Leitsatz (amtlich)

›Erachtet das Gericht durch Beschluß eine unter Beweis gestellte Tatsache als erwiesen, so dürfen sich die Urteilsfeststellungen dazu nicht in Widerspruch setzen.‹

 

Tatbestand

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung, zu lebenslanger Freiheitsstrafe (Gesamtstrafe) verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis mit einer Sperre für immer entzogen. Die Revision des Angeklagten führt auf eine Verfahrensrüge zur Aufhebung des Urteils in dem aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Umfang.

1. In der Hauptverhandlung hat der Verteidiger die Vernehmung des Zeugen S beantragt zum Beweis dafür, daß

"1. Trixi K am 9. Januar 1986 gegen 21.00 Uhr, als sie das Jugendzentrum in R verließ, alleine weglief,

2. Andreas N nach dem Weggang von Trixi aus dem Jugendzentrum im dortigen Aufenthaltsraum an der Theke einen Kaffee bestellt hat, diesen an der Theke abgeholt und sich dann an einen Tisch gesetzt hat, den Kaffee getrunken hat und geraucht hat."

Der Antrag wurde vom Landgericht abgelehnt, weil "bereits erwiesen (sei), daß Trixi K am 9.1.1986 gegen 21.00 Uhr das Jugendzentrum R allein verließ, daß Andreas N danach einen Kaffee bestellte und trank und daß er dazu geraucht hat".

Demgegenüber hat sich das Tatopfer Trixi K nach den Urteilsfeststellungen bereits "kurz vor 20.30 Uhr (aus dem Jugendzentrum) auf den Heimweg (begeben), als der Angeklagte zur Tür hereinkam". Das Mädchen habe den Angeklagten später drei bis vier Minuten vom Jugendzentrum entfernt oder nach ihrer Rückkehr dorthin getroffen, nachdem der Angeklagte "nach einem Kaffee und einer Zigarette (im Jugendzentrum) sich wieder ins Auto setzte". Anschließend habe der Angeklagte Trixi K in seiner Wohnung vergewaltigt und sie, um diese Straftat zu verdecken, vor 22.15 Uhr in einem Wald getötet.

Der Widerspruch in der Zeitangabe zwischen dem Ablehnungsbeschluß und den Urteilsfeststellungen führt zur Aufhebung der Verurteilung zum Tatkomplex K.

Erachtet das Gericht durch Beschluß eine unter Beweis gestellte Tatsache als erwiesen, so ist diese damit auch für das Urteil bindend. Das Gericht darf sich im Urteil zu ihr nicht in Widerspruch setzen. Dazu gehört auch, daß diese Tatsache in ihrer vollen, aus Sinn und Zweck sich ergebenden Bedeutung unverändert als erwiesen behandelt und nicht in unzulässiger Weise eingeengt wird. Das ist für die Wahrunterstellung einer Beweisbehauptung entschieden (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 6; Herdegen in KK 2. Aufl. § 244 Rdn. 91; Kleinknecht/Meyer, StPO 38. Aufl. § 244 Rdn. 71 m. zahlr. Nachw.). Um so mehr gilt das für die Wissenserklärung, die behauptete Tatsache sei erwiesen. Maßgebend ist dabei nicht der Wortlaut des Antrages (wenngleich zur Vermeidung von Fehlern zweckmäßigerweise zugrunde zu legen), sondern dessen Sinn und Zweck, wie er sich aus dem gesamten Vorbringen des Angeklagten sowie aus dem Gang der Hauptverhandlung ergibt (BGH bei Holtz MDR 1984, 92; vgl. Herdegen aaO. Rdn. 46 m. zahlr. Nachw.).

Die Formulierung des Beweisantrages macht deutlich, daß die Behauptung im Vordergrund stand, Trixi K sei alleine weggegangen und der Angeklagte sei zurückgeblieben. Die Angabe der Uhrzeit sowie die Betonung verschiedener Handlungen des Angeklagten zeigt aber auch, daß das Zeitmoment eine Rolle spielte und nicht nur beiläufig erwähnt wurde, um allgemein das Ereignis als solches - Verlassen des Jugendzentrums an diesem Abend - zu kennzeichnen. Daß es den Beteiligten auch auf die Uhrzeit ankam, zeigt im übrigen nicht nur der Wortlaut des Antrages, sondern der gesamte Gang der Hauptverhandlung. Die Einengung der alibilosen Zeit stand neben anderen Umständen im Vordergrund der Beweisbemühungen des Angeklagten. Er hatte weitere Beweisanträge dazu gestellt, und außerdem hatten Zeugen bereits bekundet "Patricia sei kurz vor neun gegangen". Demnach schloß die Erklärung des Landgerichts in dem Ablehnungsbeschluß, der behauptete Sachverhalt sei bereits erwiesen, auch die Zeitangabe "gegen 21.00 Uhr" mit ein. Da die Entscheidung im Verlauf der Verhandlung nicht geändert wurde, konnte sich der Angeklagte darauf verlassen, das Gericht werde diese Tatsache als erwiesen behandeln.

Die Urteilsfeststellung "kurz vor 20.30 Uhr" ist nach den gesamten Umständen des Falles auch nicht von der im Ablehnungsbeschluß als erwiesen angesehenen Zeit ("gegen 21.00 Uhr") mit umfaßt. Die Frage "kurz vor 20.30 Uhr" oder "gegen 21 Uhr" war Gegenstand der Beweisaufnahme und wird in der Beweiswürdigung des Urteils erörtert. Beide Zeitangaben unterscheiden sich also auch aus der Sicht des Landgerichts nicht unerheblich. Die im Beschluß für erwiesen erachtete Tatsache und die Urteilsfeststellungen stehen damit in nicht auflösbarem Widerspruch.

Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler kann das Urteil beruhen. Das Landgericht hält die zur Verfügung stehende Zeit ("20.30 Uhr bis wenigstens 22.15 Uhr") für ausreichend, die Taten zu begehen. Es bleibt aber offen, ob das auch bei einem nicht unerheblich kürzeren Zeitraum der Fall gewesen wäre. Davon ist angesichts der vorgeworfenen Tathandlung nicht ohne weiteres auszugehen, zumal das Urteil den für die Fahrten zur Wohnung, zum Wald und zum Elternhaus erforderlichen Zeitaufwand nicht mitteilt. Immerhin sah auch das Landgericht Veranlassung, sich mit den Aussagen von drei Zeugen, die "kurz vor neun" Uhr als Ausgangszeitpunkt bekundet hatten, auseinanderzusetzen und sie im Hinblick auf weitere überzeugende Beweismittel als unzuverlässig einzustufen. Diese Erörterung zeigt, daß das Landgericht auch im Urteil dem Unterschied im Ausgangszeitpunkt Bedeutung beimaß. Außerdem stellt eine Ausgangszeit von "gegen 21.00 Uhr" die Erklärung des Landgerichts dafür in Frage, daß Trixi K nach den Feststellungen nicht gleich nach Hause fuhr, sondern auf den Angeklagten wartete: "Sie hatte noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Limit (21 Uhr), das sie gewöhnlich zuverlässig einhielt".

Nach alledem konnte die Verurteilung wegen Mordes und Vergewaltigung zum Nachteil Trixi K keinen Bestand haben.

2. Die Aufhebung des Urteils zum Tatkomplex K berührt den Schuld- und Strafausspruch wegen Vergewaltigung, Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung zum Nachteil Heike S nicht. Insoweit läßt das Urteil keinen Rechtsfehler erkennen.

Die Aufhebung des Urteils im Fall K führt auch zur Aufhebung des Fahrerlaubnisentzugs, der mit auf diese Verurteilung gestützt wurde.

3. Für die neue Verhandlung wird bemerkt:

a) Nach den Feststellungen ist das Tatopfer K bei den sexuellen Handlungen entjungfert worden und hat (beim Analverkehr) Verletzungen erlitten. Falls das durch sachverständige Untersuchung belegt sein sollte, läge es nahe, das darzutun, um die Erzählung des Angeklagten gegenüber Heike S, auf den die Feststellungen zu diesem Tatvorgang allein beruhe, damit einer Glaubwürdigkeitskontrolle zu unterziehen und gegebenenfalls einen Analverkehr (dem der Angeklagte zuneigte) zusätzlich zu belegen.

b) Es ist rechtsfehlerhaft, die Dauer der Sperre für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis nach der Länge der verhängten Freiheitsstrafe zu bestimmen. Bei einer Sperre für immer sind die in § 69 a Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Gründe eingehend zu erörtern (vgl. BGHSt 5, 168, 177; Stree in Schönke/Schröder, StGB 23. Aufl. § 69 a Rdn. 8 m. zahlr. Nachw.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992960

NJW 1989, 845

DRsp IV(455)116a

NStZ 1989, 83

MDR 1989, 176

VRS 76, 29

StV 1989, 47

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