Leitsatz (amtlich)

Kündigt eine Internatsschule den Internatsvertrag wegen grober Verstöße eines Schülers gegen die Schul- und Internatsordnung fristlos, so kann sie von dem anderen Vertragsteil (hier: den Eltern) Ersatz des ihr durch die vorzeitige Aufhebung des Dienstverhältnisses entstehenden Schadens verlangen.

 

Normenkette

BGB § 628

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 21.04.1983)

LG Düsseldorf

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. April 1983 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger betreibt die Internatsschule A.. Nach einem mit den Beklagten geschlossenen Internatsvertrag besuchte deren – damals vierzehnjähriger – Sohn Di. ab 1. Februar 1980 die Schule. Teil des Internatsvertrags waren die vom Kläger formularmäßig verwendeten Aufnahmebedingungen. Nach deren Nr. 3.1 war der – auf unbestimmte Zeit geschlossene – Vertrag mit einer Frist von jeweils drei Monaten zum 31. Januar oder zum 31. Juli kündbar. Ferner bestimmte Nr. 3.4 der Bedingungen:

„Bei groben Verstößen gegen die Schul- und Internatsordnung oder bei ungebührlichem Verhalten ist die Verweisung des Schülers möglich. In diesem Falle und auch dann, wenn ein Schüler aus Gründen, die das Internat nicht zu vertreten hat, vorzeitig das Internat verläßt, sind die Internatsgebühren bis zum nächsten Kündigungszeitpunkt weiterzuzahlen. Jedoch ermäßigen sich die Gebühren um 1/10, beginnend mit dem Monat, der auf das Ausscheiden des Schülers folgt.”

Wiederholte Verstöße Di. gegen die Internatsordnung veranlaßten die Schulleitung, zunächst gegen ihn einen Verweis auszusprechen sowie zweimal einen einwöchigen Besinnungsurlaub zu verhängen. Sodann sprach diese nach weiteren Disziplinlosigkeiten Di. mit Schreiben vom 29. Mai 1981 gegenüber den Beklagten die Verweisung des Jungen von Schule und Internat aus.

Der Kläger fordert von den Beklagten die um 1/10 gekürzten Internatsgebühren für die Monate Juni 1981 bis Januar 1982. Er hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von … DM nebst 15 % Zinsen seit 1. Oktober 1981 zu verurteilen.

Die Beklagten meinen, dem Kläger nichts zu schulden. Nr. 3.4 der Aufnahmebedingungen sei wegen Verstoßes gegen das AGB-Gesetz unwirksam. Überdies habe der Schulleiter bei einer Besprechung am 5. Juni 1981 auf die Zahlung weiterer Internatsgebühren verzichtet.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von … DM nebst Zinsen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie in vollem Umfange abgewiesen. Mit der – zugelassenen – Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat die Klage – unabhängig von der Frage eines Verzichts auf die Klageforderung – abgewiesen, weil sich die Beklagten das Verhalten ihres Sohnes nicht zurechnen lassen müßten, so daß eine Schadensersatzforderung aus § 628 Abs. 2 BGB nicht in Betracht komme. Ebensowenig könne der Kläger seinen Anspruch auf Nr. 3.4 der Aufnahmebedingungen stützen. Die Bestimmung verstoße, soweit sie die Pflicht zur Weiterzahlung der Internatsgebühren bis zum nächsten Kündigungszeitpunkt für den Fall der Verweisung des Schülers wegen grober Verstöße gegen die Schul- und Internatsordnung oder wegen ungebührlichen Verhaltens vorsehe, gegen wesentliche Grundgedanken des Dienstvertragsrechts, insbesondere der Regelung des § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie benachteilige deshalb die Beklagten unangemessen im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG. Auch könne in Nr. 3.4 der Aufnahmebedingungen keine für die Beklagten verbindliche Schadenspauschalierungsklausel gesehen werden.

II. Die Revision wendet sich gegen diese Ausführungen mit Erfolg.

1. Keine rechtlichen Bedenken bestehen allerdings, soweit das Berufungsgericht die Frage der Beendigung der vertraglichen Beziehungen der Parteien und der sich daran knüpfenden Rechtsfolgen nach den Vorschriften über den Dienstvertrag geprüft hat. Gewiß mag der Internatsvertrag kein reiner Dienstvertrag gewesen sein, sondern im Hinblick auf die Unterbringung und Verpflegung des Sohnes der Beklagten auch miet- und werkvertragliche Elemente enthalten haben. Im Vordergrund hat jedoch der dienstvertragliche Charakter gestanden, nämlich die schulische Ausbildung und die erzieherische Betreuung des Jungen durch Lehrer und Erzieher der Internatsschule.

2. Ohne durchschlagenden Grund wendet sich die Revision auch dagegen, daß das Berufungsgericht in dem Schreiben vom 29. Mai 1981 die fristlose Kündigung des Internatsvertrags gemäß § 626 Abs. 1 BGB gesehen hat. Insoweit berücksichtigt sie schon nicht, daß auch die Parteien nach ihrem übereinstimmenden Vortrag in den Vorinstanzen den Inhalt des Schreibens so verstanden haben.

3. Zuzustimmen ist der Revision hingegen, daß das Berufungsgericht zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB verneint hat. Insoweit hat es den Inhalt des Internatsvertrags nicht ausgeschöpft. Die Beklagten hatten nämlich nicht nur die vereinbarten Gebühren für die Unterbringung sowie die schulische und erzieherische Betreuung ihres Sohnes fristgerecht zu zahlen, sondern auch die – von ihnen überdies ausdrücklich anerkannte – Schul- und Internatsordnung zu beachten. Danach hatte sich ihr Sohn, was im übrigen selbstverständlich ist, im Interesse eines vernünftigen und möglichst reibungslosen Zusammenlebens und -wirkens von Schülern, Lehrern und Erziehern ordnungsgemäß zu führen. Insoweit war er ihr Erfüllungsgehilfe. Das hat das Berufungsgericht zwar mit der Erwägung ausräumen wollen, es sei Sache des Klägers gewesen, für die Erziehung des Sohnes der Beklagten zu sorgen und hierdurch dazu beizutragen, daß es zu Handlungen der beanstandeten Art nicht komme. Dieser Gedanke trifft sicherlich zu, soweit das Fehlverhalten eines Internatsschülers mit einer Verletzung von Aufsichts- und Erziehungspflichten der Lehrer oder Erzieher zusammenhängt oder sich in Grenzen hält, die von jeder Schule bei Kindern und Jugendlichen hinzunehmen sind; die Bewältigung solcher Mängel hat die Internatsschule übernommen. Hiervon sind aber grob fehlerhafte Verhaltensweisen zu unterscheiden, die das Ordnungsgefüge eines Internats nicht unerheblich in Mitleidenschaft ziehen können und die schulische Ordnung in einem Maße stören, daß der Internatszweck beeinträchtigt wird und die Schule Gefahr läuft, ihren Erziehungsauftrag gegenüber den übrigen Internatsschülern nicht mehr sachgerecht erfüllen zu können. In diesem Umfang fällt das Risiko fehlerhaften Verhaltens eines Schülers in den Risikobereich der Eltern, welche die Schul- und Internatsordnung vertragsgemäß gegen sich gelten lassen müssen (§ 278 BGB). Den Beklagten ist daher das im Tatbestand des Berufungsurteils als unstreitig wiedergegebene und als grob vertragswidrig zu wertende Verhalten ihres Sohnes ebenso wie die fristlose Kündigung des Internatsvertrages selbst zuzurechnen, so daß sie nach § 628 Abs. 2 BGB zum Ersatze des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses dem Kläger entstandenen Schadens verpflichtet sind.

4. Danach läßt sich die Klage beim derzeitigen Stand des Rechtsstreits nicht abweisen. Vielmehr bedarf die Sache hinsichtlich des von den Beklagten behaupteten Verzichts und, sofern ein solcher nicht feststellbar sein sollte, zur Schadenshöhe weiterer Prüfung durch das Berufungsgericht. Dabei wird es im zweiten Punkte auch auf folgendes zu achten haben:

Auf die Frage, ob die Regelung in Nr. 3.4 der vom Kläger verwendeten Aufnahmebedingungen in den Fällen des § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB gegen § 9 Abs. 1 AGBG verstößt, kommt es nicht an. Hingegen wird zu prüfen sein, ob gegen die genannte Bestimmung als Schadenspauschalierungsklausel im Rahmen des § 628 Abs. 2 BGB Bedenken bestehen. Insoweit ist § 11 Nr. 5 AGBG bedeutsam. Danach wäre Nr. 3.4 der Aufnahmebedingungen als Schadenspauschalierungsklausel unwirksam, wenn die Pauschale von 90 % der vereinbarten Gebühren den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden (also den branchentypischen Durchschnittsschaden – vgl. Ulmer-Brandner-Hensen, AGB-Gesetz 4. Aufl. § 11 Nr. 5 Rn. 13) übersteigt oder wenn die Klausel den Beklagten den Nachweis abschneiden würde, daß ein Schaden überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale ist. Zu diesem Punkte kann allerdings schon jetzt gesagt werden, daß Wortlaut und Sinn der Klausel bei verständiger Würdigung den Beklagten die Möglichkeit offen lassen nachzuweisen, daß dem Kläger kein oder ein geringerer Schaden erwachsen ist; auch ist insoweit ohne Belang, daß die Klausel dem anderen Vertragsteil nicht ausdrücklich diesen Nachweis vorbehält (vgl. BGH, Urt. v. 16. Juni 1982 – VIII ZR 89/81, LM § 1 Ziff. 5 AGBG Nr. 2).

 

Unterschriften

Stimpel, Dr. Schulze, Richter am Bundesgerichtshof Fleck ist in den Ruhestand getreten und daher gehindert, zu unter schreiben. Stimpel, Dr. Bauer, Dr. Kellermann

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502357

Nachschlagewerk BGH

JZ 1984, 753

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