Leitsatz (amtlich)
1. Auch die gegenüber der gesetzlichen Zehnjahresfrist des § 163 VVG zulässigerweise (§ 178 Abs. 1 S. 1 VVG) zugunsten des VN abgekürzte Rücktrittsfrist ist eine von Amts wegen zu beachtende Ausschlußfrist denn die Abkürzung verändert die Rechtsnatur der Rücktrittsfrist nicht.
2. Die Beweislast dafür, daß der Rücktritt tatsächlich verfristet ist, trägt der VN.
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Entscheidung vom 30.09.1992) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenates des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 30. September 1992 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger, der seit dem 10. September 1984 bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung unterhält, begehrt wegen Berufsunfähigkeit von der Beklagten die Zahlung eines Rentenrückstandes von 150.000 DM nebst Zinsen. Ferner beantragt er die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm ab 1. Juli 1992 bis längstens 1. September 1994 eine monatliche, im voraus zu leistende Berufsunfähigkeitsrente von 4.000 DM zu zahlen. Trotz eines Risikoausschlusses für Berufsunfähigkeit infolge doppelseitiger Schwerhörigkeit beliebigen Grades ist er im Rahmen der bei der Beklagten unterhaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung unstreitig jedenfalls seit 1. Mai 1989 zu 65% berufsunfähig.
Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, sie sei dem Kläger nicht leistungspflichtig, weil sie mit Schreiben vom 11. August 1989 wirksam von dem Vertrag zurückgetreten sei.
Sie hat in diesem Schreiben den Standpunkt vertreten, sie sei deshalb noch rechtzeitig zurückgetreten, weil der Kläger schon seit 1. Mai 1987 von einem anderen Versicherer Leistungen wegen Berufsunfähigkeit erhalte. Dazu hat sie auf folgende Regelung in ihren Versicherungsbedingungen hingewiesen:
"Der Rücktritt ist ausgeschlossen:
...
d)
wenn seit Abschluß, Änderung oder Wiederherstellung der Versicherung 3 Jahre verstrichen sind. Die Frist gilt nicht, wenn der Versicherungsfall innerhalb der ersten 3 Jahre eintritt."
Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt er sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, da sie noch nicht entscheidungsreif ist.
1.
Das Berufungsgericht hat, wie schon das Landgericht, den Prozeßstoff nur unzureichend berücksichtigt. Mit der Klagebegründung hat der Kläger nicht nur das Rücktrittsschreiben der Beklagten vom 11. August 1989 vorgelegt. Er hat dazu auch vorgetragen, aus der Leistung des anderen Versicherers ergebe sich nicht, daß auch in der bei der Beklagten unterhaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung noch zeitgerecht für ihren Rücktritt der Versicherungsfall eingetreten sei. Er habe nämlich von dem anderen Lebensversicherer (bis zum Vertragsende im März 1989) eine Rente wegen einer in erster Linie auf seiner Schwerhörigkeit beruhenden Berufsunfähigkeit erhalten. Seine Schwerhörigkeit könne jedoch wegen des von der Beklagten durchgesetzten Risikoausschlusses in der bei ihr unterhaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung gerade nicht zum Eintritt des Versicherungsfalles führen.
Auch bei der gegenüber der gesetzlichen Zehnjahresfrist des § 163 VVG zulässigerweise zugunsten des Versicherungsnehmers (§ 178 Abs. 1 Satz 1 VVG) abgekürzten Rücktrittsfrist handelt es sich um eine von Amts wegen zu beachtende Ausschlußfrist, denn die Abkürzung verändert nicht die Rechtsnatur der Rücktrittsfrist (so auch Bruck/Möller/Winter, VVG 8. Aufl., Bd. V/2, F 132; RGRK/Johannsen, 12. Aufl., vor § 194, Anm. 7). Die Beweislast dafür, daß der Rücktritt tatsächlich verfristet ist, trägt allerdings der Versicherungsnehmer (so schon RGZ 128, 117, 120). Indessen hat die Beklagte bislang zu dem Vorbringen, sie habe mit ihrer Rücktrittserklärung die vertragliche Ausschlußfrist nicht gewahrt, noch überhaupt nicht Stellung bezogen. Ihre Berufung darauf, in der bei einem anderen Versicherer unterhaltenen Versicherung sei der Versicherungsfall innerhalb der Dreijahresfrist eingetreten, genügt dafür nicht. Maßgebend ist, daß der Versicherungsfall (auch) in der bei ihr unterhaltenen Versicherung vor Fristablauf eingetreten ist. Daß dies nicht der Fall ist, wird der Kläger gegenüber einem substantiierten Bestreiten der Beklagten zu beweisen haben.
2.
Für den Fall, daß ein Rücktritt der Beklagten nicht durch den vorherigen Ablauf der Dreijahresfrist ausgeschlossen ist, gibt der Senat für das weitere Verfahren vorsorglich noch folgende Hinweise:
a)
Nicht zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Kläger seiner Anzeigeobliegenheit nur dann nachgekommen ist, wenn er die Beklagte bei der Antragstellung oder im Zuge der Erstellung des ärztlichen Zeugnisses davon unterrichtet hat, daß er von Dr. K. und Dr. S. vom 20. Januar bis 18. März 1982 wegen Erkältungen und vom 19. Januar bis 27. Februar 1983 wegen einer erneuten Erkältungskrankheit mit Fieber und Blasenentzündung, verbunden mit einer kurzfristigen Kreislaufschwäche und vierwöchiger Arbeitsunfähigkeit, behandelt wurde (BU 11). Auf schriftlichem Wege ist dies nicht geschehen.
Es trifft auch zu, daß nicht schon die schriftliche Angabe "Erkältungskrankheiten, Februar 1984" und die Benennung des Dr. Sch. als des Arztes, der den Kläger schon untersucht, beraten oder behandelt hatte, der Beklagten Anlaß zu ergänzenden Rückfragen geben mußten. Es war ihr hiermit weder angezeigt worden, daß es eine besondere Anfälligkeit des Klägers für über einen längeren Zeitraum behandlungsbedürftige, einmal bereits eine vierwöchige Arbeitsunfähigkeit bedingende Erkältungskrankheiten gab, noch daß mehrere Ärzte ihr hierüber weitere Auskunft hätten geben können. Ebensowenig bestand aufgrund der Angabe der beiden ohne weitere Folgen durchgeführten Operationen - nämlich einer Tonsillektomie 1963 und einer Appendektomie 1965 - Anlaß zu Rückfragen. Auch die für eine Risikoprüfung bedeutungslose Lücke in den Angaben des Klägers - nämlich die fehlende Benennung der Operateure - löste keinen Aufklärungsbedarf für einen risikoprüfungsbereiten Versicherer aus.
Daß der Kläger am gleichen Tag, an dem er den Abschluß der Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitsversicherung bei der Beklagten beantragte, bei dem seinerzeit angeblich mit der Beklagten im Konzernverbund stehenden Sachversicherer einen Antrag auf Abschluß einer Unfallversicherung stellte und in dem dabei verwendeten Antragsformular die Frage verneinte, ob er sich völlig gesund und beschwerdefrei fühle, ist - ganz unabhängig davon, ob der Beklagten diese Antwort als bekannt zuzurechnen wäre - schon deshalb bedeutungslos, weil diese Antwort die Beklagte nicht stutzig machen mußte; der Kläger zeigte ihr nämlich schriftlich wahrheitsgemäß seine Schwerhörigkeit ebenso an wie den Umstand, daß er Brillenträger ist.
b)
Er hat jedoch (unter Zeugenbenennung des Arztes) vorgetragen, Dr. Sch. habe sich die Erklärung vor dem Arzt von ihm blanko unterzeichnen lassen und er, der Kläger, habe ihn von seinen 1982 und 1983 behandelten Erkrankungen unter Angabe der behandelnden Ärzte unterrichtet. Daß sie nicht in der Erklärung vor dem Arzt aufgeführt seien, beruhe allein auf einem Versehen des Dr. Sch.
Es handelt sich bei Dr. Sch. um eine sachkundige Person, der die Beklagte mit ihrem Formular ausdrücklich aufgegeben hatte, sämtliche Formularfragen an den künftigen Versicherungsnehmer zu stellen, ihn selbst also nicht das Formular ausfüllen zu lassen. Unter diesen Umständen hat der Kläger, wenn er das Formular aufforderungsgemäß vorweg blanko unterzeichnet hat und damit keine Gelegenheit zur Überprüfung der Eintragungen erhielt, seiner Substantiierungspflicht zur damit gebotenen mündlichen Information des Arztes noch genügt. Dessen auf diese Weise erlangtes Wissen muß sich die Beklagte als eigenes zurechnen lassen (s. dazu schon Senatsurteil vom 29. Mai 1980 - IVa ZR 6/80 - VersR 1980, 762 unter II 1 a.E.). Sie kann dann auch eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit bei Erstellung des ärztlichen Zeugnisses nur noch derart beweisen, daß sie zur Überzeugung des Tatrichters die substantiierten Behauptungen des Klägers widerlegt (s. dazu Senatsurteil vom 21. November 1989 - IVa ZR 269/88 - VersR 1990, 77).
Dagegen hat der Kläger bislang nicht ausreichend deutlich gemacht, was er dem formularausfüllenden Agenten bei der zeitlich vorangegangenen und demgemäß durch die Vorgänge bei Erstellung des ärztlichen Zeugnisses möglicherweise korrigierten Antragstellung zu seinen behandelten Erkältungskrankheiten gesagt haben will.
c)
Nach dem bisherigen Vorbringen des Klägers kommt nicht in Betracht, daß die Beklagte die einmonatige Rücktrittsfrist des § 20 VVG, deren Lauf mit der Kenntnis des Versicherers von der Verletzung der Anzeigeobliegenheit beginnt, deshalb nicht eingehalten hätte, weil sie sich zurechnen lassen müßte, was die E.-Krankenversicherung im Mai 1986 dem Unfallversicherer des Klägers mitgeteilt hat. Der Kläger hat nicht dargelegt, daß dieser Unfallversicherer und die Beklagte noch 1986 "alle Vorgänge miteinander abgeglichen hätten", sondern hat lediglich unter Beweis gestellt, daß beide Versicherer noch 1984 im Konzernverband gewesen seien und seinerzeit die Anträge auf Abschluß von Versicherungsverträgen und die dazu einschlägigen Unterlagen (also keineswegs alle Vorgänge) miteinander abgeglichen hätten. Daß beide Versicherer weiterhin "unter einem Dach, praktisch auf dem gleichen Stockwerk" sitzen sollen, genügt für eine gegenseitige Wissenszurechnung selbstverständlich nicht.
Auch die Mitteilung eines weiteren Versicherers des Klägers vom 3. Juli 1989 an die Beklagte, es habe sich in der Zeit vor Sommer 1984 bei dem Kläger eine Kollapsneigung gezeigt und sich der Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit ergeben, löste noch nicht den Fristenlauf aus, denn sie verschaffte der Beklagten noch nicht die ausreichend zuverlässige Kenntnis, daß der Kläger ihr bei Vertragsschluß ihm bekannte Gefahrumstände, nach denen er gefragt war, nicht bekanntgegeben hatte.
d)
Ob der Kläger den Kausalitätsgegenbeweis des § 21 VVG führen kann, wird sich - wenn es darauf ankommen sollte - erst dann feststellen lassen, wenn geklärt ist, worauf der Eintritt des Versicherungsfalles in der bei der Beklagten abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung beruht.
Fundstellen
Haufe-Index 3018911 |
VersR 1994, 1054 (Volltext mit red. LS) |
ZfS 1994, 298-299 (Volltext mit red. LS) |
ZfS 1994, 455 (Kurzinformation) |