Leitsatz (amtlich)

›Enthält ein Urteil des Oberlandesgerichts keinen Tatbestand, so ist es im Revisionsverfahren grundsätzlich aufzuheben, es sei denn, aus den Entscheidungsgründen ergibt sich der Sach- und Streitstand in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfragen ausreichenden Umfang.‹

 

Verfahrensgang

OLG München

LG München I

 

Tatbestand

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs gehört.

Die Beklagte ist ein Kosmetikunternehmen. Sie gibt einen sogenannten Schönheitsratgeber heraus, in dem sie u.a. für Antifalten-Creme wirbt.

Der Kläger hat die Beklagte wegen irreführender Werbung auf. Unterlassung in Anspruch genommen und in erster Instanz beantragt,

die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen

a) Präparate der Sonnenschutz-Linie Meristem im geschäftlichen Verkehr als "Anti-Falten-Creme" oder "Anti-Falten-Konzentrat" zu bezeichnen,

b) Präparate der Gesichtspflege-Linie Riche Creme als "Anti-Falten-Nachtcreme" zu bezeichnen und/oder für derartige Präparate blickfangmäßig wie folgt zu werben: "Der ganze Reichtum der Natur, um Falten wirksam zu bekämpfen."

Das Landgericht hat der Klage mit dem Antrag zu b) stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat es das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung der teilweisen Klageabweisung ebenfalls nach dem Antrag zu b) mit dem Zusatz " (und/oder "ANTIRIDES") " hinter "Anti-Falten-Nachtcreme" verurteilt. Zugleich hat es festgestellt, daß der Wert der Beschwer der Beklagten 40.000,-- DM nicht übersteigt.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der erkennende Senat hat durch Beschluß den Wert der Beschwer der Beklagten auf 60.000,-- DM festgesetzt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1. Das Berufungsgericht hat von einer Darstellung des Tatbestandes gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen und auch nicht auf das Urteil des Landgerichts und die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen, weil es die Sache im Hinblick auf den von ihm festgesetzten Wert der Beschwer als nicht revisibel angesehen hat. Dieser Annahme ist der Boden entzogen, nachdem der erkennende Senat den Wert der Beschwer auf über 40.000,-- DM festgesetzt hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Berufungsurteil grundsätzlich aufzuheben, wenn es keinen Tatbestand enthält (BGHZ 73, 248, 250 ff.); denn einem solchen Urteil kann in der Regel nicht entnommen werden, welchen Streitstoff das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, so daß diese einer abschließenden Überprüfung in der Revisionsinstanz nicht zugänglich ist. Dies gilt auch dann, wenn aus der Sicht des Berufungsgerichts ein Urteilstatbestand entbehrlich erschien, weil das Berufungsgericht sein Urteil mangels Überschreitung der Beschwersumme von 40.000,-- DM für nicht revisibel hielt (BGH, Urt. v. 18.9.1986 - I ZR 179/84, GRUR 1987, 65 - Aussageprotokollierung m.w.N.). Von einer Aufhebung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn das Ziel, die Anwendung des Rechts auf den festgestellten Sachverhalt nachzuprüfen, im Einzelfall erreicht werden kann, weil sich der Sach- und Streitstand aus den Entscheidungsgründen in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage ausreichenden Umfang ergibt (vgl. BGH GRUR 1987, 65 - Aussageprotokollierung; BGH, Urt. v. 12.5.1989 - V ZR 128/88, BGHR ZPO § 543 Abs. 2 - Fehlender Tatbestand 5). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

2. Da der Streit der Parteien nicht ausschließlich um eine Rechtsfrage, sondern darum geht, ob die Werbung für Anti-Falten-Creme in der konkreten Ausgestaltung irreführend ist, müßten die tatsächlichen Voraussetzungen dafür aus dem Urteil hinreichend deutlich und vollständig zu entnehmen sein. Das ist nicht der Fall.

Es fehlt schon an einer vollständigen Wiedergabe der gestellten Anträge (§ 313 Abs. 2 ZPO). Auch diese müssen sich dem Berufungsurteil mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lassen (vgl. BGHR ZPO § 543 Abs. 2 - Fehlender Tatbestand 5). Insoweit bestehen hier Unklarheiten. Nach dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (LGU 5) bezieht sich der in erster Instanz gestellte Unterlassungsantrag sowohl auf Präparate der Sonnenschutz-Linie Meristem als auch der Gesichtspflege-Linie Riche Creme. Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der Werbung für die Gesichtspflege-Linie stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung des Klägers auch hinsichtlich der Sonnenschutz-Linie verurteilen wollen (BU 4 ff. und Kostenentscheidung BU 2). Im Tenor des Berufungsurteils kommt dies aber nicht zum Ausdruck. Denn das Berufungsgericht hat ebenso wie das Landgericht nur nach dem Unterlassungsantrag zu b) tenoriert und den - vom Kläger mit seiner Berufungserwiderung eingeführten - Zusatz "und/oder, ANTIRIDES" eingefügt. Von Präparaten der Sonnenschutz-Linie Meristem, auf die sich der Unterlassungsantrag zu a) bezieht, ist im Tenor keine Rede, obwohl sich das Verbot nach den Entscheidungsgründen auch darauf beziehen soll. Da die Anträge im Berufungsurteil nicht wiedergegeben und auch nicht erörtert werden, bleibt unklar, ob der Verbotsausspruch gemäß dem Antrag zu a) versehentlich unterblieben ist oder nach dem Verständnis des Berufungsgerichts vom Urteilsausspruch gemäß dem Antrag zu b) mitumfaßt sein soll.

Auch sonst läßt sich aus den Entscheidungsgründen kein umfassendes Bild vom Sach- und Streitstand gewinnen, wenn auch die einzelnen Streitpunkte erkennbar sind. Die Entscheidungsgründe geben eine wesentliche Grundlage des Streitverhältnisses, nämlich die streitgegenständliche Werbung in ihrer Gesamtheit und das Vorbringen der Parteien dazu in tatsächlicher Hinsicht, nicht wieder. Der Senat sieht sich deshalb hinsichtlich der Werbung für die Sonnenschutz-Linie Meristem nicht in der Lage, die Berechtigung der Revisionsrüge der Beklagten abschließend zu überprüfen, das Berufungsgericht habe die gebotene Gesamtwürdigung der Werbeaussagen in der Gesamtaufmachung der Anzeige mit ihren blickfangmäßigen Hervorhebungen unterlassen. Das gilt insbesondere für die hier maßgebende Feststellung, bestimmte Werbeangaben im Fließtext sowie die verwendeten Farbfotos ließen den Eindruck entstehen, "daß wenigstens kleine Fältchen zum Verschwinden gebracht werden." Insoweit bestehen zudem Zweifel, ob diese auf die Gesamtaufmachung der Werbung, die in der konkreten Verletzungsform nicht Gegenstand des Klageantrags ist, gestützten Feststellungen überhaupt das vom Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen ausgesprochene Verbot allein der Bezeichnungen "Anti-Falten-Creme" und "Anti-Falten-Konzentrat" rechtfertigen. Denn den Feststel- lungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, daß diese Bezeichnungen bereits als solche - ohne zusätzliche Angaben und Fotos - den irreführenden Eindruck erwecken, die genannten Pflegemittel würden zumindest kleine Fältchen beseitigen. Aber auch die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Gesichtspflege-Linie Riche Creme (BU 6) lassen keine hinreichende Überprüfung der Revisionsrüge zu, die Werbeaussagen seien in ihrer Gesamtheit dahin zu verstehen, daß lediglich mit einer Verringerung der Faltentiefe geworben werde. Das Berufungsgericht hat sich insoweit im wesentlichen auf eine Bezugnahme auf seine vorangegangenen Ausführungen zur Werbung hinsichtlich der Sonnenschutz-Linie beschränkt und sich nicht mit dem beiderseitigen Parteivorbringen auseinandergesetzt. Insbesondere fehlen Feststellungen zur Irreführung der vom Berufungsgericht - aufgrund des vom Kläger in der Berufungsinstanz ergänzten Antrags zu b - verbotenen Bezeichnung "ANTIREDES".

3. Das Berufungsurteil war nach alledem aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993082

NJW 1991, 3038

BGHR ZPO § 543 Abs. 2 Tatbestand, fehlender 7

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