Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückweisung des Antrags auf Unterbringung.

Nach den Feststellungen des Landgerichts besuchte der heute 41jährige Beschuldigte acht Jahre die Sonderschule, danach eine beschützende Werkstatt, wo er erstmals durch aggressive Reaktionen gegenüber Betreuern und Eltern auffiel. 1973 wurde er Im Alter von 16 Jahren in ein psychiatrisches Krankenhaus für Kinder und Jugendliche eingewiesen. Seit über 20 Jahren ist er mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts in der Westfälischen Klinik für Psychiatrie in Warstein untergebracht. Dort gilt er als der "schwierigste Patient", da er sich gegenüber Mitpatienten und dem Pflegepersonal häufig aggressiv verhält, was bereits im Jahre 1992 vorübergehend zu einer Dauerfixierung in einem abgesonderten Zimmer geführt hat.

Psychopharmakologische Behandlungsmethoden verliefen ohne nennenswerten Erfolg. Eine längere Einzeltherapie in den Jahren 1993/1994, die jedoch wegen Erkrankung des Therapeuten eingestellt und nicht fortgesetzt wurde, brachte eine vorübergehende Besserung. Eine aus therapeutischen Gründen erfolgte Verlegung des Beschuldigten in die Psychiatrie in Marsberg im Mai 1995 blieb erfolglos und wurde nach nur zwei Monaten rückgängig gemacht. Seitdem ist der Beschuldigte praktisch dauerfixiert.

Gegenstand des Sicherungsverfahrens sind aggressive Verhaltensweisen des Beschuldigten unmittelbar vor der vorübergehenden Verlegung nach Marsberg. Zwischen Januar und Mai 1995 hat er in insgesamt 15 Fällen Angehörige des Pflegepersonal schmerzhaft an Armen und Brust "gekniffen", gekratzt, an den Haaren gerissen oder auf den Kopf bzw. ins Gesicht geschlagen.

Die Strafkammer hat sachverständig beraten festgestellt, daß der Beschuldigte für sein Tun strafrechtlich nicht verantwortlich ist. Seine geistige Behinderung infolge eines frühkindlichen Gehirnschadens und die jahrzehntelange Hospitalisierung machen ihm eine Konfliktverarbeitung unmöglich und sind Ursache seiner permanenten krankheitsbedingten und von ihm nicht beeinflußbaren Aggression. Eine Besserung seines Zustandes und damit verbunden eine Verhaltensänderung ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten.

Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Allerdings hat der Beschuldigte rechtswidrige Taten, nämlich Körperverletzungen, im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen. Angesichts seines Krankheitsbildes sind von ihm auch künftig weitere vergleichbare Handlungen zu erwarten, die erheblich im Sinne des § 63 StGB sind und keine bloßen Belästigungen oder Lästigkeiten darstellen (vgl. Tröndle StGB 48. Aufl. § 63 Rdn. 8). Damit ist er - jedenfalls seine derzeitige Unterbringung außer Betracht gelassen - für die Allgemeinheit gefährlich (vgl. auch BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 21).

2. Der Unterbringung nach § 63 StGB steht aber im Hinblick darauf, daß der Beschuldigte bereits auf anderer Rechtsgrundlage untergebracht ist, unter den hier gegebenen Umständen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) entgegen.

Zwar hindert die zivilrechtliche Unterbringung - wie auch eine solche nach, den landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen - grundsätzlich die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB nicht; beide Unterbringungen können nebeneinander bestehen (vgl. BGHSt 24, 98; BGHR § 63 Gefährlichkeit 6).

Regelmäßig gibt eine auf anderer Rechtsgrundlage erfolgte Unterbringung ledigIJch Anlaß zu der Prüfung, ob die Vollstreckung der daneben gemäß § 63 StGB anzuordnenden Maßregel erforderlich ist oder gemäß § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. BGHSt 34, 313, 316; BGHR StGB § 67 b Abs. 1 besondere Umstände 3; Horstkotte in LK StGB 10. Aufl. § 67b Rdn. 68 ff).

Diese Grundsätze können aber nur Geltung beanspruchen, wenn die strafrechtliche Unterbringung aus Anlaß von Taten in Frage steht, züi denen es vor der konkurrierenden (zivilrechtlichen oder polizeirechtlichen) Unterbringung oder während einer Unterbrechung einer solchen Maßnahme gekommen ist. Hat der Beschuldigte die krankheitstypischen und krankheitsbedingten Anlaßtaten hingegen - wie hier - im Rahmen einer bereits aus anderen Gründen angeordneten Unterbringung begangen und sind Tatopfer die Angehörigen des Pflegepersonals, dem seine ihn und die Allgemeinheit schützende Betreuung obliegt, so bleibt in der Regel für die Maßnahme nach § 63 StGB als Rechtsfolge kein Raum.

Das Verhalten eines seit über 20 Jahren in einer psychiatrischen Klinik dauerhaft Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen,und aggressiven Patienten geschulten Personal ist für eine wertende Betrachtung nicht gleichzusetzen mit Handlungen, die ein schuldunfähiger oder vermindert schuldfähiger Täter im Leben in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder ihm nahestehenden Personen begeht. Solche Taten verlangen - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel.

Freilich käme auch mit Blick auf § 62 StGB - in den hier in Rede stehen Fallgestaltungen eine Anordnung nach § 63 StGB in Betracht, wenn davon ausgegangen werden könnte, daß der Beschuldigte in einer forensischen Klinik sicherer untergebracht ist oder in einer für ihn weniger belastenden Weise. Dafür spricht indes hier nichts. Durch die "praktische Dauerfixierung" in der derzeitigen Unterbringung beschränkt sich die von dem Beschuldigten für Personal und Mitbewohner ausgehende Gefahr auf das geringstmögliche Maß. Daß diese Unterbringung trotz der offensichtlichen Aggressionsneigungen des Beschuldigten - mit der Folge nicht hinnehmbarer Gefahren für die Allgemeinheit - beendet werden könnte, ist auszuschließen. Die Beendigung der zivilrechtlichen Unterbringung ist nicht zu besorgen. Die Betreuerin des Beschuldigten untersteht der Aufsicht des Vormundschaftsgerichts, das bei Pflichtwidrigkeiten - um eine solche würde es sich beim Betreiben der Entlassung eines gefährlichen Betreuten handeln (vgl. Diederichsen in Palandt BGB 57. Aufl. § 1837 Rdn. 16) - einschreiten müßte (§ 1837 Abs. 2 BGB). Darüber hinaus obliegen auch dem Gesundheitsamt Überwachungspflichten (§ 9 PsychKG NRW vom 2.12.1969, GVBl. S. 872), so daß nicht zu befürchten ist, daß der Beschuldigte unkontrolliert entlassen und damit möglicherweise für die Öffentlichkeit gefährlich wird. Was umgekehrt die Belastungen für den Beschuldigten anbelangt, wäre auch in einer forensischen Klinik unter den gegebenen Umständen eine Dauerfixierung unabweislich.

Der Hinweis des Landgerichts darauf, daß das Pflegepersonal entmutigt sei, rechtfertigt keine andere Betrachtung.

Dieser Umstand kann nicht dazu führen, einen überdurchschnittlich "schwierigen Patienten", der in dem für den Maßregelvollzug zuständigen Krankenhaus für Arzte und Pflegepersonal nicht weniger belastend sein wird, strafrechtlich unterzubringen (vgl. BGHR StGB § 67b Abs. 1 besondere Umstände 3). Sinn und Zweck des Maßregelvollzugs ist es nicht, allgemeine psychiatrische Krankenhäuser von besonders schwierigen - möglicherweise gerade als Folge der langdauernden Unterbringung zunehmend zu schwereren Aggressionsausbrüchen neigenden - Kranken zu entlasten, um so personelle, sachliche oder organisatorische Defizite, die eine Gefährdung des Pflegepersonals zur Folge haben, auszugleichen.

3. Da weitere Feststellungen, die für die Beurteilung von Erheblichkeit und Verhältnismäßigkeit bedeutsam werden könnten, nicht zu erwarten sind, entscheidet der Senat in der Sache selbst und lehnt den Antrag auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus ab.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993521

NStZ 1998, 405

R&P 1998, 204

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