Leitsatz (amtlich)

›Das Aushandeln und der Abschluß eines umfassenden Vollstreckungsvergleichs durch einen Rechtsanwalt dient der notwendigen Wahrnehmung rechtlicher Interessen des Vollstreckungsschuldners.‹

 

Verfahrensgang

LG Hamburg

OLG Hamburg

 

Tatbestand

Die beklagte Rechtsschutzversicherung weigert sich, der Klägerin, ihrer Versicherungsnehmerin, eine Rechtsanwalts-Kostenrechnung über einen Vollstreckungsvergleich in Höhe von 5.717,10 DM zu erstatten. Für den 1973 abgeschlossenen Versicherungsvertrag gelten die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) unter Einschluß der Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gemäß § 26 Abs. 4 ARB.

Die Klägerin schuldete aus einem Baudarlehen der Volksbank W. 179.732,74 DM nebst seit. dem 1. Juli 1985 aufgelaufener Zinsen. Die Volksbank erwirkte einen Titel. Die Klägerin legte Erinnerung gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung ein, die zurückgewiesen wurde. Auf ihre Vollstreckungsabwehrklage wurde zwar zunächst die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt, wogegen die Volksbank erfolglos Beschwerde erhob. Jedoch unterlag die Klägerin mit dieser Klage in allen Instanzen. Für die Kosten dieser Verfahren kam die Beklagte auf.

Die Klägerin beauftragte dann ihren Rechtsanwalt, einen Vollstreckungsvergleich herbeizuführen. Dieser schloß im Herbst 1986 mit dem Justitiar der Volksbank eine auf sechs Seiten in zehn Paragraphen niedergelegte Vereinbarung. Danach mußte die Klägerin zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche der Bank 75.000 DM in monatlichen Raten von 500 DM ab Dezember 1986 zahlen, jedoch nach dem sogenannten Besserungsschein mehr als diese Beträge, falls sich ihr jeweils nachzuweisendes Jahreseinkommen von 58.500 DM um mehr als 10% erhöhte oder falls die Klägerin innerhalb der nächsten 12 1/2 Jahre durch Schenkung, Erbschaft oder einen Lottogewinn usw. erhebliches Vermögen erwerben sollte. Ferner enthält die Vereinbarung unter anderem für den Fall des Ratenverzugs eine näher geregelte Verfallklausel und die Verpflichtung der Bank, die Löschung der Klägerin im Schuldnerverzeichnis herbeizuführen und zu belegen.

Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage auf Zahlung des Rechnungsbetrages nebst Zinsen stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Beklagte muß die der Klägerin entstandenen Kosten für den Vollstreckungsvergleich gemäß §§ 26 Abs. 4, 14 Abs. 3, 1 Abs. 1, 2 Abs. 3 Buchst. b ARB tragen. Die Klägerin wurde von der Bank aus dem Darlehensvertrag, einem schuldrechtlichen Vertrag, in Anspruch genommen. Weil sie ihre Schuld nicht zahlte, ist der Versicherungsfall eingetreten.

1. Zutreffend haben die Vorinstanzen die Frage bejaht, ob mit dem Abschluß des Vollstreckungsvergleichs für die notwendige Wahrnehmung rechtlicher Interessen der Klägerin gesorgt wurde.

Dies ergibt die Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 der bundesweit verwendeten ARB.

a) Die Beklagte will die Geltung von § 1 Abs. 1 Satz 1 ARB dahin einschränken, daß dann, wenn sich die Wahrnehmung rechtlicher und wirtschaftlicher Interessen des Versicherungsnehmers überschneiden und letzteren das Schwergewicht zukommt, der Versicherer nicht einzutreten braucht (Prölss in Prölss/Martin, VVG 24. Aufl. ARB § 1 Anm. 1 a.E.; Harbauer, ARB 4. Aufl. § 1 Rdn. 4 und Böhme, ARB 8. Aufl. § 1 Rdn. 3a, jeweils m.w.N.).

Auf einen solchen vom Versicherer möglicherweise verfolgten, aber nicht in der Klausel offenbar gewordenen Regelungszweck kommt es jedoch nicht an. Maßgebend für die Auslegung ist vielmehr nach ständiger Rechtsprechung des Senats, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht und verständiger Würdigung die Fassung der Klausel unter Berücksichtigung des dabei erkennbar werdenden Sinnzusammenhangs verstehen muß (Urteil vom 2.10.1985 - IVa ZR 184/83 - VersR 1986, 177 und Urteil vom 5.7.1989 - IVa ZR 24/89 - VersR 1989, 908 unter II).

Nach diesen Maßstäben kann § 1 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht in dem von der Beklagten geforderten Sinn ausgelegt werden. Die Verfolgung rechtlicher Interessen, die nicht auch der Wahrnehmung sonstiger Interessen dient, etwa familiärer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, religiöser oder staatspolitischer Art, ist nur schwer vorstellbar. Es ist deshalb nicht einsichtig, daß gerade der Begriff des "wirtschaftlichen" Interesses in einer Rechtsschutzversicherung ein besonderes Abgrenzungskriterium abgeben könnte. Jedenfalls entnimmt der aufmerksame Leser dem ohne weitere Kennzeichnung verwendeten Begriff "rechtliche Interessen" - dem nicht etwa andere Interessen entgegengestellt werden - keine Einschränkung. Er darf erwarten, daß der Versicherer ausdrücklich in seinem Bedingungswerk klarstellt, er werde nicht oder nicht immer zahlen, wenn die Verfolgung rechtlicher Interessen in ihrem Schwerpunkt der Wahrnehmung wirtschaftlicher oder sonstiger Interessen dient. Der Leser wird auch beachten, daß nach § 4 ARB eine beträchtliche Reihe von rechtlichen Interessen in ihrer Wahrnehmung vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, und daß die besonderen Bestimmungen der §§ 21ff. ARB in Verbindung mit dem Versicherungsschein weitere Einschränkungen enthalten.

b) Daß mit dem Abschluß des Vollstreckungsvergleichs (jedenfalls auch) rechtliche Interessen der Klägerin wahrgenommen worden sind, hat das Landgericht mit Recht als "offenkundig" bezeichnet, und wird auch von der Revision nicht bezweifelt. Wird wie hier ein Anwalt mit dem Aushandeln und dem Abschluß eines solchen umfassenden Vollstreckungsvergleichs von dem mit der Vollstreckungsabwehr bislang erfolglosen Mandanten beauftragt, dann gehört dieses Mandat in das typische Aufgabengebiet eines Rechtsanwalts (vgl. BGHZ 46, 268, 271; Senatsurteil vom 16.2.1977 - IV ZR 55/75 - WM 1977, 551 unter I 1 und Urteil vom 10.6.1985 - III ZR 73/84 - WM 1985, 1401 = NJW 1985, 2642 unter II, jeweils m.w.N.). Ob andere Personen eine solche Aufgabe ohne Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz wahrnehmen könnten, erscheint fraglich.

c) Die Revision meint, dieser Auftrag an den Anwalt sei nicht "notwendig" im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 ARB gewesen. Ein Rechtsstandpunkt, der sich bereits durchgesetzt habe, könne keinen weiteren als den bereits verwirklichten Erfolg mehr haben. Bei Umgestaltung einer Rechtslage sei der Beistand eines Rechtskundigen erst dann notwendig, wenn diese aus rechtlichen Gründen sich als geboten erweise. Das Berufungsgericht habe aber nicht ausgeführt, aufgrund welcher zumindest vertretbaren rechtlichen Überlegung die Umgestaltung der Rechtslage hier veranlaßt gewesen sei.

Diese Überlegungen können der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Allerdings zeigt die Formulierung von § 1 Abs. 1 Satz 2 ARB, daß Versicherungsschutz unter den dem § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO entsprechenden Voraussetzungen gewährt werden soll; also hat im Falle einer Klageerhebung eine Schlüssigkeitsprüfung und bei der Verteidigung gegen eine Klage eine Erheblichkeitsprüfung stattzufinden (dazu Senatsurteil vom 16.9.1987 - IVa ZR 76/86 - VersR 1987, 1186). Daraus folgt aber nicht, daß die Wahrnehmung rechtlicher Interessen nicht mehr in Frage kommen kann, wenn die Rechtslage z.B. durch einen Vorprozeß bereits geklärt ist. Schon weil spätere Veränderungen in tatsächlicher Hinsicht Einfluß auf die Rechtslage haben können - sei es zwangsläufig, sei es, daß sie eine rechtliche Umgestaltung nahelegen - kann für das Begehren nach Veränderung einer Rechtslage Erfolgsaussicht bestehen. Hier kommt hinzu, daß es nicht um die Beurteilung der Chancen in einem Aktiv- oder Passivprozeß ging. Vielmehr waren rechtliche Interessen aus einem schuldrechtlichen Vertrag im Rahmen der Zwangsvollstreckung wahrzunehmen. Gerade ein immer erneuten Pfändungsversuchen ausgesetzter Vollstreckungsschuldner wird häufig ein besonderes Interesse daran haben, seine rechtliche Stellung gegenüber dem Gläubiger zu verbessern und zu festigen. Ob er dabei auf die ihm verbliebenen, möglicherweise schwachen rechtlichen Argumente oder auf die den Rechtszustand beeinflussenden besonderen tatsächlichen Umstände hinweist, ist ohne Bedeutung. Das zeigt der vorliegende Fall. Der Anwalt der Klägerin hat trotz erfolgloser Vollstreckungsabwehrklage im wesentlichen aufgrund des Angebots regelmäßiger Ratenzahlung und des Besserungsscheines unter anderem den Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen, eine künftige Herabsetzung der Forderung auf weniger als 3/7 und die Löschung im Schuldnerverzeichnis erreicht. Die Rechtsposition der Klägerin wurde also durch diese Vereinbarung entscheidend geändert und verbessert.

d) Schließlich ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß der Tatrichter die Frage nach der Notwendigkeit rechtlicher Interessenwahrnehmung für den Fall einer einfachen Stundung offengelassen und jedenfalls Rechtsbeistand wegen des hier in Rede stehenden Vollstreckungsvergleiches für erforderlich gehalten hat. Er führt aus, dieser enthalte über die Stundung hinaus einen bedingten Erlaß eines großen Teiles der Schuld und den sogenannten Besserungsschein mit der Verpflichtung der Klägerin, jährlich ihre Einkommensverhältnisse in bestimmter Weise zu belegen. Insbesondere auf die mit dem Besserungsschein zusammenhängenden Regelungen habe die Klägerin nicht ohne juristische Hilfe kommen oder aber sich einlassen können. Rechtsbeistand habe sie auch für eine klare Formulierung des Vertragsinhalts zur Vermeidung späterer Auslegungsstreitigkeiten gebraucht.

Diese überzeugende Begründung kann noch um den Hinweis auf die von der Beklagten zu belegende Löschung im Schuldnerverzeichnis ergänzt werden. Die Revision kann ihr nicht mit der Erwägung begegnen, für die Revisionsinstanz sei zu unterstellen, daß die Regelung von der Bank vorgeschlagen und nicht von der Klägerin entworfen worden sei. Denn unstreitig wurde sie vom Anwalt der Klägerin in Verhandlungen mit dem Justitiar der Bank erreicht. Also waren auf beiden Seiten Juristen für das Aushandeln und zur Formulierung tätig.

2. Der Senat folgt auch der Auffassung der Vorinstanzen, daß die Regelung des § 2 Abs. 3 Buchstb. b ARB den Erstattungsanspruch nicht ausschließt.

Nach dieser Klausel trägt der Versicherer nicht die Kosten der Zwangsvollstreckung für mehr als drei Anträge auf Vollstreckungsabwehr. Der Vollstreckungsvergleich war - wenn er überhaupt als Antrag im Sinne dieser Regelung aufgefaßt werden kann - allenfalls der dritte Antrag. Landgericht und Oberlandesgericht führen mit Recht aus, die Klägerin habe bis zum Vollstreckungsvergleich erst zwei Anträge gestellt, einmal die Erinnerung gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung, zum anderen die fehlgeschlagene Vollstreckungsabwehrklage. Für den Versicherungsnehmer als Schuldner sind Erinnerungen nach § 766 ZPO ebenso ein Antrag auf Vollstreckungsabwehr wie die Abwehrklage des § 767 ZPO - (Harbauer, ARB 4. Aufl. § 2 Rdn. 192 und 195; vgl. auch Böhme, ARB 8. Aufl. § 2 Rdn. 44). Das im Rahmen der Abwehrklage geführte Verfahren zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung einschließlich der dagegen von der Bank eingelegten Beschwerde gehörte zum Hauptsacheverfahren. Diese von der Revision erfolglos angegriffene Überlegung des Tatrichters wird nicht nur durch § 37 Nr. 3 BRAGO gestützt.. Danach gehört die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung zum Rechtszug. Vielmehr ergibt sich der Deckungsumfang unmittelbar aus § 1 Abs. 1 ARB, wonach sich die Versicherung auf notwendige Nebenverfahren bis zum Ende der notwendigen Interessenwahrnehmung, also auch für die weiteren Instanzen erstreckt (Harbauer, ARB 4. Aufl. § 2 Rdn. 20).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993673

NJW 1991, 2644

LM H. 4/92 A VB f. Rechtsschutz Vers. Nr. 21

BGHR AVB Rechtsschutzversicherung (ARB) § 1 Abs. 1 Satz 1 Vollstreckungsvergleich 1

BGHR AVB Rechtsschutzversicherung (ARB) § 2 Abs. 3 lit. b, Vollstreckungsabwehr 1

NJW-RR 1992, 92

VersR 1991, 919

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