Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtskraft. Präklusionswirkung. Ausschluss der Geltendmachung von im Vorprozess nicht erhobenen Einwänden nach Eintritt der Rechtskraft. Widerspruch zu den Feststellungen des Urteils im Vorprozess. Im Vorprozess festgestelltes und rechtskräftiges Recht zur ordentlichen Kündigung eines Mietverhältnisses wegen Nichteinhaltung der Schriftform. Ausschluss der Leistungsklage auf Mietzins

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Auswirkungen der rechtskräftigen Feststellung des Fortbestehens des Mietverhältnisses auf die nachfolgende Leistungsklage auf Mietzins.

 

Normenkette

ZPO § 322

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Urteil vom 19.02.2002)

LG Chemnitz (Urteil vom 22.02.2001)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Dresden v. 19.2.2002 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil des LG Chemnitz v. 22.2.2001 wird zurückgewiesen.

Der Beklagten werden die Kosten der Berufung und der Revision auferlegt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin macht rückständige und künftige Miete aus einem gewerblichen Mietverhältnis geltend.

Die Beklagte unterzeichnete am 11.9.1996 als Mieterin den ihr von der L. Grundbesitzverwertung GmbH (im Folgenden: L.) als Vermieterin zugeleiteten Mietvertrag über gewerbliche Mieträume im Gewerbeobjekt M. Straße 75 in C. Nach Gegenzeichnung am 15.11.1996 sandte die L. den Mietvertrag an die Beklagten zurück. Der Mietvertrag enthält u. a. folgende Regelungen:

"§ 1 - Mieträume

...

5. Dieser Mietvertrag wird unter der auflösenden Bedingung geschlossen, dass der erste Mietzins vor Übergabe der Mietsache vom Mieter an den Vermieter geleistet worden ist.

§ 2 - Mietzeit und Kündigung

1. Das Mietverhältnis beginnt bei Bezugsfertigkeit/Übergabe und ist fest auf zehn Jahre abgeschlossen. Die Übergabe erfolgt voraussichtlich bis Juni 97 und wird zwei Monate vorher angekündigt.

...

§ 21 - weitere Vereinbarungen

...

6. Die Wertsicherungsklausel gem. Anlage 2 ist Bestandteil des Vertrages.

..."

Am 13.12.1996 unterzeichnete die Beklagte folgende Wertsicherungsklausel:

"Wertsicherungsklausel

Für die ab Übergabe zu zahlende Miete gilt folgende Mietgleitklausel als vereinbart:

Sollte sich der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Lebenshaltungskostenindex für einen 4-Personen-Haushalt von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Stand zum Mietbeginn oder der letzten Mietangleichung (Basis 1985 = 100 Punkte) um 7 % oder mehr nach oben oder nach unten verändern, so ändert sich der Mietzins um 70 % der jeweiligen Indexänderung entsprechend.

..."

Die Klägerin erwarb durch notariellen Vertrag v. 21.11.1996 das Grundstück und wurde am 8.1.1998 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

Die Mietsache wurde am 10. oder 17.6.1997 an die Beklagte übergeben. Am 11.7.1997 zahlte die Beklagte erstmals die vereinbarte Miete. Mit Schreiben v. 17. und 21.9.1999 kündigte die Beklagte den Mietvertrag zum 31.3.2000.

In einem Vorprozess, in dem die Klägerin die Feststellung des Fortbestehens des Mietverhältnisses begehrt hatte, hatte die Beklagte das Zustandekommen eines Mietverhältnisses bestritten, den Eintritt einer auflösenden Bedingung geltend gemacht und sich darauf berufen, dass jedenfalls die ordentliche Kündigung zum 31.3.2000 wirksam sei, weil die Schriftform des § 566 BGB a. F. nicht eingehalten sei und der Vertrag deshalb als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen gelte. Das LG war mit Urt. v. 22.3.2000 (LG Chemnitz v. 22.3.2000 - 2 O 5168/99) vom Zustandekommen des Mietvertrages ausgegangen, hatte den Eintritt einer auflösenden Bedingung verneint und festgestellt, dass das Mietverhältnis ungeachtet der Kündigungserklärungen der Beklagten bis 17.6.2007 fortbestehe. Die Berufung war ohne Erfolg geblieben. Das OLG hatte ausgeführt, die Schriftform sei eingehalten. Deshalb sei der Mietvertrag durch die Kündigungen der Beklagten v. 17. und 21.9.1999 nicht beendet worden. Mit Beschl. v. 27.8.2003 hat der Senat die Annahme der Revision abgelehnt.

Im vorliegenden Verfahren hat das LG im Urkundenprozess mit Vorbehaltsurteil v. 9.11.2000 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 12.064 DM (Monatsmieten für die Monate April bis Juli 2000) nebst Zinsen zu zahlen. Ferner wurde die Beklagte verurteilt, beginnend ab 3.8.2000 bis einschließlich Mai 2007 monatlich, spätestens bis zum 3. Werktag des jeweiligen Monats, 3.016 DM an die Klägerin zu zahlen. Mit Schlussurteil v. 22.2.2001 hat das LG das Vorbehaltsurteil für vorbehaltlos erklärt.

Auf die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil hat das OLG das Vorbehaltsurteil sowie das Schlussurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom OLG zugelassenen Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung.

1. Das OLG hat ausgeführt, doppelte Rechtshängigkeit liege nicht vor. Es handele sich um verschiedene Streitgegenstände. Die Feststellungsklage betreffe nur eine Vorfrage der Leistungsklage. Entgegen der im Vorprozess vertretenen Auffassung sei davon auszugehen, dass die gesetzliche Schriftform nicht eingehalten sei und das Mietverhältnis auf die Kündigung der Beklagten zum 31.3.2000 geendet habe. Zwar werde an der Auffassung im Vorprozess festgehalten, dass es nicht schon deshalb an der Schriftform mangele, weil Beginn und Ende des Mietverhältnisses nicht datumsmäßig erfasst seien, sondern als Beginn in § 2 Nr. 1 lediglich die "Bezugsfertigkeit/Übergabe" angegeben sei, die für voraussichtlich bis Juni 97 "ins Auge gefasst" sei. Weiter halte der Senat daran fest, dass der Mietvertrag nicht dadurch aufgelöst worden sei, dass der Beklagte nicht vor Übergabe der Räumlichkeiten den ersten Mietzins bezahlt habe. Die Regelung in § 1 Ziff. 5 sei nicht als Bedingung anzusehen, sondern enthalte lediglich ein den Anspruch der Beklagten auf Überlassung der Mieträume beschränkendes Zurückbehaltungsrecht des Vermieters. Die Schriftform sei aber deshalb nicht eingehalten, da nicht sämtliche wesentlichen Vereinbarungen in der von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde enthalten seien. Nach § 21 Nr. 6 des Mietvertrages habe die Wertsicherungsklausel gem. Anlage 2 Bestandteil des Vertrages sein sollen. Eine derartige Anlage sei aber bei Abschluss des Vertrages nicht vorhanden gewesen, nicht unterzeichnet und dem Vertrag auch nicht hinzugefügt worden. Damit sei hinsichtlich der Anpassung des vereinbarten Mietzinses, somit hinsichtlich eines wesentlichen Bestandteiles des Mietvertrages, die Schriftform nicht eingehalten. Die Vereinbarung einer Wertsicherungsklausel sei auch nicht unwesentlich. Werde - wie vorliegend - bei Abschluss des Vertrages die Anpassung des Mietzinses vereinbart, so könne dies erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen für beide Vertragsparteien haben.

2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Ohne Erfolg macht die Revision allerdings geltend, in der Berufungsinstanz sei der Rechtsstreit nicht von den gesetzlichen Richtern entschieden worden. Zur Begründung einer Verfahrensrüge nach § 547 Nr. 1 ZPO ist die Angabe der Einzeltatsachen nötig, aus denen sich der Fehler, im vorliegenden Fall das angebliche Fehlen eines ordnungsgemäßen Geschäftsverteilungsplanes i. S. d. § 21g GVG bzw. die Entscheidung durch eine nach dem Geschäftsverteilungsplan nicht zuständige Spruchgruppe, ergibt. Wenn es sich um gerichtsinterne Vorgänge handelt, muss die Revision zumindest darlegen, dass sie zweckentsprechende Aufklärung gesucht hat; die Rüge darf nicht auf bloßen Verdacht hin erhoben werden (BGH, Urt. v. 20.6.1991 - VII ZR 11/91, NJW 1992, 512). Diesen Voraussetzungen genügt der Vortrag der Revision nicht.

b) Zutreffend ist das OLG auch davon ausgegangen, dass dem neuen Verfahren der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht entgegensteht. Doppelte Rechtshängigkeit setzt voraus, dass aus demselben konkreten Lebenssachverhalt dieselbe Rechtsfolge abgeleitet, d. h. der nämliche Antrag gestellt wird (BGH BGHZ 7, 271). Das ist hier nicht der Fall. Im Vorprozess war Streitgegenstand die Feststellung, dass das Mietverhältnis ungeachtet der Kündigungserklärungen der Beklagten bis 17.6.2007 fortbesteht. Im vorliegenden Rechtsstreit macht die Vermieterin demgegenüber den Mietzins geltend. Im Vorprozess war daher nur über die Frage zu entscheiden, ob das Mietverhältnis durch die Kündigung aufgelöst worden ist. Über diese kann das Gericht (des Zweitprozesses) solange frei entscheiden, als über sie nicht (im Erstprozess) rechtskräftig entschieden ist (BGH, Urt. v. 22.1.1964 - V ZR 37/62, NJW 1964, 1316 [1318]).

c) Der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts steht aber nunmehr die inzwischen eingetretene Rechtskraft des Urteils im Vorprozess entgegen. Mit Beschl. v. 27.8.2003 hat der erk. Senat die Annahme der Revision im Vorprozess abgelehnt. Damit ist das Urteil des OLG Dresden v. 31.8.2000 rechtskräftig geworden (vgl. BGH, Urt. v. 24.6.1980 - KZR 12/79, MDR 1981, 26 = NJW 1981, 55). Es steht fest, dass das zwischen den Parteien mit Vertrag v. 15.11.1996 begründete Mietverhältnis ungeachtet der Kündigungserklärungen der Beklagten bis 17.6.2007 fortbesteht. Damit kann der Beklagte nicht mehr mit Erfolg geltend machen, die ordentliche Kündigung v. 17.9.1999 habe das Mietverhältnis beendet, weil für die Anpassung des vereinbarten Mietzinses die Schriftform des § 566 BGB a. F. nicht eingehalten sei. Über die Frage, ob die ordentliche Kündigung v. 17.9.1999 das Mietverhältnis mangels Einhaltung der Schriftform beendet hat, hat das OLG bereits im Vorprozess entschieden. Zwar hatte der Beklagte dort den Formmangel nicht mit der fehlenden Schriftform für die Anpassungsklausel begründet, sondern aus anderen Umständen hergeleitet. Gleichwohl kann der Beklagte diesen im Vorprozess nicht erhobenen Einwand im jetzigen Verfahren nach Eintritt der Rechtskraft nicht mehr geltend machen. Das gebietet die der Rechtskraft innewohnende Präklusionswirkung (BGH v. 7.7.1993 - VIII ZR 103/92, BGHZ 123, 137 ff. = MDR 1993, 1117; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., vor § 322 Rz. 70). Sie bedeutet, dass die Parteien mit allem tatsächlichen Vorbringen ausgeschlossen sind, das im Widerspruch zu den Feststellungen des Urteils im Vorprozess steht. Tatsachen, die im maßgebenden Zeitpunkt des Vorprozesses schon vorhanden waren, aber nicht vorgetragen wurden, sind mit dem Ziel, das "kontradiktorische Gegenteil" der früher festgestellten oder abgelehnten Rechtsfolge auszusprechen, insoweit ausgeschlossen, als sie bei natürlicher Anschauung zu dem im Vorprozess vorgetragenen Lebensvorgang gehören (BGH v. 7.7.1993 - VIII ZR 103/92, BGHZ 123, 137 [141] = MDR 1993, 1117; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., vor § 322 Rz. 70).

Das ist hier der Fall. Der Beklagte hatte im Vorprozess die Nichteinhaltung der Schriftform geltend gemacht und daraus das Recht zur ordentlichen Kündigung hergeleitet. Damit hatte das Gericht darüber zu entscheiden, ob die ordentliche Kündigung v. 17.9.1999 das Mietverhältnis beendet hatte. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, alle für die Beendigung des Mietverhältnisses, nämlich für die Verletzung der Schriftform maßgebenden Tatsachen, vorzubringen. Soweit sie das nicht getan hat, ist sie durch die rechtskräftige Entscheidung, die Schriftform sei eingehalten und die ordentliche Kündigung daher unwirksam, mit dem betreffenden Vortrag ausgeschlossen.

3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist. Die Beklagte schuldet die mit der Klage geltend gemachten Mieten für die Monate April bis Juli 2000i. H. v. 12.064 DM nebst Zinsen. Da der Mietvertrag wirksam ist und bis zum 17.6.2007 fortbesteht, hat sie - wie von der Klägerin beantragt - bis einschließlich Mai 2007 monatlich jew. bis spätestens zum dritten Werktag die vereinbarte Miete von 3.016 DM zu bezahlen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1058764

NJW 2004, 294

BGHR 2004, 52

NZM 2004, 99

WM 2004, 532

ZMR 2004, 24

WuM 2004, 304

GuT 2004, 100

ProzRB 2004, 35

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