Leitsatz (amtlich)

Zum Verhältnis von dispositivem Recht und ergänzender Auslegung von Gesellschaftsverträgen.

 

Normenkette

BGB § 157D

 

Verfahrensgang

OLG Nürnberg (Urteil vom 09.11.1977)

LG Ansbach (Urteil vom 26.11.1976)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Kläger werden das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 9. November 1977 und das Urteil des Landgerichts Ansbach – Kammer für Handelssachen – vom 26. November 1976 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als sie den Hilfsantrag betreffen.

Es wird festgestellt, daß die Parteien in der Zeit vom 24. Oktober 1975 bis 29. März 1977 persönlich haftende Gesellschafter der im Handelsregister des Amtsgerichts Ansbach – HRA … – unter der Firma „V. KG, Vertrieb von mittelfränkischem Sand” eingetragenen offenen Handelsgesellschaft gewesen sind.

Die weitergehenden Rechtsmittel der Kläger werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kaufmann Wilhelm V., seine Ehefrau, die Klägerin zu 1, sowie seine Söhne, der Kläger zu 2 und der Beklagte, gründeten durch Vertrag vom 1. Februar 1963 die „V. KG, Vertrieb von mittelfränkischem Sand”, eine Baustoffhandlung. Wilhelm V. nahm die Stellung eines persönlich haftenden Gesellschafters ein. Die Parteien wurden Kommanditisten. Diese streiten, nachdem Wilhelm V. am 23. Oktober 1975 verstorben ist, über die Rechtsform des Unternehmens. Der Beklagte vertritt den Standpunkt, die Gesellschaft befinde sich seitdem in Liquidation. Die Kläger sind dagegen der Ansicht, daß die Gesellschaft durch den Tod des persönlich haftenden Gesellschafters nicht aufgelöst worden ist. Sie beantragen daher die Feststellung, daß in der Zeit vom 24. Oktober 1975 bis zum 29. März 1977 (als über das Vermögen des Beklagten das Konkursverfahren eröffnet wurde – insoweit haben sie ihren Antrag im Berufungsverfahren zeitlich beschränkt –) die Klägerin zu 1 persönlich haftende Gesellschafterin, der Kläger zu 2 und der Beklagte Kommanditisten der V. KG gewesen sind; hilfsweise, daß die Parteien in dieser Zeit persönlich haftende Gesellschafter gewesen sind. Zur Begründung ihres Antrags beziehen sie sich auf den Gesellschaftsvertrag, dessen § 15 auszugsweise folgenden Inhalt hat:

Abs. 4:

Kündigt ein Gesellschafter die Gesellschaft oder wird er ausgeschlossen, oder fällt er in Konkurs, so wird die Gesellschaft nicht aufgelöst, sondern von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt, falls diese eine Fortsetzung beschließen.

Abs. 5:

Handelt es sich bei dem ausscheidenden Gesellschafter um den Komplementär, so beschließen die Erschienenen zu 2. und 3. und Herr Arnold V. (die Parteien) schon jetzt, die Gesellschaft als offene Handelsgesellschaft fortzuführen, falls nicht einer von ihnen persönlich haftender Gesellschafter wird und die Firma als Kommanditgesellschaft fortgeführt wird.

Für den Tod des Komplementärs enthält der Vertrag keine entsprechende Regelung.

Die Kläger behaupten, die Parteien seien sich nach dem Tod von Wilhelm V. darüber einig gewesen, daß die Gesellschaft fortgesetzt und die Klägerin zu 1 deren persönlich haftende Gesellschafterin werden sollte. Der Beklagte macht geltend, die V. KG befinde sich seit dem Tod seines Vaters kraft Gesetzes und auch deshalb in Liquidation, weil die von ihnen als persönlich haftende Gesellschafterin vorgesehene GmbH nicht gegründet worden sei. Die Gesellschafter hätten zwar stets die Absicht zum Ausdruck gebracht, die V. KG fortzuführen; es sei jedoch keine Einigkeit über die Rechtsform der Gesellschaft erzielt worden.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgen die Kläger ihre Feststellungsanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet, soweit sie sich gegen die Abweisung des Hilfsantrages richtet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

Das Berufungsgericht stellt fest, die Parteien hätten die Gesellschaft nach dem Tod von Wilhelm V. als werbende Gesellschaft fortgeführt. Es sieht sich aber nicht in der Lage festzustellen, in welcher Rechtsform dies geschehen sei. Aus dem Gesellschaftsvertrag ergebe sich für diesen Fall keine Regelung; eine entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages sei nicht möglich, weil die Beteiligten bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages nicht an den Tod des persönlich haftenden Gesellschafters gedacht hätten. Diese Ausführungen sind, wie die Revision mit Recht geltend macht, aus Rechtsgründen nicht haltbar.

Das ist aus mehreren Gesichtspunkten der Fall. Eine den Geschäftsbetrieb nach dem Tode eines Gesellschafters werbend fortführende Kommanditgesellschaft kann kraft Gesetzes (§§ 105, 161 HGB) nur entweder weiterhin Kommanditgesellschaft oder offene Handelsgesellschaft sein. Hierzu steht es im Widerspruch, daß das Berufungsgericht zwar die tatsächliche Fortführung, aber weder die eine noch die andere Rechtsform der Gesellschaft festgestellt hat. Ferner widerspricht es den Auslegungsgrundsätzen des § 157 BGB, daß es hinsichtlich der Rechtsfolgen des Todes des persönlich haftenden Gesellschafters eine Auslegung des Gesellschaftsvertrages über den Wortlaut hinaus nicht für möglich gehalten hat, weil die Gesellschafter bei Vertragsschluß an diesen Fall nicht gedacht hätten. Gerade dann, wenn sie, wie hier, alle anderen wesentlichen Fälle des Ausscheidens eines Gesellschafters geregelt, die Regelungsbedürftigkeit der Folgen des Todes des persönlich haftenden Gesellschafters aber übersehen haben, ist zu prüfen, ob es sich um eine ungewollte Lücke handelt, die durch eine sich sinnvoll ins übrige Vertragswerk einfügende Regelung ausgefüllt werden muß. Soweit sich das Berufungsgericht daran auch deshalb gehindert gesehen hat, weil es zu meinen scheint, in solchen Fällen habe vorrangig die gesetzliche Regelung einzugreifen, ist ihm ebenfalls nicht zu folgen. Das dispositive Gesetzesrecht wird in weiten Bereichen der handelsrechtlichen Personengesellschaften den geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr gerecht. Es ist deshalb seit Jahrzehnten weitgehend von der Vertragspraxis verdrängt worden. Die Anwendung dieser Vorschriften in Fällen, in denen Gesellschafter bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages einen regelungsbedürftigen Punkt nicht bedacht haben, würde deshalb häufig zu sachwidrigen Ergebnissen führen und im Widerspruch zu dem mutmaßlichen Willen der Gesellschafter stehen. Der Gesetzgeber hat diesen jedoch bei der Gestaltung ihrer gesellschaftsvertraglichen Beziehungen im Innenverhältnis bewußt weitgehende Freiheit gelassen.

Nur dadurch ist es möglich, die verschiedensten Gesellschaftsverhältnisse ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechend zu regeln und der wirtschaftlichen Entwicklung gerecht zu werden. Wegen der besonderen Bedeutung der Vertragsfreiheit für das Verhältnis der Gesellschafter untereinander muß in diesem Bereich die ergänzende Vertragsauslegung, die auf den objektivierten mutmaßlichen Willen der Vertragschließenden abstellt und versucht, im Einzelfall eine interessengerechte Lösung zu finden, in aller Regel Vorrang vor dem dispositiven Gesetzesrecht haben. Es ist deshalb immer erst einmal auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrages zu ermitteln, wie die Gesellschafter den offengebliebenen Punkt unter Berücksichtigung des Gebots von Treu und Glauben geregelt hätten, wenn sie bei Abschluß des Vertrages an ihn gedacht hätten (vgl. auch Rob. Fischer, Großkomm. HGB 3. Aufl. § 105 Anm. 59; Flume, Die Personengesellschaft S. 32).

Im vorliegenden Fall führt dies dazu, daß § 15 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages auch beim Tod des persönlich haftenden Gesellschafters anwendbar ist. Die dispositive Regelung der §§ 161 Abs. 2 und 131 Nr. 4 HGB, nach der der Tod des persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft zur Auflösung der Gesellschaft führt, entspricht offensichtlich nicht dem Willen der Gesellschafter, der im Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck gekommen ist. Die V. KG ist als Familienunternehmen, in dem alle Gesellschafter, auch die Kommanditisten, aktiv mitarbeiteten, gegründet worden. Nach § 5 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages hatten der Kläger zu 2 und der Beklagte ihre Arbeitskraft und ihre Dienste in die Gesellschaft einzubringen. Die Arbeit in dem gemeinsamen Unternehmen wurde zum Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit. Dem entspricht es, daß die Vertragspartner den Bestand des Unternehmens in anderen Fällen nicht vom Verbleib des persönlich haftenden Gesellschafters in der Gesellschaft abhängig gemacht haben. Um bei dessen Ausscheiden aus der Gesellschaft den wirtschaftlichen Wert des Unternehmens zu erhalten, sieht § 15 des Gesellschaftsvertrages ausdrücklich vor, daß bei Kündigung der Gesellschaft durch den persönlich haftenden Gesellschafter oder durch dessen Gläubiger, bei der Eröffnung des Konkurs- oder Vergleichsverfahrens über sein Vermögen sowie beim Vorliegen eines wichtigen Grundes, aufgrund dessen einer der Gesellschafter auf Auflösung der Gesellschaft klagen könnte, die Kommanditisten das Unternehmen als offene Handelsgesellschaft fortführen, falls nicht einer von ihnen persönlich haftender Gesellschafter wird.

Diese Bestimmung führt auch beim Tod des persönlich haftenden Gesellschafters, an den die Vertragschließenden nicht gedacht haben, zu der allein interessengerechten Regelung. Aus der Sicht der verbleibenden Gesellschafter besteht, soweit es um die Frage der Auflösung oder Fortsetzung der Gesellschaft geht, kein Unterschied, ob dieser Gesellschafter durch Tod oder aus anderen Gründen aus der Gesellschaft ausscheidet und damit für die Führung der Geschäfte wegfällt. Mit dem Tode von Wilhelm V. ist daher die V. KG kraft Gesellschaftsvertrages in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt worden.

Zu demselben Ergebnis hätte das Berufungsgericht auch ohne Rücksicht auf diese Vertragsauslegung allein schon deshalb kommen müssen, weil es die tatsächliche Fortführung des Handelsgeschäfts durch die Parteien festgestellt hat. Denn auch eine durch den Wegfall des persönlich haftenden Gesellschafters aufgelöste Kommanditgesellschaft wäre, wenn die bisherigen Kommanditisten die werbende Tätigkeit fortgesetzt haben, kraft Gesetzes zur offenen Handelsgesellschaft geworden, weil es eine handelsrechtliche Personengesellschaft ohne einen solchen Gesellschafter nicht gibt. Eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, ist nach § 105 HGB immer offene Handelsgesellschaft, für deren Schulden sämtliche Gesellschafter unbeschränkt und persönlich haften, es sei denn, ihnen gelänge der Beweis, daß ihre Gesellschaft eine andere gesetzlich anerkannte Gesellschaftsform besitzt (Fischer a.a.O. § 105 Anm. 20 und 20 a).

Eine solche andere gesetzlich anerkannte Gesellschaftsform, insbesondere die einer Kommanditgesellschaft, läßt sich aber nach dem Vortrag der Kläger nicht feststellen. § 15 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages sah zwar die Möglichkeit vor, die Firma als Kommanditgesellschaft fortzuführen. Die Kläger behaupten auch, kurze Zeit nach dem Tode des Komplementärs hätten die Parteien beschlossen, die Gesellschaft in der bisherigen Form unter gleichzeitigem Eintritt der Klägerin zu 1 als Komplementärin fortzuführen. Obwohl der Beklagte dies bestreitet, haben sie jedoch für ihre Behauptung keinen Beweis angetreten.

Sie haben nicht einmal vorgetragen, wann und unter welchen Umständen dieser Beschluß gefaßt sein soll. Die Einigung über die Fortsetzung der Gesellschaft als Kommanditgesellschaft mit der Klägerin zu 1 als persönlich haftende Gesellschafterin ist auch nicht etwa, wie die Kläger meinen, in § 15 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages vorweggenommen. Dies ergibt sich schon daraus, daß der Vertrag nicht bestimmt, wer persönlich haftender Gesellschafter werden soll.

Die Klage hat danach zwar nicht nach dem Hauptantrag der Kläger, wohl aber nach ihrem Hilfsantrag Erfolg. Da es sich nur um eine Feststellung des Gesellschaftsverhältnisses für die Zeit vor dem Konkurs des Beklagten handelt und der danach in die Verwaltung des Konkursverwalters gefallene Abfindungsanspruch des Beklagten unberührt bleibt, konnte die Feststellung dem Beklagten gegenüber persönlich ohne Rücksicht auf dessen Konkurs getroffen werden.

Bei der Kostenentscheidung hat der Senat von der Vorschrift des § 92 Abs. 2 ZPO Gebrauch gemacht.

 

Unterschriften

Stimpel, Dr. Schulze, Dr. Bauer, Dr. Kellermann, Dr. Skibbe

 

Fundstellen

Haufe-Index 1722812

Nachschlagewerk BGH

DNotZ 1979, 354

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