revision ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war. Das Urteil beruht inhaltlich jedoch nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urt. v. 4.4.1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 f.).

Rz. 8

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:

Rz. 9

Die Beklagte sei mit der Freigabe des dem Kläger zustehenden Anteils an dem Versteigerungserlös von 92.090,79 EUR seit dem 23.5.2007 in Verzug gewesen. Mit den sich daraus ergebenden Schadensersatzforderungen habe der Kläger mit Schreiben vom 25.1.2011 wirksam gegen die titulierten Zahlungsansprüche der Beklagten aufgerechnet. Die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede greife nicht, da die älteste Verzugszinsforderung in dem Zeitpunkt, in dem aufgerechnet werden konnte, noch nicht verjährt gewesen sei. Die nachfolgende Aufrechnung der Beklagten mit Schreiben vom 27.7.2011 mit ihren titulierten Zahlungsansprüchen gegen den Freigabeanspruch sei deshalb wirkungslos.

Rz. 10

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

Rz. 11

Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil es auf der rechtsfehlerhaften Annahme beruht, der Kläger habe die titulierten Zahlungsansprüche der Beklagten durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht (§§ 389, 215 BGB). Zwar kann auch gegenüber einem Anspruch, der durch rechtskräftiges Urteil festgestellt worden ist, grundsätzlich aufgerechnet werden. Die Aufrechnung unterliegt dann aber den Einschränkungen, denen sie unterläge, wenn sie im Wege der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) eingewendet worden wäre (vgl. BGH, Urt. v. 25.2.1988 - III ZR 272/85, NJW-RR 1988, 957, 958; Urt. v. 16.8.2007 - IX ZR 63/06, NZI 2007, 575 Rz. 23; Urt. v. 5.7.2013 - V ZR 141/12, NJW 2013, 3243 Rz. 12 ff.; OLG Rostock OLGR Rostock 2003, 565; Schmidt/Brinkmann in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 767 Rz. 83). Die entsprechende Anwendung von § 767 Abs. 2 ZPO in einem nachträglichen Zivilprozess folgt aus der materiellen Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung (BGH, Urt. v. 25.2.1988 - III ZR 272/85, NJW-RR 1988, 957, 958; Schmidt/Brinkmann in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 767 Rz. 83). Die Präklusion der Aufrechnung hat insoweit nicht nur verfahrensrechtliche Wirkung; vielmehr treten auch die materiell-rechtlichen Wirkungen der Aufrechnung nicht ein. Die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen des Titelschuldners werden so behandelt, als sei die Aufrechnung nie erklärt worden (BGH, Urt. v. 5.3.2009 - IX ZR 141/07, NJW 2009, 1671 Rz. 12 m.w.N.; Urt. v. 15.11.2012 - IX ZR 103/11, NJW-RR 2013, 757 Rz. 10).

Rz. 12

Da die wechselseitigen Verzugszinsforderungen hier seit Mai 2007 fortlaufend zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB), hätte der Kläger die bis dahin entstandenen Gegenforderungen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das von der Beklagten erstrittene Urteil erging, aufrechnen können. Die hier zur Aufrechnung gestellten Verzugszinsansprüche des Klägers müssen, da er die titulierten Hauptforderungen der Beklagten zum Zeitpunkt seiner Aufrechnungserklärung am 25.1.2011 mit 11.255,90 EUR beziffert hat, jedenfalls überwiegend vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess am 17.12.2010 entstanden sein. Soweit die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen des Klägers bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess entstanden sind, sind sie so zu behandeln, als sei die Aufrechnung nie erklärt worden. Das Berufungsgericht hätte der zeitlich nachfolgenden Aufrechnung der Beklagten mit ihren titulierten Zahlungsansprüchen gegen den Freigabeanspruch (vgl. zur Gleichartigkeit der Forderungen BGH, Urt. v. 19.10.1988 - IVb ZR 70/87, NJW-RR 1989, 173, 174 m.w.N.) deshalb nicht im Hinblick auf die vorhergehende Aufrechnung des Klägers die Wirksamkeit absprechen dürfen.

Rz. 13

III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO).

Rz. 14

Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, mit welchen Gegenforderungen der Kläger aufgerechnet hat. Dieser Feststellungen bedarf es, weil die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess am 17.12.2010 bis zur Aufrechnungserklärung des Klägers vom 25.1.2011 begründeten Verzugszinsansprüche nicht entsprechend § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert sind. Soweit der Kläger mit diesen Ansprüchen aufgerechnet hätte, ginge die zeitlich nachfolgende Aufrechnung der Beklagten gegen den Freigabeanspruch ins Leere. Diese Feststellungen wird das Berufungsgericht in der neu eröffneten Verhandlung nachzuholen haben. Lässt sich keine Tilgungsbestimmung des Klägers feststellen, sind §§ 396 Abs. 1 Satz 2, 366 Abs. 2 BGB anzuwenden (vgl. BGH, Urt. v. 19.7.2007 - IX ZR 81/06, NZI 2007, 655 Rz. 13).

Rz. 15

Der Gegenstand der Zahlungsklage hängt ebenfalls davon ab, mit welchen Verzugszinsforderungen der Kläger aufgerechnet hat. Denn der Kläger hat seinen Zahlungsanspruch unter Abzug der aufgerechneten Gegenforderungen beziffert. Zudem hat das Berufungsgericht keine Feststellungen zur von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede getroffen.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen das Versäumnisurteil kann die säumige Partei innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung dieses Urteils beginnt, schriftlich Einspruch durch eine von einer beim BGH zugelassenen Rechtsanwältin oder einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnete Einspruchsschrift beim BGH, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe (Postanschrift: 76125 Karlsruhe) einlegen.

 

Fundstellen

NJW 2019, 10

NJW 2019, 3385

WM 2019, 1604

DGVZ 2019, 257

JZ 2019, 688

MDR 2019, 1211

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