Leitsatz (amtlich)

a) Besteht das Recht des Mieters, ein fremdes Grundstück zur Errichtung und Unterhaltung einer Stromleitung so lange zu nutzen, wie der Berechtigte diese für seine betrieblichen Zwecke benötigt, länger als 30 Jahre, so kann es vom Vermieter nach Ablauf dieser Zeit auch dann nach § 567 BGB gekündigt werden, wenn die betriebliche Notwendigkeit der Unterhaltung nicht entfallen ist.

b) Ein nach § 567 BGB kündbares Mietrecht stellt keine nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition dar, die nur gegen Entschädigung entziehbar ist.

 

Normenkette

BGB § 567; GG Art. 14

 

Verfahrensgang

OLG Braunschweig (Urteil vom 12.09.1990)

LG Braunschweig (Urteil vom 04.04.1990)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 12. September 1990 aufgehoben und das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 4. April 1990 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 72.197 DM nebst 6 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1984 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Durch Planfeststellungsbeschluß vom 18. August 1978 wurde der Neubau einer Bundesstraße in der Gemarkung H. geregelt. Gemäß diesem Beschluß mußten zwei Stromversorgungsleitungen der Beklagten verlegt werden. Da die Parteien sich nicht einigen konnten, wer von ihnen die Kosten der Verlegung zu tragen habe, vereinbarten sie vor Ausführung dieser Arbeiten, daß die Klägerin die Kosten verauslagen, die Beklagte sie ihr aber erstatten solle, wenn durch Urteil festgestellt werde, daß die Beklagte sie zu tragen habe.

Die Parteien sind sich darüber einig, daß die Kosten der Verlegungsarbeiten 72.197 DM betrugen. Die Klage auf Erstattung dieses Betrages ist vom Landgericht abgewiesen, die Berufung gegen dieses Urteil vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Abänderung des erstinstanzlichen Urteils sowie zur Verurteilung der Beklagten entsprechend dem Klageantrag.

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin sei verpflichtet, die Kosten der Verlegung der Versorgungsleitungen selbst zu tragen, weil durch den Planfeststellungsbeschluß in das der Beklagten zustehende Nutzungsrecht an dem Grundstück, in dem die Leitungen verlegt waren, enteignend und damit entschädigungspflichtig eingegriffen worden sei. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

II.

1. Die Beklagte ist aufgrund der zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarung vom 25. Mai/7. Juni 1984 verpflichtet, der Klägerin die von dieser verauslagten Verlegungskosten zu erstatten, weil sie sie selbst zu tragen hat.

Die genannte Vereinbarung selbst sagt nichts darüber aus, unter welchen Umständen die eine oder die andere Partei die Verlegungskosten zu tragen hat. Eine andere vertragliche Beziehung zwischen den Parteien, etwa ein Gestattungsvertrag, besteht nicht, da das von der Beklagten für ihre Leitungen genutzte Grundstück im Eigentum eines Dritten stand. Eine Verpflichtung der Klägerin, diese Kosten zu tragen, könnte sich daher nur daraus ergeben, daß durch den Planfeststellungsbeschluß in eine eigentumsrechtlich geschützte Rechtsposition der Beklagten entschädigungspflichtig eingegriffen worden ist. Dies ist aber nicht der Fall.

2. Der Beklagten stand nur ein obligatorisches Recht zur Verlegung und Unterhaltung der Starkstromleitung gegen den Grundstückseigentümer zu. Ein solches Recht genießt grundsätzlich den Schutz des Art. 14 GG. Art. 14 GG schützt allerdings nur konkrete subjektive Rechtspositionen, die einem Rechtsträger bereits zustehen, nicht dagegen die Chancen und Aussichten, auf deren Verwirklichung ein rechtlich gesicherter Anspruch nicht besteht. Bei dem vorzeitigen Entzug eines – auch langfristigen – obligatorischen Nutzungsrechts bestimmt die Enteignungsentschädigung sich daher nur danach, welche vertragliche Rechtsposition der Nutzungsberechtigte im Einzelfall gegenüber seinem Vertragspartner innehatte und was er von seinem Recht hat aufgeben müssen. Ist seine Rechtsstellung dadurch begrenzt, daß das Vertragsverhältnis durch Kündigung beendet werden kann, so besteht auch bei tatsächlicher, rechtlich aber nicht gesicherter Übereinstimmung der Vertragsparteien über die langfristige Fortsetzung des Vertragsverhältnisses enteignungsrechtlich allenfalls eine tatsächliche Erwartung auf die Nichtbeendigung des Vertragsverhältnisses. Der Wegfall einer solchen rechtlich nicht gesicherten Erwartung auf Fortbestand eines Vertragsverhältnisses begründet keinen Anspruch auf Entschädigung nach Art. 14 GG (Senatsurteil BGHZ 83, 1). Zu einer eigentumsähnlichen Rechtsposition kann ein solches Nutzungsrecht sich ohne rechtliche Absicherung grundsätzlich auch bei langer Dauer nicht verdichten (Senatsurteil vom 3. Oktober 1985 – III ZR 103/84 – BGHWarn 1985 Nr. 263).

3. Die Beklagte hatte keine rechtlich gesicherte Erwartung, daß ihr Nutzungsrecht an dem Grundstück fortbestehen werde. Dem Grundstückseigentümer stand ihr gegenüber ein Kündigungsrecht nach § 565 i. V. m. § 567 BGB zu.

a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die Beklagte aufgrund von Vereinbarungen mit den Eigentümern berechtigt, das von dem Straßenbau betroffene Grundstück zur Errichtung und Unterhaltung der zwei Starkstromleitungen so lange zu nutzen, wie sie diese für ihre Betriebszwecke benötigte. Dieses Nutzungsrecht hatte die Beklagte gegen eine einmalige Zahlung, also entgeltlich, erworben. Das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und dem jeweiligen Grundeigentümer ist daher als Mietverhältnis anzusehen. Denn die Grundeigentümer hatten sich verpflichtet, der Beklagten den Gebrauch des Grundstücks für die Leitung von elektrischer Energie zu gewähren, und die Beklagte hatte einen – wenn auch geringen – Mietzins zu entrichten (§ 535 BGB; vgl. dazu BGH, Urteil vom 4. Mai 1970 – VIII ZR 179/68 – MDR 1970, 1004). Mietzins ist zwar üblicherweise wiederkehrend für bestimmte Zeitabschnitte der Gebrauchsdauer zu zahlen. Rechtlich notwendig ist dies aber nicht. Vielmehr kann der Mietzins auch – wie hier – in einer einmaligen Zahlung bestehen (BGH, Urteil vom 10. Februar 1954 – VI ZR 236/52 – NJW 1954, 673; MünchKomm/Voelskow, 2. Aufl. § 535 Rn. 95). Zur Annahme eines Nutzungsverhältnisses eigener Art besteht daher kein Anlaß.

Es bedarf daher auch keiner Entscheidung der Frage, ob § 567 bei allen Rechtsverhältnissen entsprechend anzuwenden ist, die auf die Gewährung eines schuldrechtlichen Gebrauchs- oder Nutzungsrechts gerichtet sind (so BGH, Urteil vom 20. November 1967 – VIII ZR 92/65 – WM 1968, 7, 9; RGZ 121, 11, 13; vgl. auch Gelhaar in BGB-RGRK 12. Aufl. § 567 Rn. 5; MünchKomm/Voelskow aaO § 567 BGB Rn. 3).

b) Das demnach zwischen der Beklagten und den Grundeigentümern bestehende Mietverhältnis konnte der Vermieter im Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses unter Einhaltung der in § 565 Abs. 1 Nr. 3 BGB genannten Frist zum Ende eines Kalendervierteljahres kündigen. Dies war zwar in den vom Berufungsgericht festgestellten Vereinbarungen nicht vorgesehen; es ergab sich aber aus § 567 Satz 1 BGB. Nach dieser Vorschrift kann ein Mietverhältnis, das für eine längere Zeit als 30 Jahre eingegangen ist, nach Ablauf dieses Zeitraums sowohl vom Vermieter als auch vom Mieter unter Einhaltung der gesetzlichen Frist gekündigt werden. Das Mietverhältnis zwischen der Beklagten und den Grundeigentümern sollte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts so lange dauern, wie die Beklagte die Stromleitungen betrieb. Es war damit nicht auf unbestimmte Zeit eingegangen, sondern sollte mit dem Eintritt eines objektiv bestimmten Ereignisses enden, das nach mehr als 30 Jahren eintreten konnte; lediglich der Zeitpunkt des Eintritts dieses Ereignisses war ungewiß (BGH, Urteil vom 20. November 1967 aaO S. 9; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 1989, Kap. IV Rn. 223; MünchKomm/Voelskow, 2. Aufl. § 567 BGB Rn. 2). Unerheblich ist, daß die 30-Jahresfrist hinsichtlich der schon 1928 verlegten Leitung bereits erhebliche Zeit vor Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses verstrichen war; denn die nach § 567 BGB zulässig gewordene Kündigung muß nicht zu dem ersten möglichen Termin erfolgen (MünchKomm/Voelskow aaO § 567 BGB Rn. 4).

c) Die Beklagte konnte einer Kündigung des Grundeigentümers auch nicht mit einem Enteignungsantrag nach § 11 Abs. 1 EnWG begegnen. Auch die Befugnis des Versorgungsunternehmens, unter Umständen eine Enteignung zur Erzwingung eines Leitungsrechts zu beantragen (§ 11 EnWG) läßt ein nur obligatorisches Nutzungsrecht nicht zu einem einer Dienstbarkeit nahekommenden dinglichen Recht erstarken (Senatsurteil vom 4. Oktober 1979 – III ZR 28/78 – WM 1980, 118).

Im übrigen wäre eine Enteignung nach § 11 Abs. 1 EnWG nur zulässig, wenn sie für Zwecke der öffentlichen Energieversorgung erforderlich wäre. Dies ist nicht der Fall, wenn – wie hier – der Versorgungszweck durch eine den Eigentümer weniger belastende Maßnahme, nämlich eine Verlegung der Leitungen, erfüllt werden kann.

III.

Das Berufungsurteil kann daher nicht bestehenbleiben. Der Senat kann in der Sache selbst abschließend entscheiden, weil die Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Weitere Feststellungen sind nicht zu treffen. Die Höhe der Verlegungskosten ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Verzinsungspflicht ergibt sich aus der Vereinbarung vom 25. Mai/7. Juni 1984: Die zurückzuzahlende Summe ist vom Zeitpunkt der Verauslagung an zu verzinsen; die Klägerin hat im September 1984 gezahlt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

 

Unterschriften

Krohn, Engelhardt, Richter Dr. Werp hat Urlaub und kann daher nicht unterschreiben. Krohn, Rinne, Deppert

 

Fundstellen

Haufe-Index 947866

BGHZ, 236

BGHR

Nachschlagewerk BGH

BRS 1993, 459

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