Verfahrensgang

OLG Hamburg

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt für die von ihm behauptete Entwendung seines bei der Beklagten nach den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) kaskoversicherten Jeeps eine Entschädigung. Er erwarb das Fahrzeug gemäß Kaufvertrag vom 18. Juni 1989 und erhielt dabei ausweislich der Bestätigung des Verkäufers nur einen Zündschlüssel. Ende April/Anfang Mai 1992 erteilte der Kläger einer DEA-Station den Auftrag, einen Zweitschlüssel anzufertigen. Nach Angaben des Klägers teilte ihm diese Station mit, daß ein Rohling für einen Zündschlüssel nicht zur Verfügung stehe und demgemäß kein Zweitschlüssel gefertigt werden könne.

Nachdem der Kläger die behauptete Entwendung der Beklagten mit Schadensmeldung vom 1. September 1992 angezeigt und ihr seinen Zündschlüssel überlassen hatte, ließ die Beklagte ein Schlüsselgutachten erstellen. Nach diesem Gutachten wies der Schlüssel von einer Kopierfräsmaschine herrührende Abtastspuren auf. Mit Schreiben vom 11. Dezember 1992 bat die Beklagte daraufhin unter Hinweis auf die Abtastspuren um Stellungnahme, wieso derartige Spuren an dem Schlüssel vorhanden seien. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erwiderte mit Schreiben vom 21. Dezember 1992, daß vom Kläger kein Zweitschlüssel angefertigt worden sei, es entziehe sich seiner Kenntnis, ob einer der Voreigentümer einen Zweitschlüssel habe anfertigen lassen. Mit Schreiben vom 10. Februar 1993 teilte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit, daß nach dem Kenntnisstand des Klägers von dem Schlüssel in seiner Besitzzeit keine Nachschlüssel gefertigt worden seien. Dies könne jedoch nicht mit letzter Sicherheit erklärt werden, da das Fahrzeug während der Besitzzeit mehrfach in Werkstätten gewesen sei und der Kläger den Werkstätten den Schlüssel überlassen habe. Denktheoretisch sei also nicht auszuschließen, daß dort ein Nachschlüssel gefertigt worden sei. Sodann wurden fünf Werkstätten namentlich genannt, die DEA-Station hat er nicht erwähnt.

Der Kläger hat seinen etwaigen Entschädigungsanspruch an die H. Sparkasse abgetreten. Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die H. Sparkasse 65.200 DM zuzüglich 4% Zinsen seit dem 13. Februar 1993 zu zahlen.

Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat die Frage, ob der Kläger den behaupteten Diebstahl des Kraftfahrzeugs bewiesen habe, nicht entschieden. Es hat einen Anspruch auf Ersatz des Wertes verneint, weil der Kläger seine Aufklärungsobliegenheit schuldhaft verletzt habe. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt:

Der Kläger habe gegen seine nach § 7 I Abs. 2 AKB bestehende Obliegenheit objektiv verstoßen, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands dienlich sein könnte und dabei auch Fragen des Versicherers wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 11. Dezember 1992 den Kläger um Stellungnahme dazu gebeten, wieso - vom Sachverständigen festgestellte - Abtastspuren auf dem vom Kläger übergebenen Schlüssel vorhanden seien. Daraufhin habe der Kläger nur fünf Werkstätten genannt, in denen sich das Fahrzeug während seiner Besitzzeit befunden habe und bei denen also theoretisch ein Nachschlüssel habe gefertigt werden können. Der Kläger habe aber nicht mitgeteilt, daß er Ende April, Anfang Mai 1992 eine DEA-Station mit der Anfertigung eines Nachschlüssels beauftragt und ihr hierzu den Originalschlüssel ausgehändigt habe. Dies habe er der Beklagten mitteilen müssen, auch wenn die Anfertigung des Nachschlüssels fehlgeschlagen sei. Der Kläger habe nicht bewiesen, daß von einem geringeren Verschulden als Vorsatz oder von fehlendem Verschulden auszugehen sei. Der Kläger habe, wie sich aus seinem Schreiben vom 10. Februar 1993 ergebe, das Aufklärungsverlangen der Beklagten auch richtig verstanden, daß ihr auch vom Kläger nicht veranlaßte Möglichkeiten zur Anfertigung eines Nachschlüssels mitgeteilt werden sollten. Für den Kläger sei nicht ausgeschlossen gewesen, daß bei der DEA-Station dennoch ein Nachschlüssel angefertigt worden sei. Die Grundsätze der Relevanzrechtsprechung führten zu keinem anderen Ergebnis. Der Aufklärungsverstoß sei generell geeignet, die Interessen der Beklagten zu gefährden. Die Beklagte sei gehindert gewesen zu prüfen, ob tatsächlich ein Versicherungsfall vorgelegen habe und gegen wen sie gegebenenfalls Rückgriff nehmen könne. Der Kläger habe auch nicht dargelegt, daß ihn kein erhebliches Verschulden treffe. Im übrigen sei der Kläger auch ordnungsgemäß über die Folgen unvollständiger Angaben belehrt worden.

2. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts sind nicht durchweg frei von Rechtsfehlern.

a) Zunächst ist schon zweifelhaft, ob der Kläger seine Aufklärungsobliegenheit objektiv verletzt hat. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß es dem Versicherungsnehmer nach § 7 I Abs. 2 AKB obliegt, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann, und folglich auch Fragen des Versicherers, die dieses Aufklärungsziel verfolgen, nach seiner Kenntnis zu beantworten hat. Mit seiner Auskunft vom 21. Dezember 1992 hatte der Kläger die ihm gestellte Frage nach den Abtastspuren zunächst beantwortet. Zu weiteren Auskünften darüber, in welchen Werkstätten sich sein Fahrzeug aufgehalten hatte, war er so lange nicht verpflichtet, wie er keine konkreten Anhaltspunkte darüber hatte, daß in diesen Werkstätten gegen seinen Willen ein Nachschlüssel hergestellt worden war. Die Mitteilung bloßer Verdächtigungen gehört nicht zur Erfüllung der Aufklärungsobliegenheit. Wenn der Kläger dennoch mit seinem weiteren Schreiben vom 10. Februar 1993 fünf Werkstätten namentlich nannte, ging es ihm erkennbar auch nicht um irgendwelche Verdächtigungen. Vielmehr wollte er seine gleichzeitige Mitteilung an die Beklagte bekräftigen, daß nach seinem Kenntnisstand kein Nachschlüssel hergestellt worden sei. Deshalb wies er auch ausdrücklich darauf hin, lediglich "denktheoretisch" könne nicht ausgeschlossen werden, daß dort ein Schlüssel angefertigt worden sei, davon gehe er aber nicht aus. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein objektiver Verstoß gegen die Aufklärungsobliegenheit bestehe darin, daß der Kläger nicht auch die DEA-Station angegeben habe, ist zumindest zweifelhaft. Zwar hatte der Kläger diese Station beauftragt, einen Zweitschlüssel anzufertigen, und ihr zu diesem Zweck auch den Originalschlüssel ausgehändigt. Die Station sah sich mangels eines passenden Rohlings aber nicht in der Lage, den Auftrag auszuführen. Das hat der in erster Instanz vernommene Pächter der DEA-Station, der Zeugen J., bestätigt. Es ist nicht ersichtlich, daß das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, die Bekundungen dieses Zeugen seien unzutreffend. Die Auskunft des Klägers, nach seiner Kenntnis sei kein Nachschlüssel hergestellt worden, war also richtig. Ob der Kläger dennoch verpflichtet war, diesen Vorgang anzuzeigen, erscheint fraglich, kann hier aber offenbleiben, weil selbst bei Annahme einer objektiven Verletzung der Aufklärungsobliegenheit den Kläger jedenfalls nur ein geringes Verschulden trifft.

b) Von seinem Ausgangspunkt einer objektiven Obliegenheitsverletzung aus hat das Berufungsgericht - entgegen der Auffassung der Revision - zutreffend festgestellt, der Kläger habe vorsätzlich gehandelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats wird aus der objektiven Verletzung einer nach dem Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheit der Vorsatz, vom Versicherungsnehmer widerlegbar, vermutet (Senatsurteil vom 2. Juni 1993 - IV ZR 72/92 - VersR 1993, 960 unter I 2 m.w.N. = NJW 1993, 2112).

Dem Berufungsgericht ist aber darin nicht zu folgen, daß auch die Grundsätze der Relevanzrechtsprechung keine andere Beurteilung zuließen. Soweit es ausführt, der Kläger habe nicht dargelegt, daß ihn kein erhebliches Verschulden treffe, verkennt es diesen Begriff und dessen Tragweite bei Anwendung der Relevanzrechtsprechung. Danach kann sich der Versicherer auf Leistungsfreiheit nur berufen, wenn die vorsätzliche, aber - wie hier - folgenlos gebliebene Obliegenheitsverletzung generell geeignet war, seine berechtigten Interessen zu gefährden, und den Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden traf (vgl. Senatsurteil vom 21. April 1993 - IV ZR 33/92 - VersR 1993, 830 unter II 3 m.w.N. = NJW-RR 1993, 1049; BGHZ 84, 84, 87). Das Verschulden ist nicht erheblich, wenn es sich um ein Fehlverhalten handelt, das auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1983 - IVa ZR 231/81 - VersR 1984, 228, 229 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen vor.

Nach der Aussage des Zeugen J. steht fest, daß er den Auftrag, einen zweiten Schlüssel anzufertigen, nicht ausführen konnte, weil ihm ein passender Rohling fehlte. Darüber hat er dem Kläger berichtet und ihm empfohlen, den Auftrag an O. zu vergehen. Danach ist verständlich, wenn der Kläger nicht annahm, daß die vom Gutachter der Beklagten festgestellten Abtastspuren an dem Originalschlüssel von der DEA-Station herrühren konnten. Zwar war dies nicht von vornherein ausgeschlossen. Denn tatsächlich hatte diese Werkstatt, wie der Zeuge berichtete, die Anfertigung eines Duplikats nach Vorlage des Originalschlüssels versucht. Wenn der Kläger dies nicht in seine Überlegungen einbezogen hatte und deshalb auch keinen Anlaß sah, der Beklagten ebenfalls die DEA-Station zu nennen, handelte es sich um eine Unterlassung, die auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer unterlaufen kann. Es ist nachvollziehbar, wenn der Kläger kein Interesse der Beklagten erkannte, auch die DEA-Station namentlich mitgeteilt zu bekommen. Die folgenlos gebliebene Nichtangabe wiegt nicht so schwer, daß es gerechtfertigt wäre, dem Kläger schon deshalb den Ersatzanspruch zu versagen.

c) Schließlich rügt die Revision im Ergebnis zu Recht, daß die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß belehrt hat. Dabei kann offenbleiben, ob es keiner erneuten Belehrung bedarf, wenn zwischen der Übersendung eines Schadensformulars, das eine Belehrung enthält, und einem ergänzenden Auskunftsbegehren eine längere Zeit verstrichen ist, wie hier fast vier Monate. Die Belehrung im Schadensformular der Beklagten lautet:

"Wir bitten um vollständige und tatsachengerechte Angaben. Beachten Sie bitte, daß unrichtige und unvollständige Angaben zum Verlust des Versicherungsschutzes führen. Das gilt auch dann, wenn der Versicherer keinen Nachteil erleidet."

Das ist rechtlich unzutreffend. Wenn der Versicherer keinen Nachteil erleidet, können falsche oder unrichtige Angaben des Versicherungsnehmers nur dann einen Anspruchsverlust nach sich ziehen, wenn sie vorsätzlich erfolgten. Das muß in der Belehrung klar und unmißverständlich zum Ausdruck kommen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1972 - IV ZR 57/71 - VersR 1973, 174 unter VI 2 = NJW 1973, 365; BGHZ 48, 7, 9).

3. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, da das Berufungsgericht die tatsächlichen Voraussetzungen eines Kraftfahrzeugdiebstahls nicht geprüft hat. Sie muß deshalb an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993519

NJW-RR 1998, 600

JurBüro 1998, 440

NZV 1998, 201

VersR 1998, 447

ZfS 1998, 340

r s 1998, 228

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