Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnungseigentumssache: Veräußerungsvertrag über Wohnungseigentum und unwirksame Freizeichnung von Gewährleistungspflichten

 

Leitsatz (amtlich)

Eine in einem – vor Inkrafttreten des AGBG abgeschlossenen –Formularvertrag enthaltene Freizeichnungsklausel, in der der Veräußerer einer noch zu errichtenden Eigentumswohnung – ohne gleichzeitig seine Gewährleistungsansprüche gegen die Baubeteiligten abzutreten – seine eigene Gewährleistungspflicht gegenüber dem Erwerber auf den Umfang beschränkt, „in dem er von Dritten, insbesondere den Bauhandwerkern, Ersatz oder Erfüllung von Gewährleistungsansprüchen verlangen kann”, ist unwirksam (im Anschluß an BGHZ 62, 251; 67, 101).

Eine solch formelhafte Freizeichnung ist gemäß § 242 BGB auch in einemIndividualvertrag über den Erwerb neuerrichteter oder noch zu errichtender Eigentumswohnungen und Häuser unwirksam, wenn sie nicht mit den Erwerbern unter ausführlicher Belehrung über die einschneidenden Rechtsfolgen eingehend erörtert worden ist (im Anschluß an BGHZ 74, 204, 209; BGH NJW 1982, 2243; 1984, 2094; Urt. vom 20. Februar 1986 – VII ZR 318/84 = BauR 1986, 345 = ZfBR 1986, 120).

 

Normenkette

BGB § § 459 ff., § 633 ff.

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 11.11.1985; Aktenzeichen 21 U 213/85)

LG Berlin (Urteil vom 18.12.1984; Aktenzeichen 3 O 474/83)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Teilurteil des 21. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 19. November 1985 insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe von 51.132,71 DM nebst Zinsen (Mängel am Terrassenbelag) abgewiesen worden ist.

In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die gesamten Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagte errichtete 1979/80 eine Wohnungseigentumsanlage mit sieben Wohnungen, aus denen vier Wohneinheiten gebildet wurden. Zwei zu einer Einheit zusammengefaßte Wohnungen veräußerte sie mit gleichlautenden „Kaufverträgen” vom 8. März 1977 an den Kläger und dessen damalige Ehefrau, wobei der Kläger und seine Ehefrau je eine Wohnung erwarben. In § 6 der Verträge ist u. a. folgendes geregelt:

„Für die Güte der auf dem Grundstück zu errichtenden Baulichkeiten haftet die Verkäuferin in demjenigen Umfange, in dem sie von Dritten, insbesondere den Bauhandwerkern, Ersatz oder Erfüllung von Gewährleistungsansprüchen verlangen kann.

Auf die Dauer der Gewährleistungsfristen ist die Verkäuferin verpflichtet, die ihr zustehenden Ansprüche gegen die Bauhandwerker durchzusetzen und die Ausführung der Gewährleistungsarbeiten zu überwachen. Sie ist auch berechtigt, die vorstehend genannten Ansprüche jederzeit an die Käuferin abzutreten…”

In der Baubeschreibung waren für die Wohnanlage Außenanlagen mit Pkw-Abstellplätzen vorgesehen. Abweichend hiervon wurde jedoch eine Tiefgarage gebaut, an deren Kosten sich der Kläger mit 25.000,– DM beteiligte.

Der Kläger – der von seiner früheren Ehefrau das Eigentum an der einen Wohnung sowie sämtliche Ansprüche gegen die Beklagte erworben hat – behauptet, die Tiefgarage reiche nur für drei, nicht aber – wie bei vier Wohneinheiten notwendig – für vier Kraftfahrzeuge aus. Auch seien die Fußböden der Terrassen einer Wohnung nicht ordnungsgemäß verfugt. Mit der Klage, die er im Berufungsverfahren wegen angeblicher weiterer Mängel erweitert hat, verlangt er deshalb u. a. Rückzahlung der für die Tiefgarage geleisteten 25.000,– DM sowie Kostenvorschuß bzw. Schadensersatz in Höhe von 51.132,71 DM, jeweils nebst Zinsen.

Das Landgericht hat die auf diese Ansprüche gestützte Klage abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Kammergericht in einem Teilurteil zurückgewiesen und die Entscheidung über die Kosten dem Schlußurteil vorbehalten.

Mit der Revision hat der Kläger die vor dem Landgericht geltend gemachten Ansprüche weiterverfolgt. Der Senat hat daraufhin mit Beschluß vom 22. Januar 1987 – unter Nichtannahme im übrigen – das Rechtsmittel insoweit angenommen, als die Klage in Höhe von 51.132,71 DM nebst Zinsen (Mängel am Terrassenbelag) abgewiesen worden ist. In diesem Umfang hält der Kläger seinen Revisionsantrag aufrecht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung war die Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertreten. Der Kläger bittet deshalb um Erlaß eines Versäumnisurteils.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht nimmt an, ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen angeblich mangelhafter Terrassenbeläge scheitere an § 6 des von den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrages. Nach dieser Bestimmung stehe dem Kläger gegenwärtig ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht zu. Der Beklagten werde durch den Vertrag die Möglichkeit eröffnet, zunächst die von ihr eingesetzten Bauhandwerker zur Mängelbeseitigung heranzuziehen. Da sie gegen die rechtshängige Werklohnforderung des Steinmetzmeisters, der den Terrassenbelag ausgeführt habe, mit einem Kostenvorschuß aufrechne und der Ausgang dieses Rechtsstreits ungewiß sei, sei ein unmittelbarer Schadensersatzanspruch des Klägers nicht gegeben.

Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob die am 8. März 1977 – also vor Inkrafttreten des AGBG – zwischen den Parteien bzw. zwischen der damaligen Ehefrau des Klägers und der Beklagten abgeschlossenen, inhaltlich völlig übereinstimmenden „Kaufverträge” Formularverträge oder Individualverträge sind. Es hat insbesondere keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Beklagte den Vertragstext nur gegenüber dem Kläger und seiner damaligen Ehefrau verwendet hat oder ob der Vertrag unverändert auch der Veräußerung der übrigen Eigentumswohnungen an die anderen Erwerber zugrundegelegt worden ist, wofür allerdings manches spricht. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Als Teil eines Formularvertrags ist die in § 6 der „Kaufverträge” enthaltene Freizeichnungsklausel gemäß § 242 BGB unwirksam. Gleiches gilt bei Annahme eines Individualvertrags; denn als formelhafte Klausel kann die Gewährleistungsregelung des § 6 nur unter bestimmten, bisher nicht festgestellten Voraussetzungen als wirksam angesehen werden.

2. Der Bundesgerichtshof hat vor Inkrafttreten des AGBG eine in einemFormularvertrag enthaltene Freizeichnungsklausel, in der der Veräußerer einer neu errichteten oder noch zu errichtenden Eigentumswohnung seine eigene Gewährleistungspflicht gegenüber dem Erwerber ausschließt und gleichzeitig seine Gewährleistungsansprüche gegen die Baubeteiligten an den Erwerber abtritt, dahin ausgelegt, daß die Eigenhaftung des Veräußerers nur insoweit abbedungen ist, als sich der Erwerber aus den abgetretenen Ansprüchen gegen die Baubeteiligten schadlos halten kann (BGHZ 62, 251; 74, 258, 270 m.N.; Senatsurteile vom 11. Juli 1974 – VII ZR 75/72 = BauR 1975, 133, 135 und vom 13. Januar 1975 – VII ZR 194/73 = BauR 1975, 206, 207; vgl. a. Senatsurteile NJW 1982, 169, 170 u. 1982, 2243, jeweils m.w.N.). In Fortführung dieser Rechtsprechung hat er weiter angenommen, daß eine solche Freizeichnungsklausel dann unwirksam ist, wenn der Veräußerer einerseits seine eigene Gewährleistungspflicht gegenüber dem Erwerber auf den Umfang beschränkt, in dem er die Baubeteiligten „mit zweifelsfrei begründeter Erfolgsaussicht” in Anspruch nehmen kann, andererseits sich durch Abtretung aller Ansprüche gegen die am Bau Beteiligten von jeder Haftung befreien will, weil damit eine Haftung gerade auch für den Fall ausgeschlossen sein soll, daß eine Schadloshaltung nicht möglich ist (BGHZ 67, 101, 103/104; vgl. a. Senatsurteil NJW 1977, 1336, 1337, insoweit in BGHZ 68, 372 nicht abgedruckt).

Danach ist die Gewährleistungsregelung des § 6 der „Kaufverträge” als Freizeichnungsklausel einesFormularvertrags unwirksam. Mit dieser Klausel beschränkt die Beklagte ihre Gewährleistungspflicht auf den Umfang, in dem sie „von Dritten, insbesondere den Bauhandwerkern, Ersatz oder Erfüllung von Gewährleistungsansprüchen verlangen kann”. Gleichzeitig tritt sie nicht etwa ihre Ansprüche gegen die Baubeteiligten an den Erwerber ab. Sie verpflichtet sich lediglich, „auf die Dauer der Gewährleistungsfristen” die ihr zustehenden Ansprüche gegen die Bauhandwerker durchzusetzen und behält sich vor, diese Ansprüche jederzeit an den Erwerber abzutreten. Eine solche Gewährleistungsregelung ist mit § 242 BGB nicht zu vereinbaren.

Die Freizeichnungsklausel macht eine Haftung der Beklagten davon abhängig, daß Ansprüche gegen die am Bau beteiligten Dritten durchgesetzt werden können. Da diese Ansprüche nicht mit der Übergabe an den Erwerber abgetreten werden, die Abtretung vielmehr der Beklagten freigestellt ist, bleibt die Durchsetzung ihr überlassen. Zwar ist die Beklagte hierzu innerhalb der Gewährleistungsfrist verpflichtet. Der Erwerber hat jedoch keinen Einfluß darauf, wann und wie sie den jeweiligen Anspruch durchsetzt. Kommt die Beklagte dieser Verpflichtung erst mit Verzögerung nach oder zieht sich ein von ihr gegen einen Bauhandwerker angestrengter Rechtsstreit ungewöhnlich lange hin, stehen dem Erwerber während dieser Zeit keine Gewährleistungsansprüche zu. Erweist sich danach die Inanspruchnahme der Bauhandwerker als erfolglos, ist die Haftung der Beklagten ausgeschlossen. Eine derartige Freizeichnungsklausel verstößt in solchem Maße gegen Erfordernisse der Gerechtigkeit sowie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, daß ihr die rechtliche Wirkung versagt werden muß (BGHZ 67, 101, 104).

3. Ein in einemIndividualvertrag enthaltener formelhafter – ganzer oder teilweiser – Ausschluß der Gewährleistung für Sachmängel beim Erwerb neu errichteter oder noch zu errichtender Eigentumswohnungen und Häuser ist nach der Rechtsprechung des Senats gemäß § 242 BGB dann unwirksam, wenn die einschneidenden Rechtsfolgen einer solchen Frei Zeichnung nicht vorher zwischen den Vertragsparteien eingehend erörtert werden und der Erwerber darüber nicht nachhaltig belehrt wird (Senatsurteile NJW 1984, 2094 m.w.N. und vom 20. Februar 1986 – VII ZR 318/84 = BauR 1986, 345, 346 = ZfBR 1986, 120).

Wie – bei Annahme einesIndividualvertrags zwischen den Parteien bzw. zwischen der damaligen Ehefrau des Klägers und der Beklagten – die Gewährleistungsregelung hier zustande gekommen ist, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Daß sie eine formelhafte Freizeichnung im Sinne der Senatsrechtsprechung enthält, steht außer Frage. In ihrem Kern kommt die Klausel den vorformulierten Vertragsbestimmungen in den Fällen BGHZ 67, 101 und NJW 1977, 1336 sogar sehr nahe. Sollte deshalb die in § 6 der „Kaufverträge” getroffene Gewährleistungsregelung als formelhafte Klausel ohne ausführliche Belehrung und eingehende Erörterung ihrer einschneidenden Rechtsfolgen Teil eines Individualvertrags geworden sein, würde sie der gemäß § 242 BGB vorzunehmenden Inhaltskontrolle nicht standhalten und wäre auch dann unwirksam.

4. Nach alledem kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben; es ist in dem aus dem Urteilsspruch ersichtlichen Umfang aufzuheben. Mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen ist der Senat zu eigener Sachentscheidung nicht in der Lage (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Die Sache ist daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die gesamten Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

G, D, B, W, Q

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 21.05.1987 durch H, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 512638

BB 1987, 1488

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1987, 1052

DNotZ 1987, 686

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